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Neujahrsvorsätze und Volksgesundheit Von Kirsten Niemann

Ist es der Neid auf meine beispiellose Disziplin oder schlichtweg die Befürchtung, ich könnte fade, öde und mopsig werden, die meine nächste Umgebung plötzlich gegen mich aufbringt? „Wenn du weiter auf dieser ekelhaften Gesundheitsschiene fährst, kannst du dir gleich deine Papiere abholen. Gesundes Leben ist langes Leben, also langweilig“, ereiferte sich Kollege Karl, als ich ihm kundtat, daß ich nicht nur die Nikotinsucht erfolgreich bekämpft habe, sondern demnächst auch meine Ernährung umstellen werde.

Da ich aber nicht im Traum daran denke, saftige Cheeseburger gegen trockene Sojaschnitten einzutauschen, habe ich mich erst einmal mit einer Monatspackung Vitamindragees (zum Schlucken, nicht zum Auflösen – die Brausetabletten schmecken widerlich) eingedeckt. „Friß, was du willst, aber vergiß die Vitaminpillen nicht“, lautet meine vernünftige Devise für das kommende Jahr.

Entwickle ich mich etwa momentan zu einem Gesundheitsfanatiker, einem Langeweiler, einem Menschen, wie ich ihn bis vor kurzem noch verachtet habe? Wohl kaum, denn eine Umfrage im Freundeskreis ergab, daß ich mit meinem Vorhaben voll im Trend liege. Die Hitliste der guten Vorsätze für das neue Jahr wird beherrscht von der Sorge um die Gesundheit. Auf Platz 1 unserer privaten Vorsatzparade steht unumstößlich „sich nicht umbringen“. Ob damit gemeint ist, man solle „keinen Selbstmord begehen“, oder aber – was ich mir zum Motto gemacht habe – „sich nicht überanstrengen“, sei einmal dahingestellt. Obwohl ich zwar nun zum neuen Jahr meine erste feste Arbeit antrete, laufe ich nicht gerade Gefahr, mich umzubringen. Denn glücklicherweise bewegt diese sich mit nur einem Termin wöchentlich in vertretbaren Grenzen.

„Millionär werden“ und „kontrollierter trinken“ belegen die Plätze 2 und 3. Um künftig mehr Geld für so tolle Sachen wie Schallplatten und Comics ausgeben zu können, kaufe ich mir jeden Monat ein paar Lotterietickets. Ob ich es damit zu den Millionen bringe, wird sich noch zeigen. Mit dem Alkohol halte ich es mit den Musikanten der „Freiwilligen Selbstkontrolle“: „Lieber ein Glas zuviel, wenn der Intellekt einmal Ruhe braucht.“

„Das Rauchen aufgeben“ und „mehr Sport treiben“, sind ebenfalls absolute Spitzenreiter. Es läßt sich dabei leider feststellen, daß es – nur für sehr kurze Zeit – bei den guten Vorsätzen bleibt. Denn mit der Umsetzung dieser Ideen tun sich meine Freunde, die süchtig wie Blattläuse sind, leider schwer. Um ihnen dabei ein wenig unter die Arme zu greifen, habe ich mir ein paar Maßnahmen überlegt: Künftig wird bei mir in der Wohnung nur noch auf dem Balkon geraucht. Besonders liebe Gäste dürfen, allerdings nur während der Kälteperiode, auch schon mal auf der Toilette oder im Treppenhaus.

Totengräber Karl habe ich ebenfalls schwer in Arbeit. Ich bin dabei, unser Büro in eine rauchfreie Zone zu verwandeln. Der paffende Kollege drohte daraufhin mit körperlicher Gewalt. Da er jedoch aufgrund seines extrem ungesunden Lebenswandels nur Magermilchquark in den Armen hat, beeindruckt mich das überhaupt nicht.

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