Neues von Ifo-Chef Hans-Werner Sinn: Katastrophenalarm in Buchform
Die EZB macht alles falsch, die Apokalypse steht vor der Tür: Das behauptet Ökonom Sinn in seinem neuen Buch „Euro Trap“. Hat er Lösungen?
BERLIN taz | Selbstvermarktung war noch nie sein Problem. Ifo-Chef Hans-Werner Sinn weiß, wie man die eigenen Thesen in Szene setzt. Diesmal hat er sein neues Buch „Euro Trap“ (zu Deutsch „Gefangen im Euro“) bei der Oxford University Press platziert, um höchste Wissenschaftlichkeit zu suggerieren.
Kurz zusammengefasst lautet die These: EZB-Chef Mario Draghi macht alles falsch – und überschreitet seine Kompetenzen. Alarmistische Aussagen machen sich besser, wenn man sie nicht allein vertritt. Daher hat Sinn für seine Buchpräsentation am Mittwoch in Berlin einen Zeugen organisiert: Jürgen Stark, der einst Chefvolkswirt der EZB war und 2012 zurücktrat, weil er deren Euro-Rettungspolitik nicht mehr mittragen wollte.
Zu zweit zeichnen sie das Bild einer Apokalypse: Der Eurozone drohten „weitere verlorene Jahre“, und Auswege gebe es nicht. „Deswegen heißt das Buch ja ’Euro Trap‘“, sagt Sinn lächelnd. „Das Wort Falle meint, dass keine klaren Lösungen existieren.“
Vor allem für den Süden Europas hat Sinn nur „bittere Wahrheiten“ zu bieten. Die Länder seien einfach nicht wettbewerbsfähig, wie er am Beispiel von Spanien vorrechnet: Dort würden in der Industrie Stundenlöhne von 23 Euro gezahlt, während es in Polen nur 7 Euro seien. „Spanien müsste also drei Mal so produktiv sein. Ist es aber nicht“, sagt Sinn.
Um wieder wettbewerbsfähig zu werden, müssten die Gehälter in Spanien um weitere 24 Prozent fallen. „Aber das führt eine Gesellschaft an den Rand des Zerbrechens.“ Sinn sieht daher für ganz Südeuropa kommen, dass „radikale Parteien stärker werden“.
Sinn hat durchaus Mitleid mit den Spaniern, die eine Arbeitslosenquote von 27 Prozent verzeichnen. „Dies ist eine Katastrophe.“ Doch von Konjunkturprogrammen für den Süden hält er trotzdem nichts. „Dann bleiben diese Länder dauerhaft unproduktiv.“
Hauptsache ein Euro ohne Griechen
Nur einen „radikalen Schritt“ kann sich Sinn vorstellen: Die Eurozone müsste zu einer „atmenden Währungsunion werden“, in die Länder ein- und auch wieder austreten können. Jetzt solle sich die Eurozone „an den Rändern verkleinern“. Die Griechen zum Beispiel hätten keine Chance, jemals wieder wettbewerbsfähig zu werden, wenn sie weiterhin im Euro blieben.
Sinn und Stark wissen, dass ihre steilen Thesen im Ausland nirgends geteilt werden. Stattdessen verlangen IWF, OECD und auch die US-Regierung, dass die Deutschen die Konjunktur in der Eurozone ankurbeln, indem sie ihre eigenen Löhne erhöhen und in die marode Infrastruktur investieren.
Doch vom internationalen Druck lassen sich die beiden Ökonomen nicht irritieren. Stark wittert eine Verschwörung: „Draghi setzt den Ton und regiert durch.“ Indirekt deutet Stark an, dass der EZB-Chef nur eine Marionette sei – vor allem von Frankreich und Italien.
Besonders alarmiert sind die beiden, dass die EZB jetzt sogar „Schrottpapiere“ erwerben will, wie sie es nennen. Die Zentralbank hat angekündigt, dass sie insgesamt eine Billion Euro in die Banken pumpen will, indem sie Unternehmensanleihen und Verbriefungen aufkauft. Damit will die EZB gegen die drohende Deflation ankämpfen. Denn wenn die Preise erst einmal flächendeckend fallen, nimmt niemand mehr einen Kredit auf und die Wirtschaft schrumpft.
Die Inflationsrate liegt bei dürftigen 0,3 Prozent in der Eurozone, doch für Stark ist dies nur eine „angebliche Deflationsgefahr“. Kanzlerin Angela Merkel hat sich kürzlich beklagt, dass von den Ökonomen keine brauchbaren Ratschläge kämen. Sinn und Stark haben vorgeführt, was sie damit gemeint haben könnte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs