Neues von Beyoncé, Rihanna & Kanye: Don’t call it a comeback
Beyoncé macht Protestgesten, Rihanna postet Fotos, Kanye bricht einen Twitter-Beef vom Zaun. Um die Musik allein geht es längst nicht mehr.
Nach Plan läuft es nur bei Beyoncé. Am Sonntag veröffentlichte sie ihre Single „Formation“, ein Tribut an die afroamerikanische Kultur des Südens zwischen New Orleans und Texas. Abends trat sie damit beim Superbowl auf. Ihr Kostüm war eine Referenz an Michael Jackson, ihre Backgroundtänzerinnen trugen Barett und Lederjacke, die Uniform der Black Panther Party.
Später zirkulierten Fotos von ihnen, auf denen sie „Justice for Mario Woods“ forderten. Der 26-jährige Afroamerikaner wurde im Dezember in San Francisco von der Polizei erschossen. Beyoncé orchestriert die Protestgeste so makellos, wie sie den Rest ihrer Karriere orchestriert hat – zur Primetime in alten und neuen Medien.
Dabei ist eigentlich der Fehler mittlerweile King in der Kulturindustrie. Vor zwei Wochen gelangte Rihannas neues Album „ANTI“ durch einen Fehler zwei Tage zu früh ins Netz. Ihr Label verschenkte daraufhin wie geplant eine Million Downloads, bevor man es kaufen und streamen konnte. Finanziell schadet Rihanna das alles nicht, das Album ist durch einen 25-Millionen-Deal mit Samsung finanziert.
Weil „ANTI“ aber an einem Mittwoch anstatt regulär an einem Freitag veröffentlicht wurde, zählen nur die Verkäufe und Streams aus zwei Tagen für Rihannas erste Chartswoche. In den Billboard-Charts reichte es so nur für Platz 27. Aber auch das ist eine News, und die Kritiker lieben ihr Album trotzdem.
So wie auf „ANTI“ haben sie Rihanna nicht gekannt. Die Fließbandhits aus den schwedischen Pop-Fabriken fehlen ebenso wie das Flirten mit Stadion-Rave des Vorgängeralbums „Unapologetic“. Stattdessen flirtet sie mit Neosoul und Reggaeton und lässt die Hihats flirren, als wäre sie eine Homestudio-Rapperin im ersten Semester.
Produzenten
All das hat einen einfachen Grund: ihre Produzenten. Auf „ANTI“ sind keine zwei Songs von der gleichen Person abgemischt. Dazu bedient sich Rihanna aus dem Pool derjenigen, die gerade eh in der HipHop und R-&-B-Oberliga herumgereicht werden. Der Reggaeton-Rhythmus auf ihrer Single „Work“ kommt von Boi-1da, einem jamaikanisch-kanadischen Produzenten, der mit seiner Arbeit für Drake und Kendrick Lamar gerade für zwei Grammys nominiert ist.
Für die überproduzierten Rockgitarren auf „Woo“ zeichnet sich Hit-Boy verantwortlich, dessen Breitwand-Sound schon Kanye West und Jay-Z auf „Ni**as in Paris“ zu der nötigen Großmäuligkeit verholfen hat. Kanye Wests ehemaliger Geschäftspartner No I.D. hat ihr die Streicher-Samples für die Liebesballade „Higher“ verkauft und Super-Producer Timbaland tut sich auf „Yeah, I said it“ mit einem minimalistischen Slow Jam hervor.
„ANTI“ ist eine Platte, die allen das Gefühl gibt, das hier etwas nur für sie dabei ist: für die Latino-Community in den USA, die gerade den Durchbruch von Reggaeton in den Popmainstream abfeiert; für die Fans in der Karibik, für die die in Barbados geborene Rihanna ein paar Zeilen auf Patois singt; für die HipHop-Nerds, die sich über die neuesten Beats ihrer Lieblingsproduzenten austauschen. Und natürlich für die große Masse an Nebenbeihörern, für die Rihanna wieder ein paar tolle Hooklines im Angebot hat.
„Meine Stimme ist meine Rüstung“
„ANTI“ ist ein Album für das Spotify-Zeitalter. Für die, die mit dem Radio groß geworden sind, mag es aufregend vielseitig sein. Aber eigentlich ist es nur darauf angelegt, auf so vielen unterschiedlichen Playlists wie möglich abgespielt zu werden.
Zusammengehalten wird all dies von Rihannas Stimme. Auch sie ist eigentlich die Stimme einer Antidiva. Immer wenn der Gefühlsausbruch kommen müsste, fällt sie in ein kühles, fast schnurrendes Timbre zurück. „Meine Stimme ist meine Rüstung“, heißt es auf dem Cover von „ANTI“.
Geschmiedet hat sie Thaddis „Kuk“ Harrell. Der 51-Jährige arbeitet seit 2007 mit Rihanna zusammen, er hat an ihrem Überhit „Umbrella“ mitgeschrieben. Wenn darin das „ella, ella“ in ein „eh, eh, eh“ übergeht, dann ist das Harrells Werk als Vocal Producer. Sein Werkzeug ist seine Audiosoftware. Mit ihr hat er Rihannas Gesang wieder und wieder aufgenommen, schließlich schneidet er aus all diesen Takes die finalen Gesangsspuren zusammen.
Harrell korrigiert die Tonhöhe und setzt jeden Kiekser und Atmer an die passende Stelle. Rihannas Gesang ist der Gesang einer Mensch-Maschine, die jederzeit so klingen soll, als könnte sie einem in einer runtergekommenen Bar ins Gesicht hauchen – die perfektionierte Authentizität.
Die Sollbruchstelle ist eingeplant
Damit diese Perfektion nicht den Erfolg sabotiert, benötigt sie eine Spielwiese. Imageproduktion im Pop funktioniert irgendwie dann am besten, wenn ein Image eine Sollbruchstelle lässt, in der das Unvorhergesehene passieren darf. Lady Gaga etwa hat sich dafür einen überbetonten Gang von den Dragqueens abgeschaut, bei dem sie schon mal stolpert.
Rihannas Spielwiese ist ihr Instagram-Account. 33 Millionen Follower hat sie dort, sie bekommen von Rihanna perfekt ausgeleuchtete Fotos vom Shooting mit der Vogue, Werbung für ihre Sneaker-Kollektion und verwackelte Videos mit der Familie. Auch ihren Imagewandel zum „Ghettogoth“ hat sie dort dokumentiert. Venus X, eine New Yorker Latina-DJ und Gründerin der einflussreichen GHE20G0THIK-Partyreihe, beschwerte sich daraufhin, dass Rihanna ihre „Marke“ geklaut habe. Kurze Zeit später zog sie sich aus der Musikszene zurück. Rihanna aber trägt auf Instagram weiter schwarz lackierte Fingernägel – eine Sollbruchstelle soll der Karriere nicht schaden.
Die Politologin Jodi Dean hat soziale Medien wie Instagram einmal als „affektive Netzwerke“ bezeichnet. Wir nutzen sie, weil sie uns mit Menschen verbinden, die wir irgendwie interessant finden. Die Netzwerke selbst wollen uns möglichst intensiv an ihre Plattform binden und befeuern unsere Affekte mit Babyfotos und Geburtstagserinnerungen, in der Hoffnung, uns damit zu neuer Interaktion zu bewegen.
Für die Popkulturindustrie ist diese Interaktion zunehmend uninteressanter. Stattdessen funktioniert sie wie zur Blütezeit von MTV. Dort sind die Stars, hier sind wir, das Publikum, das auch nach dem x-ten Reply nie einen Kommentar erhält. Es ist Marketing mit niedrigen Fixkosten, bei dem ein Smartphone mit Twitter-App in den Händen eines narzisstischen Rapstars eine ganze Promokampagne ersetzen kann.
Ein neues Album
Diesen Freitag soll das neue Album von Kanye West erscheinen – weltweit wird es aus dem Madison Square Garden in New York in ausgewählte Kinos übertragen. Nur wie es heißt, weiß bis dato kaum jemand. „Vielleicht gibt es einen neuen geheimen Albumtitel“, twitterte Kanye am Sonntag. Ob er das ernst meint, weiß ebenfalls niemand. Vor zwei Wochen twitterte er das Foto einer handgeschriebenen Tracklist für ein Album namens „Swish“.
Wenige Tage später verkündete er den neuen Albumtitel „Waves“ und begann einen Twitter-Beef mit Rap-Kollegen Wiz Khalifa. Der warf ihm vor, sich mit dem neuen Titel am Erbe des Ostküsten-Rappers Max B vergriffen zu haben, dessen melodischer Rapstil als „Wave“ bezeichnet wird. Kanye feuerte daraufhin eine Reihe von Tweets gegen Wiz Khalifa ab, die über 400 Millionen Mal gesehen wurden und damit das andere Pop-Ereignis des Tages – die Veröffentlichung von Rihannas „ANTI“ – auf die Plätze verwiesen.
Wenige Tage später versöhnten sich die beiden Rapper und auch Max B freute sich. Es sei super, von Kanye gedroppt zu werden, sagte er, demnächst erscheine übrigens ein Dokumentarfilm über sein Leben.
Musikalisch zeigt sich Kanye West dabei übrigens weit weniger konfliktfreudig als noch auf seinen vorherigen Platten. Zwei Stücke seines neuen Albums hat er bereits veröffentlicht: die Ballade „Real Friends“ und „No more Parties in LA“, in dem er gemeinsam mit Kendrick Lamar über einem klassischen Indie-HipHop-Beat seine Rückkehr zur alten Rap-Schule seines Debütalbums verkündet. Kanye produziert so den Soundtrack zum nächsten #ThrowbackThursday: HipHop voll Nostalgie, aber die Vergangenheit so perfekt reproduzierend, dass er nur unter den Bedingungen einer durchdigitalisierten Kulturindustrie entstanden sein kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind