piwik no script img

Neues Werk von Noam ChomskyUncle Noam

Begründer der modernen Linguistik und politischer Denker: Noam Chomsky macht sich auf die Suche nach dem Wesen des Menschen.

Noam Chomsky, 2014 Foto: Imago / Future Image

In der Tragikomödie „Captain Fantastic“, in der Viggo Mortensen als Aussteigervater Ben mit seinen sechs Kindern in der Wildnis lebt, spielt Noam Chomsky eine prominente Rolle. Statt des Weihnachtsfests wird dort nämlich der Chomsky-Tag begangen. Das passende Lied zur besinnlichen Stimmung trägt den Titel „Uncle Noam“.

Ob augenzwinkernd oder nicht: Wenn ein Filmemacher einen lebenden Intellektuellen auf solche Weise würdigt, dann muss dieser besonders einflussreich sein, steinalt und vielleicht noch eine Stimme haben, die an den Weihnachtsmann gemahnt. Die letzten beiden Punkte können wir schnell abhaken. Noam Chomsky ist 1928 geboren, im selben Jahr wie Bo Diddley, Shirley Temple und Ennio Morricone. Und die Stimme des nun 88-Jährigen ist von einer derart sonoren Gleichförmigkeit, dass man sich nach der Bescherung des von ihr Gesagten bald zufrieden zurücklehnen kann.

Aber werden Sätze eigentlich von der Stimme oder durch sie gesagt? Die Beantwortung dieser Frage machte Chomsky in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts als Wissenschaftler weltberühmt. Noch heute kommt kein Linguistikstudent an ihm vorbei. Gegen den Behaviorismus, der den Lernprozess ins Zentrum stellt, behauptete er ein dem Menschen angeborenes Sprachwissen. Es realisiere sich schon beim Denken, keineswegs erst dann, wenn mehrere Menschen kommunizieren. Chomsky gilt als Entdecker einer strukturellen sprachlichen Grundausstattung, bekannt geworden als generative Transformationsgrammatik.

Beinahe 20 Jahre nach seinem letzten wissenschaftlichen Buch lässt Chomsky jetzt in einem Buch mit dem Titel „Was für Lebewesen sind wir?“ seine sprachwissenschaftlichen, seine anthropologischen und erkenntnistheoretischen Überlegungen noch mal gründlich Revue passieren, als wolle er am Ende seiner wissenschaftlichen Karriere einen letzten Paukenschlag setzen. Zeit seines Lebens kämpfte Chomsky um die Anerkennung der Erforschung von Sprache als Wissenschaft.

Kritikern, die stets bemängelten, seine Studien seien unseriös, die Universalgrammatik nicht exakt wissenschaftlich bestimmbar, erwidert der Neocartesianer nun unter hohem philosophischem Aufwand, auch unbestritten exakte Wissenschaften wie die Physik würden im Grunde häufig auf unbewiesenen Vorannahmen beruhen. Die Gravitation zum Beispiel sei eine genauso wenig messbare Größe wie das sprachliche Rüstzeug des Menschen in seiner Sprachtheorie, evident seien sie trotzdem beide.

Interventionen in die US-amerikanische Außenpolitik

Angefochten wird Chomsky neuerdings stärker von anderer Seite. Immer mehr jüngere Forscher leiten Sprache aus Gesten ab. Ein wenig seltsam ist es schon, dass Chomsky die Anfechtung seiner Theorie durch heutige Wissenschaftler, die immer stärker vom kooperativen Charakter der Entstehung von Sprache überzeugt sind, in „Was für Lebewesen sind wir?“ mit keinem Wort erwähnt.

Einflussreich ist Chomsky noch auf einem anderen Gebiet. Die Huldigung der Öko-Helden in „Captain Fantastic“ gilt nämlich nicht dem Sprachwissenschaftler. Sie verehren den politischen, den antikapitalistischen und anarchistischen Chomsky, „Amerikas letzten lebenden Linksintellektuellen“, wie häufig gesagt wird. Neben seiner Tätigkeit am Massachusetts Institute of Technology fand Chomsky noch Zeit für die Veröffentlichung von bald 50 politischen Sachbüchern, mischt sich seit den 60er Jahren immer wieder in öffentliche Debatten ein und wurde zuletzt als eins der Masterminds der Occupy-Bewegung gehandelt.

In klassisch antiimperialistischer Manier zielen Chomskys Interventionen vor allem auf die US-amerikanische Außenpolitik, im Grunde immer dann, wenn sie nicht Isolationismus verfolgt. Aber auch in Debatten über eine angebliche Manipulation durch die Medien hat er sich stets lautstark eingemischt, ebenso wie wieder und wieder in solche über den Nahostkonflikt. Die Situation der Palästinenser in der Westbank und in Gaza hält er für schlimmer als die der Schwarzen im Südafrika der Apartheid, und er unterstützt, was Produkte aus diesen Gebieten angeht, die ­internationale Boykottkampagne BDS (Boykott, Divestments and Sanctions), die sich unverholen antisemitischer Töne bedient.

Das Buch

Noam Choms­ky: „Was für Lebewesen sind wir?“ Aus d. Engl. v. M. Schiffmann. Suhrkamp, Ber­lin 2016, 248 S., 26 Euro

Standen bisher der akademische und der politische Chomsky unverbunden nebeneinander, sucht er in seinem neuen Buch den Brückenschlag. „Was ist das Gemeinwohl?“ heißt nach „Was ist Sprache?“ und „Was können wir verstehen?“ das dritte der insgesamt vier Kapitel. Im Kern laufen seine Betrachtungen auf den Versuch einer Versöhnung der libertären Tradition in der US-amerikanischen politischen Philosophie, der eines Adam Smith, eines Tom Jefferson oder eines John Dewey, mit anarchosyndikalistischen Ideen hinaus.

Alarmiert von der Politikverdrossenheit vieler seiner Landsleute, suchte Noam Chomsky sein Heil stets im Linkspopulismus. Heute, nachdem er zunächst Bernie Sanders als Präsidentschaftskandidat unterstützt hatte, riet er Gesinnungsgenossen jüngst dann aber doch zur Wahl von Hillary Clinton.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Mir fehlt bei Chomskis Theorie etwas:

    Wie eine sarkastische Bemerkung zu verstehen ist, das sagt keine Grammatik. Genausowenig kann die Grammatik darüber entscheiden, ob ein Satz sinnvoll ist oder nicht (z.B. "Ich bin stolz Deutscher zu sein." oder "Mit Gottes Hilfe...").

    Ich denke an dieser Stelle an Wittgenstein, nach dem die Bedeutung eines Wörter oder Satzes zumeist nicht mehr ist als seine Verwendung. Ob ein Satz sinnvoll ist oder nicht, läßt sich demnach auch nicht entscheiden. Wir können nur sagen, ob wir ihn verstehen oder nicht.

    In diesem Sinne würde ich auch nicht sagen, das Tiere keine Sprache haben können. Es gibt schon eine Software, die 7 verschiedene Äußerungen von Rindern versteht und dem Bauern Bescheid sagt, wenn eine Kuh z.B. eine Hufpflege wünscht. Ich gehe davon aus, daß die Kühe untereinander sich schon die ganze Zeit verstanden haben und die Äußerungen der Kühe ihre Bedeutungen nicht erst durch den Menschen erlangen.

    Was wir aber haben, was sonst kein Tier hat, ist die Schrift. Was mich zu Derrida führt und dem Phonozentrismus, aber das ist eine lange Geschichte...

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Hat der Israelfresser und Antiimperialist noch eine Schwarte geschrieben.

     

    Da lese ich doch lieber nochmal das Dschungelbuch.

    • @88181 (Profil gelöscht):

      Uiuiui - wie war das mit den Enden der Parabeln¿ - nich Pynchon -

      Nee - über Kugelkörpern!;-)) =

      Kipling auf der Schatzinsel am Silbersee ;-D*

       

      Anyway - laß irgendwann gern mal stören!;) & ~>

      Viel Spaß & wie - mit Balu & Cie.

       

      (* irgendwo bei W.B. - "Zeichnen nach Zahlen" - Napoleum bei …&

      Alter Fritz bei … - sorry sorry -

      Einfallendes Oldie-haus.-;))

  • Danke. Gekauft.

    Neben seinem ersten schmalen Bändchen auf deutsch -;) is noch was Platz* - but!

     

    "....Alarmiert von der Politikverdrossenheit vieler seiner Landsleute,

    suchte Noam Chomsky sein Heil stets im Linkspopulismus..."

    Sorry - " wohl nen nassen Hut mit alter Krempe auf - wa!"

    (Danke Harry - Der Kampf geht weiter - klar. Versprochen - alte Hütte!;)(

     

    (*gerade - weil ich glaube - daß er mit seiner frühen Theorie falsch lag -

    Tat Heinz von Foerster mit seiner Gedächtnistheorie auch -

    Was bekanntlich niemanden davon abhielt - diesen völlig unbekannten

    aus dem Kotelettland/Wien - stante pede - ans MIT zu berufen.

    Der Rest - hie wie da - geniale Wissenschaftsgeschichte. &

    (kleiner Tipp - mal wieder-;) - Thomas Kuhn/Paul Feyerabend - Abstauben & LESEN!

    Fein - Danke. -;)

    • @Lowandorder:

      Dem Behaviorismus kann wohl nur anhängen, wer die Evolution leugnet und von Verhaltensforschung nie was gehört hat. In sofern neige auch ich Chromsky zu.

       

      Der Mensch kommt so wenig ohne angeborene Fähigkeiten zur Welt, wie sonst irgend ein Tier. Wer arttypisches Verhalten lernen will, und sei es durch Imitation, der braucht eine angeborene Begabung, etwas, was den Mitgliedern andere Spezies mehr oder weniger abgeht.

       

      Was mich irritiert, ist die Überschrift, die Chomsky gewählt hat für seine Theorie. Für mich wird nicht die Grammatik selbst – und schon gar nicht die "Form einer systematischen Sprachbeschreibung", die Linguisten darunter verstehen – (genetisch) weitergegeben von Generation zu Generation, sonder nur die mehr oder weniger ausgeprägte Begabung dafür.

       

      Die "Transformationsregeln" aber, um die sich Forscher derzeit offenbar streiten wie um Kaisers Bart, sind für mich gruppenspezifische. Sie werden – wenn überhaupt – sozial vererbt, nicht biologisch. Der Anteil, den Biologie und Sozialisation jeweils haben an der T., lässt sich schon deshalb nicht berechnen, weil viele Variablen in der Gleichung nicht numerisch bestimmbar sind.

       

      Wenn der Genitiv in (zu) vielen Fällen dem Dativ sein Tod ist, hat das mit vererbter Begabung zu tun, aber auch mit fehlender Sprachpraxis und emotionaler Determination. Der Hörer versteht Worte nicht nur, indem er die Bedeutung des Satzes aus der Bedeutung der einzelnen Bestandteile erschließt, sondern auch, indem er einen gewissen "guten Willen" aufbringt. Wie soll man den in Zahlen gießen?

       

      Mir selber geht der gute Wille, den vergeistigten Debatten hoch dotierter Linguisten zu folgen, so sehr am A... – äh: am Sitzmuskel vorbei, dass ich sie gar nicht verstehen WILL. Die Frage, was für Lebewesen wir sind, habe ich für mich schon längst beantwortet. Eins, das das neueste Chromsky-Buch kauft, um es als Beleg für seine Belesenheit zu anderen in ein Regal zu stellen, bin ICH jedenfalls nicht.

      • @mowgli:

        Upps - schlecht gestrühfückt?

         

        Selbstironie - das unbekannte ...Gewesen?

        Nehme dringend an - hab Noam Chomskys o.a. Bändchen

        Lange vor Ihrer familiären Bereicherung gelesen! -;) but -

        "Stößt ein Buch gegen einen Kopf & es klingt hohl -

        Muß nicht am Kopf liegen" & noch einer von den guten a -

        Ol´Tucho - "Leben heißt auswählen." Da liegt ~ die Latte.

        Mal sehn wie sich das neu von Noam so macht - wa!

        Die "Bibliothek der nur angelesenen Bücher" - doch doch -

        Ist ziemlich ansehnlich - aber auch nur wenig -Umfangreicher als die der mehrfachgelesenen. so jet. & -

        "Mir selber geht der gute Wille, den vergeistigten

        Debatten hoch dotierter Linguisten zu folgen, so sehr

        am A.."rsch vorbei. Das ja. Darin sind wir uns dann ja -

        Wieder einig. Fein.

         

        (& was die Mowglische Vermutung - "Familie von Oberlehrern" - angeht - Verweis ich einschließlich -

        Homerischem Gelächters - An die bekannte Adresse -

        Im Spätzleland - Ein profunder Kenner von Gnaden!;)