Neues Transplantationsgesetz: Die Pflicht, sich zu entscheiden
Die Organspende in Deutschland soll neu geregelt werden. Jeder Bürger muss sich zur Spendebereitschaft erklären, fordert die Politik. Ist das berechtigt?
BERLIN taz | Nach den Diskussionen über die Präimplantationsdiagnostik und die Zulässigkeit ärztlicher Sterbehilfe steht den Deutschen in diesem Jahr eine dritte große Ethikdebatte ins Haus. Und diese wird ausnahmslos alle Bürgerinnen und Bürger betreffen: Die Organspende soll neu geregelt werden.
Künftig soll jede Bürgerin und jeder Bürger gegenüber den Behörden erklären müssen, ob er oder sie im Todesfall zu einer Organspende bereit ist. Möglich soll aber auch sein, mit "Ich weiß nicht" zu antworten - in dem Fall schiede der Betroffene wohl als potenzieller Organspender aus. So jedenfalls sieht es ein einstimmiger Beschluss der Gesundheitsminister der Länder vor, der am späten Donnerstag öffentlich wurde.
Die 16 Landesgesundheitsminister folgen damit inhaltlich einem Vorstoß der Fraktionschefs von SPD und Union, Frank-Walter Steinmeier und Volker Kauder, die bereits einen gemeinsamen, fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf zur Neuregelung der Organspende für die Zeit nach der Sommerpause angekündigt haben. Wie immer bei ethischen Fragen soll die Abstimmung eine Gewissensentscheidung sein - und deshalb ohne den sonst üblichen Fraktionszwang erfolgen.
Ziel der Reform, die das Transplantationsgesetz von 1997 ändern soll, ist, die Organspendebereitschaft der Deutschen zu erhöhen. Bislang wird diese nirgends zentral erfasst. Wer hierzulande einen Organspendeausweis trägt, tut dies freiwillig. Ärzte, Kirchen und viele Politiker fordern seit Jahren eine Änderung des bestehenden Rechts.
Experten gehen von Verfassungsmäßigkeit aus
Der Grund: Mehr als 12.500 Schwerkranke warten derzeit auf Niere, Lunge oder Herz - oft vergeblich. Zwar sind laut Umfragen bis zu 75 Prozent der Deutschen prinzipiell zur Organspende bereit, aber nur 25 Prozent haben tatsächlich einen Organspendeausweis. Würden die Menschen gezwungen, sich zu erklären, so das Kalkül der Politik, dann stiege auch die Zahl der verfügbaren Spenderorgane.
Der Verfassungsrechtler und ehemalige FDP-Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig, derzeit Mitglied des Deutschen Ethikrats, geht davon aus, dass die geplante Gesetzesänderung mit der Verfassung vereinbar sei. Jedenfalls solange den Bürgern im Sinne der verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmung ebenfalls das Recht eingeräumt würde, sich im Zweifel nicht zu verhalten. Also mit "Weiß nicht" zu antworten. Auch dürften aus der moralischen Pflicht, sich zu entscheiden, bei Nichtentscheidung keine rechtlichen Sanktionen erwachsen, sagte Schmidt-Jortzig am Mittwoch bei einer Expertenanhörung des Gesundheitsausschusses zur Organspende.
"Eine Organbereitstellungspflicht darf es nicht geben", forderte auch der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, der eine Gesetzesänderung grundsätzlich befürwortet. Der Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) drängt auf eine Lösung, die die Freiwilligkeit der Organspende respektiert.
Patientenschützer sind gegen die Pläne
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar sprach sich am Freitag dafür aus, die Spendebereitschaft auf der elektronischen Gesundheitskarte zu speichern. Die sensible Information könne so verschlüsselt erfasst werden. In Notfallsituationen erführen Ärzte und Sanitäter sofort, ob jemand ein Organspender ist. "Eine zentrale Datenbank wäre damit genauso überflüssig wie ein von jedermann lesbarer Ausweis, der bei Verlust missbraucht werden könnte", sagte Schaar.
Patientenschützern gehen die Pläne zur Neuordnung dagegen zu weit. "Niemand darf zu einer Entscheidung gezwungen werden. Organspende muss ein Akt der Selbstbestimmung sein", forderte der Geschäftsführende Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung, Eugen Brysch. Der Hamburger Medizinrechtler Oliver Tolmein wies bei der Expertenanhörung darauf hin, dass Organspendeerklärungen "eine Art Patientenverfügung" seien. Und im Patientenverfügungsgesetz sei eindeutig festgeschrieben, dass es keinen Zwang zu einer Erklärung geben dürfe. Folglich gelte das auch für die Organspende. Im Übrigen gebe es bereits die Verpflichtung der Krankenkassen, ihre Versicherten über die Möglichkeit einer Organspende aufzuklären.
Dies geschehe aber selten, beklagte auch Edzard Schmidt-Jortzig. Viele Organe gelangten überdies trotz Spendebereitschaft nicht rechtzeitig zu den Schwerstkranken, weil in vielen Krankenhäusern Transplantationsbeauftragte fehlten, die "die Intransparenz der Ressourcenverwaltung effektiver regeln könnten". Die Gesundheitsminister wollen dies ebenso prüfen wie die Frage, ob die Aufwandsentschädigung der Krankenhäuser für das Engagement beim Organspendeprozess ausreichend ist.
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