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Neues Stück von She She PopWas weiß die Herde über die Wahrheit

Mit seinem Stück „Bullshit“ grast das Performance-Kollektiv She She Pop auf Wiesen vermeintlicher Gewissheiten. Premiere war im Berliner Hebbeltheater.

She She Pop mit ihrem Stück „Bullshit“ Foto: Benamin Krieg/Hebbel am Ufer

Don’t bullshit me – das darf man schon mal sagen, wenn man die Wahrheit will. Selbstredend ist es die Wahrheit, die She She Pop interessiert, oder das, was subjektiv dafür wahrgenommen wird. Denn das kann sich unterscheiden.

Die Berliner Performancegruppe übt sich darum bei ihrer „Bullshit“-Premiere am Dienstag zunächst in subjektiven Definitionen: Mit Sätzen, die mit „Ich weiß, dass …“ beginnen, improvisieren die vier Künst­le­r:in­nen auf der HAU-1 -Bühne ihre Wissensgrundlagen über vermeintliche oder echte Wahrheiten.

Man weiß etwa, dass die Tickets des von den Kulturkürzungen stark betroffenen freien Theaters unterschiedlich viel kosten. Oder dass zwei Menschen im Publikum nebeneinandersitzen, die sich kennen könnten. Oder dass nicht etwa Leonard Cohen vor einem Mikrofon auf der Bühne hockt und seinen Song „Everybody knows“ interpretiert, sondern Performer Sebastian.

Die Aufführungen

„Bullshit“ läuft im HAU 1 in Berlin, 31. 10. + 1.–3. 11. Weitere Termine:23. / 24. November 2024, Künst­le­r*in­nen­haus Mousonturm, Frankfurt am Main

Dieses „Everybody knows“ gerät zum Mantra des gesamten Stücks – erratisch und weise, wie Cohen-Refrains sind, bekommt es über den Abend hinweg neue Bedeutungen zugewiesen: Wissen wirklich alle, worum es geht? Trägt dieses „Wissen doch alle“ nicht auch das große Komplexitätsproblem unserer Zeit in sich? Stellt sich Wissen eigentlich für jeden Menschen gleich dar?

Supersale für immaterielle Dinge

Die Per­for­me­r:in­nen treten bei ihren Kurzmonologen in „Message-Schürzen“ auf – mit Botschaften wie „I do what I can“, „Freier Fall“, oder, kollektiv verständlich, „4,99“. Sozusagen Supersale – es ist der Preis, für den She She Pop immaterielle Dinge zu verkaufen beginnt und so die Komplexität der Monetarisierung, Finanzierung und Wertschätzung von Kunst in eine Dauerwerbesendung überführt: Gleich Dorothy und ihren Kumpels, die sich einst zum Wizard of Oz aufmachte, um von ihm ideelle Werte wie „Mut“ oder „Gefühl“ zu bekommen, kann man im HAU 1 für die knapp fünf Euro zum Beispiel „Echtheit“ erstehen.

„Ich war immer echt“, stellt Performerin Ilja klar, die unter der Schürze gar nichts trägt, „ich habe diesen nackten Arsch auf dieser Bühne hundert Mal gezeigt. Kann jemand anders meine Echtheit jetzt vielleicht besser brauchen?“ Eine Besucherin schlägt zu, um, wie sie sagt, den Einkauf „in die Vitrine zu stellen“. Performerin Lisa verkauft „den roten Faden“, Performerin Mieke jenen Sitzplatz im Saal, von dem aus man alles auf der Bühne am besten sieht: Die „Zentralperspektive“ kostet ebenfalls 4,99, was sonst, und geht weg wie warme Semmeln.

Die Interaktion zwischen der vielfach prämierten Truppe und den Spendierhosen tragenden Gästen funktioniert hervorragend. Und ein kleiner Geldbaum, gleichsam der fünfte Performer, schüttelt sich glücklich bei jeder Transaktion und singt blechern „Feeling Good“.

Gespräche mit Schaf und Biber

Doch She She Pop untersuchen das Immaterielle weiter: Wäre es nicht schön, der Welt komplett neu zu begegnen, sinniert die Gruppe – und präsentiert in einer Bühnenminiatur dialogische Begegnungen mit Tieren. Gespräche mit einem Biber (über gemeinsames Dämmebauen), einer sonoren Wanze (über das geduldige Blutsaugen) und einem Schaf werden auf eine Leinwand übertragen – und es stellt sich das ein, was bei Tierdialogen, egal ob „Karneval der Tiere“, „Schweinchen Babe“ oder dem Aardman-Animationsfilm „Creature Comforts“ mit dem Löwen, der seinen „Space“ vermisst, stets passiert: Man hört nicht nur zu, man meint auch noch, sie zu verstehen. Anthromorphismus hin oder her.

„Was habt ihr eigentlich gegen Herden“, philosophiert beziehungsweise blökt Schäfchen Schlau schließlich gegenüber der Performerin – und stellt das Prinzip des egoistischen Individualismus infrage. Dass es am Herdenverhalten von Menschen genauso viel auszusetzen gibt, wird dann in der nächsten, bestimmt ebenso großartigen Vorstellung eruiert.

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