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Neues Sicherheitsverständnis

■ Mit welchen Problemen ist zu rechnen, wenn ostmitteleuropäische Staaten Nato-Vollmitglieder werden

Beitrittsangebote, halbherzige neue Konstrukte, Zögern und Ablehnung auf Nato-Seite. Warnungen, Drohgebärden, an Gegenforderungen gebundene Vorschläge auf Rußlands Seite – die Sicherheitspolitik in Europa ist ein wackliges Unterfangen seit dem Ende des Kalten Krieges. Nun wird wieder über eine Nato-Erweiterung nachgedacht – da sollten die Sorgen, Interessen, Vorstellungen derer, um die es eigentlich geht, bedacht sein: der Länder Ostmitteleuropas.

Hans-Joachim Gießmann, Referent am „Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik“ in Hamburg untersucht in seinem Buch die sicherheitspolitischen Auffassungen, die militärischen Konzepte, die Verteidigungsplanung, die Rüstungswirtschaft, die Entwicklung der Streitkräfte in Polen, der Slowakischen Republik, in Tschechien und Ungarn und in einem Exkurs Österreichs. Fraglich bleibt, bilanziert Gießmann, ob derzeit eine Ausweitung des kollektiven Verteidigungssystems die Sicherheit für alle Beteiligten und die Außenstehenden erhöhen würde. Zu berückichtigen seien die Probleme in Ostmitteleuropa, die „orginär nicht militärischer Natur“ sind.

Daß alle westlichen Länder den polnischen Staat in seinen Grenzen zum erstenmal in dessen Geschichte akzeptieren, läßt für Polen jetzt nur Rußland als Gefahr in den Vordergrund rücken. Dazu tragen mehrere Gründe bei: Russische Nationalisten richten ihre Propaganda auf den Machtverlust nach außen, von dem Polen sich als größtes und einwohnerstärkstes Land Ostmitteleuropas und von der Lage her als geeignetes „Bollwerk“ gegen den Westen bedroht fühlen muß. Außerdem trägt die europaweit konzentrierteste Militärpräsenz im Kaliningrader Gebiet nicht gerade zur Entspannung bei.

Ganz andere Gefahren türmen sich vor Ungarn auf – durch die Nähe zum früheren Jugoslawien. Ein Überschwappen der Gewalt wird wegen der magyarischen Minderheit im serbisch-ungarischen Grenzgebiet gefürchtet. Aufgrund der Behandlung der Minderheit gibt auch die innenpolitische Situation anderer Nachbarn, Rumänen und Slowakei, Anlaß zur Sorge.

Da hat es die Tschechische Republik vergleichsweise leicht: Keine Grenze mit der ehemaligen Sowjetunion, keine direkte Beziehung zum Balkan. Ängste rühren nicht von der militärischen Ebene, sondern von Unwägbarkeiten ausländischer Entwicklungen her, zum Beispiel einer Migrationswelle aus den slawischen Ländern oder Abhängigkeiten von labilen Ökonomien. Sicherheitspolitische Bedenken entstehen vor allem durch die Staatskrisen in der Slowakei.

Zum Vollmitglied der Nato wollen alle Länder Ostmitteleuropas werden. Die daraus erwachsende sicherheitspolitische Spaltung des Kontinents, zumal wenn Rußland ausgegrenzt ist, kann nur vermieden werden, wenn die Nato ihre Aufgaben neu definiert.

„Risikobeschränkung“ heißt Gießmanns Stichwort. Mitwirken und damit zu „Bausteinen europäischer Sicherheit“ müßten alle Bündnisse wie die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die EU, die Westeuropäische Union (WEU), der Europarat, die Nato sowie der Nordatlantische Kooperationsrat und die Partnerschaft für Frieden werden. Die bestehenden Institutionen müssen den konkreten Bedürfnissen einer gemeinsamen Sicherheitspolitik angepaßt werden – und nicht umgekehrt.

Wer ernsthaft über eine Nato- Osterweiterung mit diskutieren will, sollte die von Gießmann ausgebreiteten Informationen und Analysen zur Kenntnis nehmen. Mareille Ahrndt

Hans-Joachim Gießmann: „Sicherheitspolitik in Ostmitteleuropa: Probleme – Konzepte – Perspektiven“. Nomos Vlg. Baden- Baden 1995, 294 S., 44DM

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