Neues Magazin für Fußball-Zeitgeschichte: Von Neunkirchen bis Tansania
Gegen „Zeitspiel“ wirkt selbst „11 Freunde“ wie ein Mainstream-Produkt. Das Debütheft widmet sich versunkenen Traditionsclubs.
Der Begriff Nerd ist, weil oft verwendet, längst etwas unscharf geworden. Aber völlig verkehrt liegt man nicht, bezeichnete man Hardy Grüne und Frank Willig als Nerds. Die beiden haben gerade das neue Fußballmagazin Zeitspiel auf den Markt gebracht, und von den 92 Seiten sind acht der Fankultur und den bekanntesten Klubs in Tansania gewidmet sowie zwölf dem Fußball in Schlesien in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Hier von Außenseiterthemen zu reden, wäre fast noch untertrieben.
Schaut man genauer hin, geht es in der vorerst nur per Post erhältlichen Zeitschrift, die vierteljährlich erscheinen soll, nicht nur um Abseitiges, sondern vor allem um Naheliegendes, worüber anderswo wenig geschrieben wird. Der Schwerpunkt des Debüthefts ist „Überleben im Turbokapitalismus“ – beziehungsweise liegt auf Klubs wie dem VfB Lübeck, Rot-Weiß Oberhausen oder Tennis Borussia Berlin.
Eine Zeit lang kannte sie fast jeder, heute fristen sie, nachdem sie teilweise eine oder mehrere Insolvenzen hinter sich haben, ein bescheidenes, für Fußballfans vom Schlage Grüne und Willig aber nicht unattraktives Dasein zwischen der vierten und sechsten Liga. Für einige wird die viertklassige Regionalliga auf absehbare Zeit das Maximum bleiben, für andere ist nicht einmal diese Liga ein realistisches Ziel.
Blattmacher Willig ist nicht nur Beobachter dieser Welt, als Vorstandsmitglied des Fünftligisten Arminia Hannover steckt er mittendrin. Sein Kompagnon Grüne ist Fan des Sechstligisten I. SC Göttingen 05, dessen Vorgängerklub nach einer Insolvenz aufgelöst werden musste. Der Fußballhistoriker Grüne – der, falls die Statistik der Deutschen Nationalbibliothek nicht lügt, als Autor oder Koautor bisher 49 Bücher verfasst hat – sagt, er habe Zeitspiel auch gegründet, weil sich „seine“ Themen auf dem Buchmarkt nicht mehr rentierten.
Der Untertitel „Magazin für Fußball-Zeitgeschichte“ deutet bereits an, dass es den beiden Verlegern, die auch fürs Redaktionelle zuständig sind, um mehr geht als Fußball. „Wenn in Berlin-Spandau ein Verein stirbt, stirbt ein Stück Stadtgeschichte“, sagen die Macher. Oder: „Wir wollen nicht die 150. Story über Mario Götze lesen, sondern lieber wissen, wie man es in Neunkirchen schaffen will, der Pleite zu entgehen.“
Gemeint sind der Spandauer SV, der ein Jahr in der 2. Liga spielte, und Borussia Neunkirchen, ein früherer Bundesligist aus dem Saarland, der bis zum 31. Juli noch viel Geld zusammenkratzen muss, um die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens abzuwenden. Klappt es, darf er weiter in der fünften Liga spielen.
Tristesse statt Robben
Um zu illustrieren, wie sich Zeitspiel von anderen Fußballmagazinen unterscheidet, bietet sich ein Coververgleich an: Von der aktuellen Ausgabe der 11 Freunde blickt einem Arjen Robben entgegen, als Titelzeile dient sein Zitat „Ich war wie tot“. Der Satz spielt an auf die erfolgreiche Saison des FC Bayern, deren entscheidende Phase Robben verletzungsbedingt verpasste.
Zeitspiel setzt auf seiner ersten Titelseite hingegen auf Melancholie: Zu sehen ist eine kleine, menschenleere Sitzplatztribüne eines Stadions im Hamburger Stadtteil Marienthal, das seit 2009 vor sich hin verwildert. Demnächst sollen hier Wohnungen entstehen. Das ist auch bezeichnend für den Umgang des „Turbokapitalismus“ mit mehr oder weniger legendären Fußballstadien: Wird eines abgerissen, kommt dort in der Regel irgendwas mit Beton hin, nicht etwa ein Park.
Nostalgische Reflexe wie: „Früher war alles besser“, wollen Grüne und Willig im Übrigen nicht bedienen, sagen sie. Das ist so ähnlich wie mit den meisten Kapitalismuskritikern. Die fanden den Kapitalismus auch nicht prima, als der noch keinen Turbo hatte.
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