Neues Leiden erfunden: Raucher sollen als "krank" gelten
Die Ärztekammer will Nikotinsucht nicht als Lifestyle-Problem, sondern als Krankheit einstufen. Mediziner könnten dann Medikamentengaben besser abrechnen.
BERLIN taz Raucher sind krank und sollen auch so behandelt werden - das fordert die Bundesärztekammer. "Eine Bewertung als Lifestyle-Problem, das durch reine Willensanstrengungen oder Gruppengespräche zu beheben wäre, wird der Problematik nicht gerecht", heißt es in einer Stellungsnahme der Standesorganisation, die diese am gestrigen Montag bei einer Anhörung im Gesundheitsministerium vortrug.
Die Forderung erscheint populär, ist aber keineswegs uneigennützig. Mit der Anerkennung als Krankheit müssten schließlich auch die "vergütungsrechtlichen Rahmenbedingungen für eine Behandlung" geschaffen werden, fordert der Verband. Die Krankenkassen reagieren ablehnend. "Die Ärzte bekommen schon heute eine Beratungspauschale. Darunter fällt selbstverständlich, dass sie mit ihren Patienten über das Thema Rauchen sprechen", sagte ein Sprecher des GKV-Spitzenverbandes, der die gesetzlichen Krankenkassen vertritt.
Seit kurzem bietet die Ärztekammer ihren Mitgliedern eine Fortbildung zur "ärztlichen Tabakentwöhung". Die bereits bestehenden Nichtraucherkurse der Krankenkassen oder Volkshochschulen würden die meisten Raucher nicht erreichen, argumentiert Kammervertreter Frieder Hessenauer. Die Rauchentwöhnung beim Hausarzt verspreche dagegen mehr Erfolg.
Die "ärztliche Tabakentwöhnung" unterscheidet sich in einem Punkt von den Nichtraucherkursen: Vorgesehen ist auch der "fachgerechte Einsatz einer begleitenden medikamentösen Therapie", wie es in dem Papier der Ärztekammer heißt. Verhaltenstherapien seien besonders wirksam, wenn gleichzeitig Medikamente eingesetzt werden.
Im vorigen Jahr hatte der Pharmakonzern Pfizer das Mittel Champix auf den Markt gebracht, das als Wundermittel gegen Nikotinsucht gefeiert wurde. Experten bescheinigtem dem Medikament durchaus Erfolge - aber auch unklare Nebenwirkungen. Das Produkt war Ende letzten Jahres in die Diskussion gekommen, weil es angeblich zu Depressionen und Suzidgedanken führe. Auch das zweite Rauchentwöhnungmittel Zyban geriet in die Kritik, nachdem britische Patienten über Krampfanfälle und Depressionen berichtet hatten. Beide Mittel sind - anders als Nikotinpflaster oder Kaugummis - verschreibungspflichtig und werden bislang nicht von der Kasse erstattet.
Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Carola Reimann, sieht den Vorstoß der Ärztekammer daher skeptisch. Sie plädiert für Entwöhnungskurse statt für Medikamente: "Beim Rauchen geht es um eine Verhaltensänderung." BERND KRAMER
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