Neues Kunstbuch: In einer kuratierten Welt
Isabelle Graws neues Buch „In einer anderen Welt. Notizen aus den Jahren 2014–2017“ erscheint im Mai. Ein Vorabdruck gibt Einblicke.
TISCHORDNUNG
D ie Tischordnungen bei den Dinnern nach Galerieeröffnungen sind auf besondere Weise hierarchisch motiviert und organisiert. Mit schöner Regelmäßigkeit wird hier ein Katzentisch für die Galeriemitarbeiter*innen eingerichtet, an den auch die als unbedeutender geltenden Kurator*innen oder Kritiker*innen gesetzt werden. Den zentralen Platz am wichtigsten Tisch nimmt selbstredend die/der ausstellende Künstler*in ein, flankiert von ihrer/seiner Galerist*in und den potentesten Sammler*innen. Wie bei Hofe geht es von Tisch zu Tisch dann stufenweise abwärts – bis zum Fußvolk.
Gestern, während eines solchen Dinners, kam mir zum ersten Mal der Gedanke, dass es bei diesen Tischordnungen nicht nur darum geht, die Rangordnungen der Kunstwelt abzubilden und zu reproduzieren, sondern auch darum, überraschende Querverbindungen zu verhindern. Wenn zum Beispiel die schwerreiche Sammlerin exklusiv von der Galeristin betreut und abgeschirmt wird, dann kann erstere keinen Kontakt zu anderen Gästen aufnehmen, die sie eventuell auch beraten oder ihr etwas verkaufen könnten.
Qua Tischordnung wird also im Grunde genommen ein protektionistisches System konserviert. Kritiker*innen spielen nur eine marginale Rolle in dieser Ordnung, wobei in den letzten Jahren mit dem Eintritt der Gesetze der Celebrity-Kultur in die Kunstwelt zunehmend dafür gesorgt wurde, dass neben den Vertreter*innen der Fachpresse auch die Lifestyle-Presse erscheint. Leute aus der Fashion-Szene sind inzwischen ebenfalls gern gesehene Gäste.
„In einer anderen Welt“ erscheint Mitte Mai im Verlag edition cantz (192 Seiten, 26 Euro). Die „Notizen aus den Jahren 2014–2017“ behandeln Erlebnisse und Gedanken, die nicht in Graws kunsthistorische Texte einfließen. Die persönlichen, aber auf ihre gesellschaftliche Dimension hin befragten Beobachtungen sind am schönsten im Vorabdruck zu erfahren.
Mithilfe dieser Dinner wird eine soziale Ordnung etabliert, die nicht umgestoßen, sondern nur – etwa in Form eines Platzwechsels – punktuell leicht verschoben werden kann. Entsprechend fangen die Gäste schon beim Dessert damit an, sich endlich frei zu bewegen und andere Plätze einzunehmen. Zuvor waren sie stundenlang auf ihrem Stuhl festgenagelt, zum Gespräch mit den Leuten verdammt, die ihnen als Tischnachbar*innen zugewiesen wurden. Jahrelang bin ich grundsätzlich neben ältere, konservative Herren gesetzt worden, wohl in der Hoffnung, dass ich sie mit provozierenden Bemerkungen ein wenig unterhalten würde.
Mein der Kunstwelt nur am Rande zugehöriger Lebenspartner hingegen findet sich im Rahmen dieser problematischen Hierarchie oft weit abgeschlagen neben dem Grafiker der Galerie oder einer Künstlerwitwe sitzend wieder, wobei letztere neulich aus Protest gegen ihre sichtbar marginale Platzierung demonstrativ früh nach Hause ging. Es ist im Übrigen auch anstrengend und unerquicklich, sich die impliziten Hierarchien der Tischordnung auf diese Weise zu vergegenwärtigen.
Denn einmal mehr sieht man sich mit der Feststellung konfrontiert, dass man innerhalb dieses sozialen Universums aus der Sicht der Gastgeber*innen einen bestimmten Platz einnimmt. Man wähnte sich zwar längst woanders, wird aber mit Wucht auf seinen eigentlichen Platz innerhalb dieser Rangordnung verwiesen. Dort sitzend erscheint das Aufbrechen dieser Festschreibung wie ein Ding der Unmöglichkeit.
BIOPOLITIK AUF IBIZA
Auf dem wasserfesten Armband, das zum vergünstigten Eintritt ins Space berechtigte, stand es kleingedruckt: Noch mehr Rabatt bekäme man, wenn man sich das Motto der Party als Tattoo in die Haut ritzen lasse. Mittels Tätowierung steigt man so zum lebenslangen Mitglied der Space-Community auf, wofür man im Gegenzug einen kleinen Preisnachlass erhält.
geb. 1962 in Hamburg, ist Herausgeberin der Zeitschrift „Texte zur Kunst“. Seit 2002 lehrt sie als Professorin für Kunstgeschichte und Kunsttheorie an der Staatlichen Hochschule für bildende Künste – Städelschule in Frankfurt am Main. Letzte Publikation: „Die Liebe zur Malerei. Genealogie einer Sonderstellung“, 2017. Graw lebt in Berlin.
Das ist Biopolitik im fortgeschrittenen Stadium: Der Körper wird zum Gegenstand eines Club-Marketings, das sich unmittelbar in ihn einzuschreiben versucht, indem es auf die freiwillige Mitarbeit des Körperträgers zielt. Es geht letztlich darum, die Party-People noch intensiver und tiefgreifender an den Club zu binden.
Den Leuten, die sich dieses Tattoo tatsächlich stechen lassen, wird das Gefühl gegeben, einer bestimmten Club-Community anzugehören – ein Privileg, das im vergünstigten Eintritt seine Bestätigung findet. Wer sich auf diesen Deal einlässt, muss aber auch dazu bereit sein, den eigenen Körper als einen Einsatz zu sehen, der lebenslang einer anderen Macht (in diesem Fall dem Club) überantwortet wird.
LABELS IM SAMMLERMUSEUM
Dass neben öffentlichen Museen zunehmend Sammlermuseen entstehen, ist kein neues Phänomen. Doch anders als die europäischen privaten Sammler*innen, die mit ihren Ausstellungen oft einen quasi-wissenschaftlichen Anspruch erheben, haben die großen amerikanischen Privatsammler*innen in diese Richtung kaum Ambitionen.
Schon die neben den Kunstwerken hängende Beschilderung in den privaten Museen in Miami vermittelt ausschließlich die subjektive Sicht der Sammler*innen. Die Labels in der Rubell Family Collection erzählen beispielsweise von persönlichen Begegnungen mit den Künstler*innen, von Dates, Drinks und Dinner-Verabredungen, sind also prall gefüllt mit Anekdoten, die an die Stelle einer wissenschaftlichen Erläuterung treten.
Oft sind diese Texte in Ich- oder Wir-Form verfasst, was keinen Zweifel an ihrem persönlichen Zuschnitt lässt. Geradezu ausschweifend erzählen die Sammler*innen aus ihrem Sammlerleben, berichten von plötzlichen Eingebungen und Vorlieben. Das Label, das zuvor der sachlichen Erläuterung des Kunstwerks diente, ist zu einer Art Sammler-Tagebuch geworden. Damit werden die Sammler*innen zu ebenbürtigen Akteur*innen erklärt, denen genauso viel Bedeutung zukommt wie den Urheber*innen der ausgestellten Werke.
Qua Beschilderung reklamieren sie für sich die Rolle eines Meta-Autors. Den Sammler*innen gehört nicht nur das Gebäude und die darin präsentierte Kunst, sie sind neben den Künstler*innen auch für die Produktion von Bedeutung verantwortlich. Die Persönlichkeit der Sammler*innen, ihre Vorlieben werden auf diese Weise für entscheidender erklärt als das in den Kunstwerken potentiell Auf-dem-Spiel-Stehende. Das Sammlerego hat hier solche Ausmaße angenommen, dass es das von ihm Gesammelte zu überstrahlen beginnt.
TRY ME I AM TEA
Auf der Münzstraße lädt eine Thermosflasche vor einem Lifestyle-Geschäft das Laufpublikum dazu ein, sich zu bedienen. Vor der Flasche ist eine Karte mit den Worten „try me I am tea“ aufgestellt worden, was die Flasche buchstäblich zum Sprechen bringt: Sie fordert uns (natürlich auf Englisch) dazu auf, von ihr zu probieren, weil sie Tee sei. Der Tee selbst fordert uns gleichsam dazu auf, ihn zu trinken. Als Ware lebt dieser Tee so, wie Karl Marx es in seinen Überlegungen zum Fetischcharakter der Ware beschrieben hat: Er wirkt selbsttätig und spricht.
Mithilfe der Karte werden animistische Projektionen bei den Passant*innen ebenso aktiviert, wie sie das Objekt in etwas Quasi-Lebendiges verwandelt, das uns vertrauensvoll zuruft: „Probier mich ruhig, ich bin nur Tee.“ Einige Leute stehen mit Pappbechern herum und sind der Aufforderung der Thermoskanne offenkundig nachgekommen. Erstaunlich, dass das demokratische, auch in der Kunstwelt verbreitete Ideal der „Partizipation“ inzwischen derart weite Kreise zieht.
Der angebotene Tee trotzt aber auch gut der augenblicklichen Kälte, da man sich am heißen Getränk, wenn man den Becher eng umfasst, die Hände wärmen kann. Vielleicht ist das Ganze aber auch einfach nur symptomatisch für den Strukturwandel dieser Gegend, in der zahlreiche Einzelhandelsgeschäfte und zuletzt sogar der kleine Kiosk schließen und Boutiquen weichen mussten. Passend zu diesen Entwicklungen verwandelt sich jetzt auch mein alltäglicher Gang zur Reinigung in ein kuratiertes Erlebnis, das einem Galeriebesuch gleicht.
LINKE MÄNNER
Meine Freundin J. hat recht: Oft sind linke Männer (oder Männer, die sich „links“ wähnen) das viel größere Problem. Mit einigen von ihnen ist häufig schwerer umzugehen als mit den Macho-Typen, die ihre sexistische Herablassung Frauen gegenüber demonstrativ vor sich hertragen. Es gibt natürlich auch linke Männer, die die Lektionen des Feminismus verinnerlicht und feine Antennen für ihre restsexistischen Reflexe ausgebildet haben.
In der Zusammenarbeit mit Frauen gelingt es diesen, jegliches Dominanzgebaren zu vermeiden. Sie sind so selten wie angenehm. Doch leider existieren daneben zahlreiche linke und offiziell mit dem Feminismus sympathisierende Männer, die die Arbeit ihrer weiblichen Kollegen auf subtile und kaum greifbare Weise geringschätzen. Oft übergehen sie deren Arbeit einfach, schweigen sie tot und/oder beziehen sich erst gar nicht auf sie.
Auch im persönlichen Gespräch mit der Kollegin vermeiden sie jede Frage nach dem Stand ihrer Arbeit tunlichst, als gäbe es diese gar nicht. Neben diesen Techniken des Zum-Verschwinden-Bringens findet sich bei zahlreichen linken Männern eine Vielfalt an subtilen Herabsetzungsmethoden, die häufig im Gewande des Lobes daher- kommen. Ein Beispiel: Ausgerechnet heute, an meinem Geburtstag, habe ich eine E-Mail eines linken Kollegen erhalten, die eigentlich nett gemeint war und doch von feiner Diskriminierung zeugte.
Er berichtete mir darin von einem Freund und Kollegen, der voller Anerkennung für einen Vortrag von mir gewesen sei. In diesem Vortrag habe sich gezeigt, dass ich viel gearbeitet hätte und jetzt eine „richtige“ Marxistin wäre. Der Paternalismus, der mir und meiner Arbeit in diesem zwiespältigen Lob entgegenschlug, war erstaunlich.
Wie einem Schulmädchen stellten mir Männer ein Fleißkärtchen aus und teilten mir durch die Blume mit, dass sie meine Arbeit nun, da ich so viel und brav geforscht hätte, endlich ernst nähmen. Mir wurde nun Zugehörigkeit attestiert, allerdings zu den von ihnen festgelegten Bedingungen, letztlich bin ich aus ihrer Sicht eine gelehrige Schülerin geblieben, der man ermutigende Worte mit auf den Weg gibt. Und so etwas passiert mir mit 55!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind