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Neues Hörfunk-ProgrammBanalisiertes Hessen

Aus dem renommierten Hörfunk-Programm HR2 Kultur soll ein schnöder Dudelfunk werden. Anspruchsvolles will man ins Digitale auslagern.

Der Hessische Rundfunk will seinen Kultur-Sender HR2 umwandeln Foto: dpa

Kultur ist Sache der öffentlich-rechtlichen Sender, dafür sind nicht zuletzt die Rundfunkgebühren vorgesehen. Aber Kulturinhalte sind kein Massenprogramm. Für ARD, ZDF, Deutschlandradio und Co. scheint das ein Problem zu sein. In der Auseinandersetzung um ihre Daseinsberechtigung, mit Blick auf Gebührendiskussion, auf digitalen Wandel und auf ein Publikum, das im Schnitt gut über 60 Jahre alt ist, fällt den Verantwortlichen in den Anstalten oft nichts Besseres ein als zu sparen. Und zwar an der Qualität und Komplexität des Programms. Das passiert aktuell auch beim Hessischen Rundfunk (HR). Der Kulturradiosender HR2 Kultur soll komplett umgewandelt werden.

Wichtigstes Argument beim HR: Zu wenige schalten ein. Zwischen 90.000 und 100.000 täglich waren es zuletzt. Zum Vergleich: Die drei Sender von Deutschlandradio kommen auf etwas mehr als 2 Millionen Hörer pro Tag. Künftig soll das Angebot sich auf „anspruchsvoll präsentierte klassische Musik und attraktive Inhalte aus und für Hessen mit klarem Blick auf das hessische Musikleben“ konzentrieren und so den Bedürfnissen von Hörerinnen und Hörern folgen, wie der Sprecher des Hessischen Rundfunks, Christoph Hammerschmidt, ankündigt. Im Klartext: weniger Berichterstattung, Wegfall von Magazinen und keine anderen Kulturinhalte mehr – außer klassischer Musik.

Hochwertige Magazine wie „Kulturfrühstück“, „Der Tag“ oder „Doppelkopf“ werden in der bisherigen Form dann nicht mehr stattfinden. Eine Projektgruppe soll erst in den nächsten Monaten die konkrete Ausgestaltung übernehmen.

Und die Mitarbeiter? Die sollen die Vorschläge laut offizieller Version offen aufgenommen haben. Ein HR-Insider, der nicht genannt werden möchte, sagt etwas anderes: „Der Unmut in der Redaktion war unübersehbar, der Sender soll zu einer reinen Abspielstation von Musik abgewickelt werden.“ Man habe „bewusst die Ferienzeit gewählt“, um die Pläne zu verkünden.

Abwrackpläne für HR2

Zwar sollen Teile des bisherigen Programms in andere Sender oder in die große weite digitale Welt verlagert werden, dennoch wird die öffentliche Entrüstung von Mitarbeitenden und Kulturszene wohl nicht ausbleiben. „Es wird dort ja nicht nur über Kultur berichtet, sondern auch Kultur generiert, etwa in Zusammenhang mit dem Deutschen Jazz- oder dem Rheingau-Musikfestival“, sagt ein dem Sender nahestehender Beobachter.

Der verweist außerdem darauf, dass derzeit neben 20 festen Mitarbeitern auch rund 100 Freie für HR2 Kultur arbeiten. Auf Sitzungen der Leitungsebene seien Aussagen gefallen‚ wie die, dass da ja vielleicht auch jemand früher gehen wollen könne.

Wichtigstes Argument beim Hessischen Rundfunk: Zu wenige schalten HR2 Kultur ein

Das bisherige Publikum von HR2 Kultur wird mit einem reinen Klassikabspielsender kaum zufriedengestellt werden können. Denn die Qualität des Angebots besteht ja bislang eben darin, dass Hintergründe zu bestimmten Werken oder Aufnahmen besprochen oder auch Lesungen übertragen werden. Man erfährt Neues, statt Altbekanntes serviert zu bekommen.

Letztlich seien die Abwrackpläne für HR2 in eine Gesamtstrategie eingebettet, heißt es aus der Sendergeschäftsleitung, um sich „zukunftsfähig“ aufzustellen. Ziel des Veränderungsprozesses sei es, digitale Produkte grundsätzlich zu stärken und für alle Zielgruppen auszubauen. Einen besonderen Schwerpunkt bilden dabei Formate für Menschen unter 35 Jahren. „Wir wollen uns lieber auf wenige, aber erfolgversprechende Produkte und Themenbereiche konzentrieren.“ Die Veränderungen betreffen also das ganze Haus HR – und werden bei den verunsicherten Mitarbeitenden auch in Zukunft für Zündstoff sorgen.

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8 Kommentare

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  • Die Tendenz, anspruchsvolle Hörangebote auf digitales DAB+ zu verbannen, kommt einer Abschaltung des Programms gleich. Gerade hat der niedersächsische Landtag mit den Stimmen aller Fraktionen den Ausstieg aus dem geschieterten DAB+ gefordert, das bis 2025 rund 500 Mio € aus Mitteln der Rundfunkabgabe verschlingen wird. In Norwegen ist nach dem Ende von UKW die Nutzung des Radios zurückgegangen. Aber bei uns versucht man mit allen Mitteln, das gescheiterte Digitalradioprojekt durchzusetzen - zu Lasten der Vielfalt und der Kultur! Siehe auch: medienfresser.blog...chsen-fordert.html

    • @Philippe Ressing:

      Nachtrag: 100 000 HörerInnen für die HR-Kulturwelle - bei rund 10 Mio Einwohnern im Sendegebiet ist nicht schlecht. Der SWR kommt in BaWü und Rheinland Pfalz auch so um die 300 000 Nutzerinnen - mit deutlich mehr Einwohnern.

  • Der HR bleibt einfach auf Kurs, vor einigen Jahren wurde HR 2 ja schon einmal um zentrale Sendungen beschnitten, mit dem Ergebnis, dass Stammhörer vergrätzt wurden. Darüberhinaus wurde Klaus Walter erst zu HR 3 verschoben und um eine Stunde gekürzt (damals in der SPEX jahrelang bundesweit beliebteste Radiosendung im Leserpoll), bevor er ganz entsorgt wurde. Aus dem anspruchsvolleren HR XXL wurde im Handumdrehen der Privatpopdudelfunk-Klon YouFM mit inhaltslosem Gesabbel, Werbe-Verlosungen und Gekreisch. Wenn man dem Publikum nur noch Grütze serviert, muss man sich nicht wundern, wenn es abwandert. Immer gut in diesem Zusammenhang auch „Publikumsbefragungen“ durch unfähige Dienstleister, die nur geschlossene Fragen auswerten und dabei lediglich eine Auswahl aus dem real-existierenden Grütze-Pool (Musi, Schlager, Chartspop-Varianten) ermöglichen. So macht man den ÖR seit Jahrzehnten immer noch ein bisschen braver und irrelevanter, bis er durch einen beliebigen durchhörbaren Balearic-Stream ersetzt werden kann. In diesem Sinne erfüllen die Anstalten die Forderungen der Rechten (Verflachung + Regionalpatriotismus, Ziel Abschaffung) unter der Schirmherrschaft sämtlicher Landesparlamente seit den 80ern von ganz alleine. Ideen für relevante, spannende und nicht auf bloße Muzak reduzierbare Inhalte werden sicher geblockt. denn eine Vision von Radio für eine lebendige Gesellschaft ist auf der Leitungsebene nicht mehr vorhanden, „Bloß nicht anecken“ die sicherste Überlebensstrategie.

  • Wenn dadurch DAB+ (das Digitalradio) gestärkt wird - nur zu. Hier in BY hat der BR sein tägliches einstündiges Volksmusikprogramm aus BR1 auf das Digitalradio verlagert. Da ist aus einer Stunde dann ein 24h-Vollprogramm (BR-Heimat) entstanden und man glaubt es kaum der Anteil der anfänglichen Meckerer ist inzwischen nur noch gering. Man muss halt ein Radio mit DAB+ neu kaufen. Was soll's, beim digitalen TV hat es ja auch geklappt. Und ein DAB+-Radio ist inzwischen von der "Wühltheke" des örtlichen Discounters unter 30€ zu haben.

    • @Angie:

      Zusatz: Wenn der analoge UKW-Rundfunk zum "Dudelfunk" verkommt, dann werden die anspruchsvollen Hörer schon auf Digitalradio wechseln.

      • @Angie:

        Oder eben einfach kein Radio mehr hören...

  • Zitat: „Aber Kulturinhalte sind kein Massenprogramm. Für ARD, ZDF, Deutschlandradio und Co. scheint das ein Problem zu sein.“

    „Das ist ganz natürlich und erklärlich“ hätte Meister Eders Pumuck dazu gesagt.

    Wer einem Radiosender einen Bildungsauftrag überträgt und meint, damit hätte er seiner Verantwortung für die Kultur im Land Genüge getan, der braucht sich nicht zu wundern, wenn besagter Radiosender versagt. Ein Sender allein macht schließlich noch kein Lernlima. Schon gar nicht, wenn sein Angebot permanent konterkariert wird.

    Wir leben in einer Kultur, in der jeder, der eine Chance bekommt, sie zu nutzen hat. Basta. Nicht zu schaffen, was man sich auf Betreiben seiner Förderer vorgenommen hat, ist eine Schande hierzulande. Wer so was tut, der wird zur Strafe künftig ignoriert. Im besten Fall. Im schlimmsten Fall wird er geschasst und kriegt nie wieder eine Chance. Für eitle Menschen mit, nun ja, gehobenen Ansprüchen ist das ein mittleres Problem. Die einzig mögliche Reaktion auf derartige Kränkungen ist für solche „Macher“ ein öffentlich sichtbarer (erweiterter) Selbstmord – oder doch wenigstens, einem eventuellen Mörder freiwillig ins Messer zu rennen.

    Wer entscheidet eigentlich, dass „zu wenige ein[schalten]“? Ich meine: Wer darf auf welcher Rechtsgrundlage und auf Basis welcher fachlichen Qualifikation festlegen, welche Zahl groß genug ist? Ich meine: 100.000 Leute machen eine kleine Großstadt hierzulande. Das sind nicht wenige. Schon gar nicht, wenn man unterstellt, dass diese 100.00 Leute kultiviert genug sind, andere zu beeinflussen. Wer also dürfte sich erdreisten zu entscheiden, dass Dudelfunk besser ist, weil er mehr Leute unterhält?

    Doch höchstens einer, dem Kultur am Arsch vorbei geht und das Klima so egal ist wie VW. Solche Leute sollten gar nichts zu sagen haben, finde ich. Nicht beim Radio und auch sonst nirgendwo. Im Grundgesetz steht, man darf sie bestreiken. Und: Nein, gezwungen wird man dazu nicht.

    • @mowgli:

      Ja, der Sinn des ÖR von 1950 - den Menschen überhaupt Medien bieten stimmt halt nicht mehr. Heute muss es die Aufgabe des ÖR sein die gute Nische zu sein für die, denen Werbedudelfunk Schmerzen im Gehirn bereitet.