piwik no script img

Neues Buch von Reinhard Kaiser-MühleckerRückkehr ins Alpenvorland

Die Liebe zum Ziehvater vor dörflicher Kulisse: Reinhard Kaiser-Mühleckers neuer Roman „Brennende Felder“.

Dunkle Wolken ziehen über das Alpenvorland Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Seit „Fremde Seele, dunkler Wald“ handeln die Romane des österreichischen Autors Reinhard Kaiser-Mühlecker von einer Bauernfamilie im Alpenvorland. Die moderne Welt hat sich hier mit einer auf Betonstelzen stehenden Autobahn sinnbildlich eine Schneise durch Landschaft und Menschen geschlagen. Das Dorf, an dessen Rand der Hof der Familie liegt, wurde dabei mehr und mehr zum reinen Wohnort.

In Kaiser-Mühleckers neuem Roman, „Brennende Felder“, wird ein weiterer Teil der Familiengeschichte erzählt, diesmal aus der Perspektive von Luisa, der Schwester von Alexander, dem Berufssoldaten aus „Fremde Seele, dunkler Wald“, und von Jakob, der in „Wilderer“ im Zentrum stand, und der als Einziger noch Landwirt ist und den Hof der Familie weiterführt.

Luisa war früh von zu Haus ausgezogen, war erst mit einem Schweden und dann mit einem Deutschen zusammen und hat in Kopenhagen und Göteborg gelebt. Doch die Ehen gingen zu Bruch. Die dominanten Männer sorgten dafür, dass die Kinder, die sie mit beiden hat, bei ihnen blieben. Nach erfolglosen Versuchen, daran etwas zu ändern, und um die Situation nicht noch zu verschlimmern, findet sich Luisa mit ihrem Schicksal ab, zieht nach Hamburg, von wo aus sie ihre Kinder besucht.

Doch dann steht eines Tages Bob vor ihrer Tür, der eigentlich Robert heißt, und den sie lange für ihren Vater gehalten hatte. Aber, wie sie mit fünfzehn bei einem Streit mit ihrer Mutter erfährt, ist er nicht ihr biologischer Vater.

Der Roman

Reinhard Kaiser-­Mühlecker: „Brennende Felder“. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2024, 368 Seiten, 25 Euro

Gezeugt wurde sie nach einem Dorffest, bei dem ihre Mutter, um sich für die Untreue ihres Mannes zu rächen, einmal betrunken mit einem Fremden ins Bett gestiegen ist. Aber Bob ist auch sonst kein richtiger Vater gewesen, weil er während Luisas Kindheit fast immer abwesend war und Luisas älterem Bruder Jakob, obwohl er eigentlich noch zu jung war, die Bewirtschaftung des Hofs überließ.

Jugendliche Liebe bleibt

Angeblich mit irgendwelchen Projekten unterwegs war Bob ein Mann, den sie als Tochter geliebt hatte, ein Gefühl, das bei ihr auch als junge Frau nicht verschwand. Doch ihr Liebesgeständnis als Teenager hatte Bob nur mit einem „Du spinnst doch“ abgetan. Jetzt, zwanzig Jahre später, zieht er bei Luisa in Hamburg ein, wo sie zunächst auch leben, bis er es in der Großstadt nicht mehr aushält und sie zurück in das Dorf ins Alpenvorland gehen.

Für Luisa läuft vieles in ihrem Leben wortwörtlich schief. Allem ist sie entfremdet, der bäuerlichen Welt ihrer Herkunft wie dem Leben in der globalisierten Welt, in der der Ort der Herkunft für die eigene Identität nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Ausdruck dieser Entfremdung ist auch ihre Ziellosigkeit, ihre Passivität. Obwohl es ihr in Hamburg gefällt, gibt sie Bob nach und geht mit ihm zurück in das Dorf ihrer Kindheit.

Dort wollen ihre Mutter und ihr Bruder Jakob zwar nichts mehr von ihr wissen; und selbst zu Alexander, zu dem sie in ihrer Kindheit noch das engste Verhältnis hatte, kann sie die alte Vertrautheit nicht mehr herstellen; aber im Dorf kennt sie sowieso fast niemanden mehr und das Paar wird stillschweigend akzeptiert.

In dem großen Haus, das sie beziehen, fühlt sie sich wie in einer Glasglocke, wird von den Dorfbewohnern aus der Ferne mit einer gewissen Bewunderung beäugt, wahrscheinlich, wie sie vermutet, auch wegen ihrer Schönheit. Nahe kommt sie niemandem mehr.

Irgendetwas stimmt nicht

Die eigentliche Geschichte von „Brennende Felder“ beginnt hier, nach Luisas Rückkehr an den Ort ihrer Kindheit. An ihre Vorgeschichte erinnert sie sich in Rückblenden. Ihre prekäre Identität, die Fremdheit gegenüber den anderen, macht den ehemals vertrauten Ort für sie zum Rätsel. Irgendetwas stimmt hier nicht. Verstärkt wird dieses Gefühl auch dadurch, dass Bob, wie schon in der Kindheit Luisas, häufig ohne Erklärung verschwindet.

Reinhard Kaiser-Mühlecker erzählt die Geschichte von „Brennende Felder“ äußerst langsam und detailliert. Eine erzählerische Entschleunigung, die es dem Leser ermöglicht, genauer auf die Folgen der rasanten Veränderung durch die Globalisierung zu schauen. Unerwartete Wendungen und die Befürchtung, dass etwas in das Leben Luisas einbricht, macht den Roman trotz seiner Langsamkeit spannend.

Dem österreichischen Autor gelingt es auch in seinem neuen Buch, in der einerseits alltäglichen, andererseits extremen Geschichte dieser fiktiven, von der bäuerlichen Welt geprägten Familie generelle Probleme von Herkunft und Identität, Entfremdung und Gewalt so zu erzählen, dass sie auch denen, die nicht aus dieser Welt stammen, etwas sagen. Schreibweise und Thema seiner Romane machen Reinhard Kaiser-Mühlecker damit zu einem der außergewöhnlichsten und interessantesten deutschsprachigen Autoren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!