Neues Buch von Leonhard Horowski: Fragen eines denkenden Lesers
„Das Europa der Könige“ ist heißer Anwärter auf den Preis der Leipziger Buchmesse. Es zeigt die Rolle von Mätressen an europäischen Höfen.
In einer Zeit, in der in den Demokratien wieder einmal, skeptisch betrachtet, Autokraten die Macht übernehmen sowie Protz und Glanz zu politischen Insignien werden, darf ein Buch über eine nur noch für die Klatschpresse interessante Situation, die Monarchie, mit gesteigertem Interesse rechnen.
Am Freitag erscheint ein Buch des Historikers Leonhard Horowski, das in jeder Hinsicht das Etikett eines „Prachtbandes“ verdient. Und das nicht nur deshalb, weil sein Werk, „Das Europa der Könige. Macht und Spiel an den Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts“, 1.200 Seiten unterhaltsamster Historie umfasst, sondern auch, weil der Band insgesamt 32 in bester Farbtreue gehaltene Bildtafeln enthält.
Diese können das, worum es geht, nämlich Pracht, aber auch Schönheit und Ernst einer Epoche besser verständlich machen als mancher Text. Nicht zuletzt unterhält dieser Band auch durch die in ihm reichhaltig verwerteten „Ego-Dokumente“: Memoiren oder Autobiografien.
Gemeinhin wird das Verfassen von Autobiografien als eine vor allem bürgerliche Verhaltensweise, als Ausdruck einer gesteigerten Empfindsamkeit von Männern und Frauen – beginnend mit Rousseau – angesehen. Horowski kann darauf verweisen, dass diese literarische Gattung eine Ausdrucksform adliger Kreise in sämtlichen europäischen Ländern gewesen ist. Die verwendeten Quellen selbst stellen dabei keineswegs nur als solche gewollte Selbstzeugnisse dar, sondern liegen auch in Form von Briefen, Tagebucheintragungen sowie kritischen Glossen vor.
Leonhard Horowski: „Das Europa der Könige. Macht und Spiel an den Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts“. Rowohlt, Reinbek 2017, 1.200 Seiten, 39,95 Euro.
Lesung: 8. 3., Weißer Saal, Schloss Charlottenburg, Berlin, 19.30 Uhr.
Den Mätressen konnte die Schuld zugewiesen werden
Bekannt sind etwa die Briefe der Liselotte von der Pfalz. Weniger prominent die Briefe der Elisabeth Charlotte von Orleans, oder auch die Schriften und Berichte von John Quincy Adams, dem sechsten Präsidenten der USA, der im frühen 19. Jahrhundert Botschafter an verschiedensten damals noch monarchisch regierten Staaten von Portugal bis Preußen war.
Vor allem aber: Diese Quellen stammen zu einem großen Teil aus der Feder gebildeter Frauen! Damit hat Horowski ein neues Kapitel der Geschlechtergeschichte eröffnet. Mehr noch: Zudem liefert er in seinem Buch eine Untersuchung zu Rolle und Funktion königlicher Mätressen, die tatsächlich weit mehr waren als erotische Gespielinnen der jeweiligen Herrscher. Als Frauen von erheblichem Einfluss und großer politischer Macht nahmen sie zugleich eine wichtige soziale Funktion wahr: Im Falle von Legitimationskrisen der Höfe konnte ihnen die Schuld zugewiesen werden.
Horowskis bunt gewebter, kunstvoll verknüpfter Erzählteppich gehört zu jenen Büchern, die der Rezensent als Jugendlicher verschlungen hätte; erst bei dieser Lektüre kamen mir wieder die von Serge und Anne Golon verfassten Romane über „Angelique“ in den Sinn, die ich, nachdem beinahe alle Romane von Karl May ausgelesen waren, eines nach dem anderen mit heißer Stirn bis spät in die Nacht las. Indes: Horowskis Erzählung über „Macht und Spiel an den Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts“ ist weit mehr als nur allerbeste populärwissenschaftlich glänzend erzählte Geschichte.
Ludwig XVI. unterstützte die US-amerikanische Revolution
Nein, dieses Buch stellt nicht zuletzt mit Blick auf die Disziplin der Geschichtswissenschaft eine wissenschaftspolitische, methodologische, sehr ernst zu nehmende Kampfansage dar. Gleichsam eine volle Artilleriesalve auf den Gegner, nämlich die neuere Sozialgeschichte – ähnlich jenen ersten Salven, die die Kabinettskriege des Ancien Régime eröffneten. Im neunten Kapitel seines Buches setzt sich Horowski ausführlich mit jenen Kabinettskriegen und ihrer vermeintlichen größeren Menschenfreundlichkeit auseinander; die von ihm entfaltete Militärgeschichte verweist auf Details, die heute unglaublich wirken.
So soll ein spanischer Festungskommandant im Jahre 1667 seinem Belagerer, Frankreichs König Ludwig XIV., täglich frische Eiswürfel für dessen Limonade geschickt haben. Gleichwohl war die Gewalt nicht unbedingt gemildert, war doch das Todesrisiko der adligen und Offiziere keineswegs geringer als das der gemeinen Soldaten. Die Fallhöhe zwischen jenen Kämpfen und den Massenvernichtungsschlachten des Zweiten Weltkrieges oder den heutigen Drohnenkriegen ist unübersehbar. Die letzten Kapitel münden schlüssig in die Geschichte und Vorgeschichte der Französischen Revolution, die Horowski anders deutet als die herkömmliche Auffassung.
Seine dichte, detaillierte Beschreibung der letzten Jahre Ludwigs des XVI. weist etwa darauf hin, dass dieser König keine Mätresse mehr hatte, aber genau deswegen zum Sündenbock seiner selbst für Finanzkrise und Hungersnöte wurde. Eine eigentümliche Ironie der Geschichte wird durch den Nachweis kenntlich, dass die finanzielle und politische Unterstützung der US-amerikanischen Revolution wesentlich zu jener Finanzkrise beigetragen hat, die der Monarchie schließlich ein Ende setzte.
Horowski will sich absetzen
Das alles ist freilich noch kein Beweis für den oben vermerkten Angriff, die Salve auf die gegenwärtige Geschichtswissenschaft. Tatsächlich stellt Horowskis historiografische Materialschlacht nicht mehr und nicht weniger als eine bewusste und gewollte Abkehr einer erst in den letzten Jahrzehnten weithin akzeptierten sozialgeschichtlichen Vorgehensweise dar – eine Perspektive, die Horowski spöttisch den Historikern der bürgerlichen Epoche zurechnet.
Hätten doch sie ein Bild des Ancien Régime geprägt, gemäß dessen sich die Höfe in Ablenkung und Blindheit ergangen hätten, „während“, so Horowski spöttisch, „draußen in der Realität die unausweichliche Modernisierung passierte, jenes pfeilgerade Wundertier also, dessen einziger Zweck es immer ist, unsere tagesaktuell perfekte Gegenwart herbeizuführen“. Dieser Historiograf der alteuropäischen Monarchien weiß genau, wovon er schreibt und wovon er sich absetzen will.
Zwar wird der Soziologe Norbert Elias, der ein seinerzeit – 1933 – zunächst nicht publiziertes, dann 1963 emphatisch wiederentdecktes Werk über die höfische Gesellschaft verfasst hat, kurz erwähnt. Doch tut Horowski Elias’ soziologische Lektüre unter Hinweis auf dessen mangelnde Quellenkenntnisse schnell ab.
So viele Berichte. So viele Fragen.
Mit diesem „Europa der Könige“ liegt nicht mehr und nicht weniger als eine fulminant vollzogene Abkehr von vielen bisherigen Formen der Sozial- und Gesellschaftsgeschichte vor. Mit seiner konsequenten Konzentration darauf, wie es an den Höfen gewesen ist, legt der Autor ein materialgestütztes Plädoyer für einen neuen Historismus, eine positivistische Geschichtsbetrachtung vor, die erzählen will, wie es (angeblich) war.
Es wird der Fachwelt obliegen, zu entscheiden, wie sie auf diese Herausforderung reagiert. Freilich, es war kein Geringerer als Walter Benjamin, der in seinen geschichtsphilosophischen Thesen aus dem Jahr 1940 postulierte, dass die Einfühlung in den Sieger allemal den jeweils Herrschenden zugute kommt. Und dass niemals ein Dokument der Kultur ist, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein.
Bertolt Brecht, ein Freund Walter Benjamins, verfasste 1935 im dänischen Exil ein Gedicht unter dem Titel „Fragen eines lesenden Arbeiters“. In dem ist zu lesen: „Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer / Siegte außer ihm? / Jede Seite ein Sieg. / Wer kochte den Siegesschmaus? / Alle zehn Jahre ein großer Mann. / Wer bezahlte die Spesen? / So viele Berichte. / So viele Fragen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus