Neues Buch über das Muttersein: Perfektionismus deutscher Mütter
Die Journalistin Mareice Kaiser hat ein Buch über modernes Muttersein geschrieben. Unsere Autorin irritieren die viel zu hohen Ansprüche deutscher Mütter an sich selbst.
Als ich Mareice Kaisers Buch „Das Unwohlsein der modernen Mutter“ gelesen habe, bin ich wütend und traurig geworden. Fast so wütend, fast so traurig wie das Buch. Kaiser ist Journalistin und Chefredakteurin des feministischen Onlinemagazins edition f.
Im Jahr 2018 hat sie für zett.de einen Artikel über den gesellschaftlichen Druck geschrieben, der auf Frauen lastet, die Mutterschaft und Karriere unter einen Hut kriegen wollen, und wurde dafür mit dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet. Ihr neues Buch basiert auf diesem Artikel.
Ich bin fast eine deutsche Mutter jetzt – wohne seit 20 Jahren in Deutschland, und für 16 dieser 20 Jahre war ich eine Mutter. Vielleicht keine deutsche Mutter, aber immerhin eine Mutter in Deutschland. Und für die meiste Zeit Alleinerziehende. Ich wohne hier, erziehe hier, fühle mich unwohl hier. Ich hasse meine Kinder manchmal. Auch ich versuche, dass niemand es mir ansieht, dass ich die Art Mama bin, die manchmal ihre Kinder schlagen will.
Ich schäme mich dafür: für die Gewalt in mir, für das Unglück, die Unzufriedenheit, das mit Elternsein in diesem Land, in dieser Gesellschaft verbunden ist. Ich fühle mich manchmal leer. Wie eine Versagerin.
dieses Textes, Jacinta Nandi, ist Buch- und taz-Autorin und betreibt den taz-Blog „Riotmama“. Das Buch „Das Unwohlsein der modernen Mutter“ von Mareice Kaiser erschien am 20. April im Rowohlt Verlag.
In Mareice Kaisers Buch habe ich mich erkannt: in der Leere, im Kaputten. Deutschland ist anders als meine Heimat England, aber auch ähnlich: In beiden Ländern leben wir Mütter in einer Gesellschaft, die zu viel verlangt und uns zu oft alleine lässt. Es wird zu viel verlangt und dann, wenn die Mütter kaputt gehen, wird ihnen die Schuld daran gegeben. Daher kommt diese Leere und diese Einsamkeit.
Nie gut genug sein
Man weiß, als Mama kannst du nie gut genug sein. Denn du sollst nie gut genug sein. Es herrscht Victimblaming und Momshaming und man kann es nie jemandem recht machen. Man soll es niemanden recht machen. Denn die Idee der modernen Mutterschaft in Deutschland wie in England ist, dass man versagen muss – nur die Methodik ist in ihren Details anders.
Kaisers Buch beschreibt sehr genau diese Scham darüber, dass man nur „rechtzeitig“ die Kinder abholt aus dem Kindergarten oder dem Hort. Ich kenne diese Scham. Manchmal habe ich beim Rennen von der Straßenbahn zum Hort gedacht, ich hätte mich nicht mehr geschämt, wenn nun christliche Fundamentalist*innen mir an der Straße „Du Schlampe, du hättest doch abtreiben sollen!“ zugerufen hätten. Aber es gibt manches in Mareice Kaisers Buch, was ich nicht verstanden habe – und das hat mich irritiert. Ich wohne doch so lange hier und müsste es eigentlich verstehen. Will ich es einfach nicht verstehen?
An einer Stelle im Buch zum Beispiel steht, dass deutsche Mamas jetzt unter Druck stehen, wenn ihre Kinder Schnuller benutzen. Anscheinend sollen sie keine Schnuller benutzen. Das macht mich fassungslos. Keines meiner beiden Kinder nutzte Schnuller, aber mit beiden habe ich es lange versucht, Stunden und Stunden verschwendet, ihnen das Lutschen an einem Schnuller beizubringen. Beim Großen hat es nie geklappt, der Kleine war nur einen Nachmittag lang Schnullerkind – und ich stolz.
Es ist deprimierend, zu erkennen, dass etwas, bei dem ich versagt habe, von deutschen Müttern deklassiert wird. Wie kann es sein, dass ich nie bemerkt habe, dass wir nicht mehr Schnuller nutzen sollen? Ich kam mir vor wie diese Ostdeutschen, die plötzlich fragen, wer Cate Blanchett ist: Ich erinnere mich noch vage daran, dass es schlecht für die Zähne sein soll. Aber verboten? Seit wann? Was ist los mit mir? Was ist los mit Deutschland?
Es ist einfach: der Perfektionismus. Deutsche Mamas wollen perfekt sein, und du nicht. Du bist eine ausländische Schlampe, und es ist dir egal, wenn deine Kinder Schokolade essen. Ich finde, diese Erklärung haut nicht hin. Ich habe perfekte Kinder, und ich will für sie die perfekteste Mama sein. Aber irgendwie ist der Perfektionismus der deutschen Mama anders als meiner: er ist langweiliger, freudloser – deutscher eben.
Gurkenscheiben und Lustige Taschenbücher
Es hat mich damals genervt, als mein Teenager klein war und eine deutsche Freundin mir sagte, dass „Lustiges Taschenbuch“ lesen kein „echtes“ Lesen sei. Kaisers Buch hat mich oft daran erinnert. Tagelang dachte ich an die Stelle, wo sie erzählt, dass sie Gurken auf den Teller machte, obwohl sie wusste, dass das Kind sie wahrscheinlich nicht essen würde.
Das nervte mich nicht (das mache ich auch) – aber mich nervte ihre Anerkennung der Tatsache, dass sie diese Gurke nur für das Ansehen brauchte, nicht für das Kind. Es ging nur um den Akt, eine gesunde Gurke auf dem Teller zu platzieren, weil es so sein muss. Ich war sehr wütend darüber – und danach, beim Teller beschmücken, immer noch.
Wer, denkst du, dass du bist, wollte ich das Buch anschreien. Ich dachte an meine Mama, die immer ein bisschen „Grün“ auf den Teller legte, „nur zur Deko“, und wenn wir gesagt haben, „Mama, wir essen kein Gemüse“, sagte sie immer, „ist doch nur Deko“, und hat wie eine Hexe gelacht. Meine Mama fand’s okay, wenn wir das grüne Zeug nicht aßen, während die deutschen Mütter sich Vorwürfe machen, nur aus Statusgründen den Teller zu schmücken? Warum sind deutsche Mütter so hart mit sich?
Die deutschen Eltern von heute, das beschreibt Kaiser sehr genau, finden die deutsche Kindererziehung, die sie selbst bekamen, besonders gewalttätig, besonders grausam, sehr deutsch, weil es auch mit der Nazizeit zu tun habe. Aber ich finde diese Gewalt nicht deutsch. Auch ich bin, wie alle Kinder damals aus meiner Schule in Großbritannien, zu Hause geschlagen worden. Was mir eher deutsch vorkommt, ist die Art und Weise, wie man versucht, die Gewalt in den eigenen Eltern und in sich selbst zu leugnen und zu verdrängen.
Vielleicht führt das zu dieser Leere, die mir leerer vorkommt als die Leere in mir? Kann eine ausländische Mama in Deutschland sich jemals so sehr hassen wie eine deutsche Mama? Vielleicht muss dieser Perfektionismus sich härter anfühlen, wenn man Teil der Gesellschaft war, bevor man Mutter geworden ist – und Ambitionen hatte. Die Wahrheit ist, bevor ich Mutter wurde, war ich nicht Teil der Gesellschaft, und nach zwanzig Jahren hier bin ich immer noch draußen. Ich soll eigentlich gar keine deutsche Mama sein. Und jeder weiß das, die AfD weiß das, aber auch die Grünen.
Mamas sollten weniger ambitioniert sein
Erst, als ich meinen Großen gebar, hatte ich endlich Recht auf Sozialhilfe. Durch seine Geburt bin ich quasi ein Mensch in Deutschland geworden – anders als die deutschen Mütter, die so unglücklich sind, weil ihre Kinder sie Geld und Karriere gekostet haben, hat meins, (erzählt das bitte nicht Beatrix von Storch) mir Sicherheit und ein Existenzminimum gegeben.
Ich will damit nicht sagen, die deutschen Mamas seien selbst schuld an ihrem Unwohlsein. Das wäre zu einfach und zu verlockend. „Habt euch nicht so, ihr Helikopter-Mamas!“, sagen in Deutschland ja oft dieselben Leute, die, wenn ein Kind später als 21 Uhr ins Bett geht oder seine Mütze verliert, sofort das Jugendamt anrufen.
Ich finde nicht, dass deutsche Mamas sich ändern müssen, auch wenn ich keine bin. Ich finde nicht, dass deutsche Mamas weniger ambitioniert sein sollten. Die deutsche Gesellschaft sollte ambitionierter sein, die Mamas mit ihrem Unwohlsein nicht alleinzulassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Zoff zwischen SPD und Grünen
Die Ampel? Das waren wir nicht!
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär