Neues Album von Michael Kiwanuka: Nach Retro die Sintflut
Der britische Sänger Michael Kiwanuka kommt mit seinem neuen Album auf Tour. In seiner Musik vereint sich Soul mit Funk und Gospel.
Michael Kiwanuka behauptet von sich, er sei nicht besonders sozial veranlagt. Dabei wirkt der Musiker beim Interview nicht wie ein einsamer Wolf. Er redet wie ein Wasserfall, bezeichnet sich aber als introvertiert. „Andere lieben es, Menschen um sich zu haben“, sagt er. „Ich hänge gern allein meinen Gedanken nach.“ Das spiegelt das düstere Stück „Solid Ground“ von seinem neuen Album „Kiwanuka“ wider.
Die Lieder des Briten waren schon immer Analysen seines Egos – manchmal unterfüttert mit Gesellschaftskritik. Die erste Single seines zweiten Albums „Love & Hate“ hieß „Black Man in a White World“ und handelte von Selbstzweifeln. Während seiner Kindheit im Nordlondoner Viertel Muswell Hill habe er sich als Außenseiter gefühlt. „Die Nachbarn waren wohlhabender als wir“, erinnert er sich. „Ich schämte mich dafür, dass wir kein Haus hatten, sondern nur eine Wohnung.“
Was das mit ihm gemacht hat, erklärt sein Song „You Ain’t the Problem“. Da singt Michael Kiwanuka: „I used to hate myself.“ Doch dann überwindet er seine Zweifel, indem er erkennt: „Time heals the pain.“ Stimmt das? Der 32-Jährige antwortet prompt: „Durchaus. Ich musste dafür aber aufhören, mich dauernd mit anderen zu vergleichen.“
Zwischen Selbstzweifeln und innerem Gleichgewicht
Diese Erkenntnis wuchs mit jeder Sprosse, die Michael Kiwanuka auf der Erfolgsleiter erklomm. Nach einem Jazzstudium an der Royal Academy of Music, schlug er sich als Studiomusiker durch. Bis er 2011 einen Plattenvertrag bekam. Sein souliges Debütalbum „Home Again“ katapultierte ihn 2012 europaweit in die Charts, mit dem Nachfolger „Love & Hate“ gelang ihm 2016 der Sprung an die Spitze. „Mir wurde klar: Je mehr ich den Fans mein Ich zeige, desto mehr lieben sie meine Musik.“
Dennoch stürzte er während der Aufnahme seines neuen Werks in eine Krise. In einem Studio in Los Angeles saß er dem US-Produzenten Danger Mouse gegenüber und haderte mit seinen Kompositionen: „Plötzlich kehrten meine alten Selbstzweifel zurück.“ Was tun? Er gönnte sich eine Pause. So fand er schließlich sein inneres Gleichgewicht wieder. In einem New Yorker Studio machte er sich abermals an die Arbeit, Texte und Soundideen brachen förmlich aus ihm heraus.
Michael Kiwanuka: "Kiwanuka" (Polydor/Universal); 27.11. "Essigfabrik" Köln; 3.12. "Huxley's Neue Welt" Berlin; 4.12. "Batschkapp" Frankfurt
Soul ist in seiner Musik allgegenwärtig, er dekliniert ihn in seiner gesamten Bandbreite durch – mal mit einer Prise Funk verfeinert, mal mit einem Schuss Gospel. Bei „Hero“ ist das Tempo anfangs gedrosselt, im weiteren Verlauf schürt ein bedrohliches Gitarrencrescendo die Spannung.
Müssen Helden früh sterben?
Inhaltlich positioniert sich Michael Kiwanuka gegen Unsicherheit, für mehr Stärke – inspiriert von dem Black Panther Fred Hampton: „Er stand für das ein, woran er glaubte. Das kostete ihn sein Leben.“ Wie Martin Luther King zählt auch jener heute vergessene US-Bürgerrechtler zu seinen Idolen: „Diese großen Persönlichkeiten hatten so viel zu sagen und wurden ermordet. Ich fragte mich: Muss man früh sterben, um ein Held zu werden?“
Während dieser Song die Vergangenheit fortschreibt, deutet „Final Day“ wie eine düstere Vorahnung in die Zukunft. Dieses Lied wirkt wie eine Episode aus einem Sci-Fi-Roman, musikalisch fällt es mit 80er-Jahre-Beats und Astronauten-Sample aus dem Rahmen. „Ich beschwöre damit die letzten Tage der Menschheit herauf“, erklärt Michael Kiwanuka.
„Wegen des Klimawandels wird unsere Spezies wohl bestenfalls noch 150 Jahre existieren.“ Eigentlich müsse das allen bewusst sein, es fehle allerdings an der nötigen Konsequenz: „Die Mehrheit lebt einfach weiter wie bisher. Wir steuern mit offenen Augen auf den Untergang zu.“
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