Debütalbum von Sudan Archives: Kannst du mich bitte zudecken?
US-Produzentin Sudan Archives fegt den Staub von der Geige. Ihr Debütalbum „Athena“ hat zwingende R&B-Songs und funktioniert ohne das Wörtchen Love.
Es ist eine etwas andere Skulptur, die Sudan Archives’ Debütalbum „Athena“ ziert. Denn statt in langer Robe und mit wallendem Haar ganz im Stil der römischen Abbilder von Göttern inszeniert sich die 24-jährige US-Elektroniksoul-Produzentin selbst als Statue der namensgebenden Athene. Und das eben ganz modern mit Undercut und Ponyschnitt. Aber nackt und auf einem Sockel stehend. Statt Speer und Schild der Kriegsgöttin hält Sudan Archives’ Bildnis jenes Instrument in die Höhe, das sie bekannt gemacht hat: die Geige.
Natürlich ist der Albumtitel kein Zufall. Die Figur aus der griechischen Mythologie ist die Göttin des Krieges, aber auch der Weisheit, Strategie und Kunst. Sie gilt als gerecht sowie listig. Zwei Eigenschaften, die sich ergänzen, aufeinander wirken oder sogar im Widerspruch stehen. Das gehört zum Sound von Brittney Denise Parks, besser bekannt als Sudan Archives, den sie 2017 und 2018 auf mehreren EPs und hochgelobten Tracks, wie „Nont for Sale“ oder „Come Meh Way“präsentierte.
Als Sudan Archives kreiert Parks eine hypermoderne Version von R&B, bei dem das klassische Instrument zum hypnotisierenden Rhythmusgeber wird. Ihren Geigensound verbindet sie mit selbst programmierten Beats und einer Stimme, die mal sanft verletzlich, mal fordernd und draufgängerisch wirkt. Eine Inspirationsquelle für ihren Genremix ist die Musik von Geigern aus Sudan und Ghana. Das Besondere: Die Künstler nutzen das Instrument, was traditionell alleine steht, und kombinieren ihre Singstimme dazu.
Dualität als Leitmotiv
Das Prinzip von Dualität ist das Leitmotiv in „Athena“. Es ist der Frau mit der gefühlvollen Stimme und dem punkigen Avantgardestyling wohlbekannt, schließlich wächst sie gemeinsam mit einer Zwillingsschwester in Cincinnati, Ohio, auf. Als Teenager probierten sich die Geschwister mit der Unterstützung ihres Stiefvaters als Popduo aus.
Diese Idee scheiterte zwar, änderte aber nichts an Sudan Archives’ Interesse an einer Karriere als Musikerin. Schon im Kindesalter brachte sie sich selbst bei, Geige nach Gehör zu spielen, mit 19 Jahren zog sie mitsamt der Geige nach Los Angeles. Dort heimste sie einen Vertrag beim renommierten Indie-HipHop-Label Stones Throw ein.
Ihr von der Kritik gepriesener Sound enttäuscht auch auf Albumlänge nicht. Schon der Auftakt „Did You Know?“ ist aufregend. Gezupfte Geigensaiten geben den Anschein einer Ballade. Einsetzende Drums und Loopstations formen das Ganze zu einem Upbeat. Und Keyboardklänge geben dem Song letztlich auch eine orchestrale Note.
Percussion und Geige erwecken eine beschwingte Atmosphäre, die sie mit selbst-bewusster Stimme kontrolliert
Im Text beschreibt Sudan Archives eine zerbrochene Liebe und enttäuschte Gefühle. Ein bewährtes Motiv in R&B-Tracks. Nur ist ihre Version fresh, da die Mittzwanzigerin Eifersucht auf eine andere Frau mit „I just saw you with another chick with some iced out baby hairs / I think she’s cool and all / But I guess you didn’t like my fuzzy baby hair“ zum Ausdruck bringt.
Basale Wünsche
Auffällig ist zudem, dass, obwohl sie in anderen Titeln wie „Green Eyes“ Liebesbeziehungen anspricht, sie dabei auf mit Bedeutung beladene Wörter wie Love verzichtet. Stattdessen übersetzt sie Nähe mit dem ganz basalen Wunsch, nachts vom Partner zugedeckt zu werden.
Immer wieder geht es in ihren Texten um den Konflikt zwischen Selbstwahrnehmung und Außenwirkung. Das findet sich auch in „Did You Know?“. Die Refrainzeile „Oh did you know? / Life is not perfect“ lässt offen, ob es ein Dialog mit einer anderen Person oder eine Selbstreflexion ist. Sind es die eigenen Träume und die Naivität, die zu Grabe getragen werden, oder fühlt sich ein Dritter belehrt? Die Komponistin abstrahiert hier, was im echten Leben oft zu Missverständnissen in der Kommunikation führt.
In „Confessions“ scheint sich Sudan Archives, deren Eltern gläubige Christen sind, Gedanken über wissenschaftliche Erkenntnisse in Bezug auf religiöse Überzeugungen zu machen. Und darüber, wer im Christentum als fromm erachtet und wer aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wird.
Der Sound dazu ist überraschend. Percussion und ihre gestrichene Geige erwecken das Gefühl einer beschwingten Atmosphäre, die sie mit selbstbewusster Stimme kontrolliert. Noch spannender ist „Glorious“. Ihr Geigenspiel klingt hier ähnlich dem tanzbaren irischen Folkidiom. Durch einen Gastauftritt des Rappers D-Eight – ebenfalls aus Cincinnati – landet die Musik auf einer anderen Ebene und hat so Groovequalitäten, zu denen man einfach mitschwingen muss.
Mit „Athena“ lässt Sudan Archives ihre Zuhörerschaft wissen, dass ihr Sound kein Zufallsprodukt ist. Dafür fließen die 14 Tracks einfach zu gut. Die Musikerin bewahrt sich ihre Selfmade-Attitüde und konzentriert sich auf präzise Beobachtungen und unerwartete Kontraste. Ihre Soundwelt aus Geige, Soul und Elektro macht sie im aktuell qualitativ hochwertigen R&B-Bereich mit Künstlerinnen wie H.E.R oder Summer Walker zu einer der lohnenswerten Neuentdeckungen von denen man seinen Freunden erzählen sollte.