Neues Album von Lana Del Rey: Stromstöße der Erkenntnis
„Norman Fucking Rockwell!“ überrascht. Del Rey singt gegen Klimawandelleugner und bringt sogar feministische Sylvia-Plath-Referenzen an.
Schon oft stand Lana Del Rey im Verdacht, ein Fake zu sein. Angesichts mutmaßlicher Schönheitsoperationen muss was faul sein an ihrer Kunstfigur! Gefundenes Fressen für ihre Gegner war vor allem, dass die Künstlerin, die eigentlich Lizzy Grant heißt, einen reichen Vater hat. Somit erschien die Mär von der armen jungen Frau aus dem Trailerpark, die sich zum millionenschweren Popstar hochgeackert hat, abwegig.
Entsprechend harsch gingen KritikerInnen mit den Alben der 34-Jährigen ins Gericht. Sie böten nur eine Abfolge des Immergleichen: Unglück folge auf Beziehungskitsch; USA-Klischees würden ebenso zuverlässig geliefert wie Songs mit Fünfziger-Jahre-Ästhetik und einer Zurschaustellung uralter Geschlechterrollen.
Den notorischen Nörglern sei gesagt: Auf dem neuen, mittlerweile sechsten Studioalbum „Norman Fucking Rockwell!“ pendeln sich die Songs von Lana Del Rey außerhalb des Konventionellen ein. Und wenn die Künstlerin dann doch Themen wie Verzweiflung und den Irrsinn des US-Alltags behandelt, setzt sie dabei überraschende Akzente. So bremst sie das gesellschaftliche Schneller-höher-weiter mit entschleunigten Klängen aus.
Bereits der Titelsong, der das neue Werk auch eröffnet, jagt Stromstöße der Erkenntnis unter die Haut: Lana Del Rey hat nämlich mit Feminismus sehr wohl etwas am Hut. In „Norman Fucking Rockwell!“ outet sie ihr Songobjekt, einen berühmten US-Kalendermaler und Illustrator, als „schlechten Poeten, der ein guter Liebhaber“ sei. Die Reime „’cause you’re just a man / It’s just what you do“ machen den Weg frei für die kritischen Zwischentöne einer selbstbewussten Frau.
Weg mit den Gewitterwolken
Lana Del Rey hat sich lange genug in Los Angeles herumgetrieben, um die kalifornische Mentalität mit einer gewissen Arroganz darzustellen. Zudem spricht aus ihren neuen Songs nun eine Überlegenheit den Männern gegenüber. Dank dieser frisch gewonnenen Zuversicht geht die Musikerin in „The Greatest“ noch einen Schritt weiter, blickt am Ende weit über den Tellerrand ihrer Gefühlswelt hinaus und positioniert sich politisch.
So absurd die Nennung von Kanye West im Zusammenhang mit dem Klimawandel auf den ersten Blick klingen mag, sie ergibt durchaus Sinn, wenn man sie auf sich wirken lässt. Denn Lana Del Rey rechnet mit einem Trump-Unterstützer und Erderwärmungs-Ignoranten ab: „Hawaii just missed that fireball/L. A. is in flames, it’s getting hot / Kanye West is blond and gone / ,Life on Mars' is not just a song“, wispert sie. Laszive Klavierakkorde begleiten bei diesem Stück den Gesang, Gitarrenriffs mengen dieser Apokalypse ein bisschen ungemütliche Reibung bei.
Vorzugweise badet Lana Del Rey mit ihrem Produzenten Jack Antonoff, der etwa die Neuseeländerin Lorde in die Charts hievte, in der für sie typischen Melancholie. In dem Song „Hope Is a Dangerous Thing For a Woman Like Me to Have – But I Have It“ vergleicht sie sich mit der feministischen Dichterin Sylvia Plath. Auch Del Rey habe selbst mitunter das Gefühl, in einer Sackgasse gestrandet zu sein. Ihre inneren Dämonen lassen sie nicht los. Andererseits: Hoffnung und der Optimismus stecken ja hier bereits im Titel.
In „The Next Best American Record“ legt Lana Del Rey mit Zeilen wie „We were so obsessed with writing the next best American record / ’cause we were just that good“ sogar noch nach. Sie schiebt die Gewitterwolken beiseite und kommt tatsächlich rüber wie eine enthusiastische Kalifornierin.
Musikalisch sticht das zehnminütige „Venice Bitch“ heraus. Ob Keyboard oder Streicher – jedes Instrument passt wie angegossen. Ganz am Ende wagt die E-Gitarre sogar eine Noise-Attacke. Auf opulenten Sound verzichtet Del Rey, HipHop-Anleihen sind passé, elektronische Elemente pirschen sich vorsichtig an. Oftmals genügt Pianobegleitung zum Gesang, der nach vorne gemischt ist, weil die Texte wichtiger sind als bei früheren Werken. Fast wie eine Psychotherapie scheinen sie zu sein, wenn Lana Del Rey darüber singt, dass sie ihre Alkoholprobleme überwunden hat und toxische Beziehungen beendet.
„Norman Fucking Rockwell!“ von Lana Del Rey; erschienen bei Polydor/Universal
In „Fuck It I Love You“ hat Kalifornien wenig mit dem Westküstenmekka gemeinsam, in dem endlos die Sonne scheint. Darin geht es um eine Protagonistin, die an ihrem Liebeskummer und Drogenkonsum zu zerbrechen droht. Heile Welt sieht anders aus. Eher klingt dieser Song wie ein Soundtrack für düstere Träume.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr