Neues Album von Equiknoxx: Kindsköpfe mit ganz viel Bass
Mit ihrem neuen Album „Eternal Children“ mixt die Kingstoner Crew Equiknoxx Dancefloor und Globalpop in den jamaikanischen Klangkosmos.
Jamaika und vor allen Dingen bestimmte Bezirke seiner Hauptstadt Kingston gelten seit den Neunzigern als Gefahrengebiete. Führende Industrienationen sprechen regelmäßig Reisewarnungen aus, weil es dort zu Schießereien und Ganggewalt kommt und die Mordstatistiken so hoch sind, dass sie es durchaus mit den US-Metropolen Chicago und Baltimore aufnehmen. Der Soundtrack zur Gewaltspirale: Dancehall. Ein Genre, das für Slackness, machistisches Gepose und Gnadenlosigkeit bekannt ist.
Das Jamaika auch anders, sogar komplett anders klingen kann, zeigt eine junge Kingstoner Combo namens Equiknoxx, die aus den beiden Produzenten Gavin „Gavsborg“ Blair und Jordan „Time Cow“ Chung und den drei Vokalist*innen Kemikal, Bobby Blackbird und Shanique Marie besteht. Den Paradigmenwechsel – weg von „dicker Hose“ hin zu grandioser, anschlussfähiger Bassmusik – vollzog man schon auf den beiden ersten Alben „Bird Sound Power“ und „Colón Man“.
Auf dem Neuling „Eternal Children“ zeigt sich ihre Klangsignatur erstmalig in vollem Glanz. Das beginnt schon beim Titel und beim Äußeren des Albums: „Eternal Children“, ewige Kindsköpfe, kümmert Waffengewalt eher nicht. Stattdessen spielen und testen sie munter aus; unterstrichen wird diese raffinierte Inszenierung von der naiv infantil anmutenden Zeichnung auf dem Cover, die an Höhlenmalerei erinnert, doch Filzstift auf Leinen darstellt. Es ist wohl als Selbstbildnis der fünf Musiker*innen zu verstehen, die sich selbst und dem Genre einen unbeschwerten Neustart verschaffen wollen.
Meilenweit von Dancehall-Klischees
„Eternal Children“ ist meilenweit von jenen Dancehall-Tracks und -Künstler*innen entfernt, die es in die europäischen Hallen und Zeitschriften schaffen. Ob Beenie Man oder die Rowdy-Gruppe T.O.K.: berühmt-berüchtigt sind sie vor allen Dingen wegen ihrer frauenverachtend-sexistischen und homophoben Gewaltfantasien, die in sogenannten Battyman-Tunes das (angeblich spirituelle) Verbrennen von homosexuellen Menschen fordern.
Diese inhaltliche Hypothek belastete und spaltete nun fast 20 Jahre die interessierte Popszene: Auf der einen Seite gibt es jene, die Dancehall verteufeln und ein strukturelles Problem der gesamten Kultur propagieren, andererseits gibt es genügend Freunde von Dancehallsound, die im besten Falle die homophoben Vergewaltigungsfantasien als Satire kennzeichnen und daher lieber die Instrumentals auflegen. Zwischen diesen Polen befindet sich eine lose Gruppe an Kritiker*innen, die zugesteht, dass alle Battyman-Tunes verboten gehören, die generelle Abstrafung jamaikanischer Dancehall-Künstler*innen aber moralinsauer findet.
Jener Haltung schließen sich auch ein Großteil der Jamaikaner*innen an, wie die Professorin und Autorin Carolyn Cooper vor einigen Jahren bei Lesungen in Deutschland erzählte. Eines der großen Probleme in diesem Zusammenhang ist sicherlich die Divergenz zwischen jamaikanischem Selbstverständnis und europäischer Lektüre, die nicht selten mit exotisierenden, kolonialen Erzählungen d’accord geht. Bestes Beispiel: Daggering, die karibische Tanzvariante, die die Differenz zwischen Tanz und Sex bis auf das Äußerste aufweicht, beziehungsweise verschwimmen lässt. Hierzulande lacht man darüber oder gibt sich etwa empört, dass das rassistische Bild des sexuell entfesselten und damit „wilden“ Schwarzen aufgerufen wird.
Kulturgut Daggering
In Jamaika selbst ist Daggering Kulturgut und wird sogar an Schulen gelehrt. Das Kollektiv Equiknoxx hingegen überwindet auf „Eternal Children“ jenen Graben und verbindet gekonnt europäische Techno-Avantgarde, karibischen Sound und globalen Pop. Schon die beiden Vorgänger-Alben wurden nicht etwa in Kingston veröffentlicht, sondern gleich in Manchester von den Soundtüftlern Demdike Stare und ihrem Label DDS. „Bird Sound Power“ und „Colón Man“ überzeugten erst die Kritiker*innen und bahnten sich dann langsam in die DJ-Sets britischer DJs.
Dieser Kooperation, diesem Austausch mit der nordenglischen Industriestadt, ist der Track „Manchester“ gewidmet. Hier hört man gleich, dass Equiknoxx nicht bloß ein weiteres Dancehall-Soundsystem darstellt, sondern konsequent an einer Weiterentwicklung der Dancehall-Formeln arbeitet. Wo man vorher Riddims mit ungewohnten Samples (zum Beispiel Vogelgezwitscher) bestückte, werden jene Instrumentalstücke nun sowohl um den Gesang der drei Vokalist*innen ergänzt als auch um soundästhetische Einflüsse aus anderen Ecken erweitert.
Wie eben England: „Manchester“ sampelt eine Ska-Trompete, thematisiert im Handstreich die transatlantische musikalische Ehe, die Großbritannien und Jamaika einst beim Ska eingingen, und klingt nur noch entfernt nach dem, was man gemeinhin unter Dancehall verstehen mag. Es klingt beim genauen Hinhören nach wenig, was man zuvor gehört haben mag; dieses Hybrid ist affirmativer Bass-Sound mit HipHop-Einflüssen und einem Auge für den gepflegten Club-Dancefloor.
Hyperaktives Auf-und-Ab-Hüpfen
Der Track „Corner“ geht sogar einen Schritt weiter. Man kommt nicht umhin, diesem dritten Titel des Albums das Label „Grime“ zu geben. Der britische Mischmasch aus Drum ’n’ Bass und HipHop, mit seinen bösen Basslines, ist hier das Bett für die DeeJay (das jamaikanische Pendant zum US-Rapper) Shanique Marie, die sich im Patois-Sprechgesang verewigt. Ähnliche – wohlgemerkt positive – Auflösungserscheinungen finden sich auch in Bezug auf das US-Sound-Universum. „Brooklyn“ gibt schon mit dem Titel den Ort seiner geistigen Genese preis; hyperaktiv mit 150 Schlägen pro Minute, die auf und ab hüpfen, außerdem angetrieben von leicht müden Claps, erinnert das sehr an die (queeren) Bassmusik-Exkurse, mit denen vor einiger Zeit Künstler wie Le1f oder Zebra Katz reüssierten.
Equiknoxx: "Eternal Children" (Equiknoxx/Rubadub/Hardwax)
Shanique Marie, hier eher shoutend, denn rappend, fordert in der Bridge dazu auf, die Finger von ihrer Krone zu lassen. „Please take your hands off my motherfucking crown“ – im Hause Equiknoxx ist man sich bewusst, dass der Ausflug in Pop-Gefilde zu höchsten Weihen reichen könnte.
Schon in den Siebzigern bestand zwischen den HipHop-Jams in New York und der Soundsystem-Kultur eine strukturelle Verwandtschaft, nicht zuletzt befeuert durch die karibische Diaspora an der US-Ostküste. Zeitgenössische US-Rapper sind unterdessen ebenfalls wieder aufmerksam geworden und schauen leicht neidisch auf die Equiknoxx-Riddims, die ihnen gut zu Gesicht stehen würden.
Dass diese Ehe ideal sein kann, bewiesen bereits Missy Elliott und Timbaland, die als Produzent*innen Anfang der Nuller mit Dancehall-Beats reihenweise Chartsstürmer und Klassiker des Genres veröffentlichten. Heute, 20 Jahre später wird „Eternal Children“ zur Kampfansage: Liebe Amis, diesmal machen wir Jamaikaner das aber selbst! Mit der Perfektion eines hoch-ausgezeichneten Produzententeams, treiben es Equiknoxx beim Finale „Rescue Me“ auf die Spitze.
Und wieder kein Hungerast!
Hier entsteht aus einer rauschenden Wall of Sound ein wärmendes Duett zwischen Bobby Blackbird und Shanique Marie. Herzzerreißend schöner, mitsingbarer Pop – nicht mehr, nicht weniger. In bester Balladentradition umspielen sich die beiden Schmachtenden, verführerisch wie zwei, die wissen, dass das Feld bestellt ist, doch die Frage nach dem Beziehungsstatus noch nicht gestellt wurde – untermalt von Gitarrenlicks und einem feinen Beat. Das klingt gar nicht mehr nach Dancehall, sondern nach The xx und ähnlichen Indie-Pop-Entwürfen, die den weiblich-männlichen Wechselgesang perfektioniert haben.
Wer befürchtete, dass Equiknoxx den Hungerast erleiden, der muss hier vertröstet werden. Mit einer fast schon brisanten Genialität vermag die Gruppe nicht nur die jamaikanische, sondern glatt die globale (Bass-)Musik-Elite zu fesseln, eine ganzes Genre neu aufzustellen und zu verändern.
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