Neues Album von Billy Nomates: Oft sehr schöne Sträucher

Billy Nomates hat mit „Cacti“ ihr zweites Album veröffentlicht. Ihre Musik ist eine lebendige, synthetische Variante von Soul-Pop.

Portrait

Victoria Ann Maries alias Billy Nomates Foto: NWSPK

Bald ist alles ausgestanden, meinen die Experten. Ob das Trost oder Drohung ist, bleibt unklar bei der Eröffnung von Billy Nomates neuem Album „Cacti“: „Balance Is Over“ heißt der Auftaktsong. In ihm liegt die Protagonistin im fünften Stock – wo genau, dass erschließt sich auch, ohne dass es direkt ausgesprochen wird – und sagt, dass ihr Gleichgewicht in fünf Teile zersprungen ist. Die 32-jährige britische Künstlerin porträtiert mit dem Song einen Menschen, dem die Welt buchstäblich abhanden gekommen ist: „Alles geschieht, aber es geschieht ohne mich.“

Ihre Musik steht zum Songtext in einem bemerkenswerten Kontrast, kommt gerade nicht leisetreterisch und zergrübelt daher, sondern ist eine lebendige, synthetische Variante von Soul-Pop. Die „Cacti“ im Albumtitel und im Coverschriftzug sind tatsächlich Kakteen, jene stachligen und dabei oft sehr schönen Sträucher. In „Cacti“ geht es buchstäblich ums Überleben in widrigen Umständen. Darin unterscheidet sich Billy Nomates zweites Album nicht von ihrem selbstbetitelten Debüt, das 2020, im ersten Pandemiejahr, erschienen ist.

Die Mittel und Methoden, mit denen Victoria Ann Maries, aufgewachsen in Melton Mowbray, Leicestershire, zerschmettert in Brotjobs und auferstanden als Billy Nomates auf einem Konzert des antikapitalistischen Elektropunkduos Sleaford Mods, dem Drachen und den Dämonen zu Leibe rückt, haben sich allerdings verfeinert.

2020 sang Billy Nomates, die inzwischen in Bristol lebt, über eine „Hippy Elite“, wie sie das tat, ließ keinen Zweifel daran, dass dies kein Kompliment war. Im Duett mit Jason Willamson, der textenden und singenden Hälfte der Sleaford Mods, staubte sie einen Supermarkt ab. Billy Nomates damaliger Soundtrack war oft ein klackernder, digitaler Strom.

Geräusch eines Unfalls

„Cacti“ kommt immer noch aus der Wohnküche, könnte aber in der kleinen Boutique zwischen den Hochhäusern und Wohnsilos laufen. Die Musik von Billy Nomates ist eleganter, finessenreicher geworden. Ein Bruch ist das nicht, eher eine Weiterentwicklung: Bereits auf der tollen, 2021 erschienen EP „Emergency Telephone“ arbeitete Billy Nomates verstärkt am Klangbild und baute Sounds von unterwegs in ihre Musik ein.

Ob das Meeresrauschen war oder ansteigender Wasserpegel, das müssen die Hörer für sich entscheiden. Das zweite Stück auf „Cacti“, das verstörende „Black Curtains in the Bag“, wird zum Ende hin von einem Geräusch akzentuiert, das ein Unfall sein könnte.

„Cacti“ enthält zwei Songs, die noch eine andere mögliche Entwicklung andeuten. Da wäre einmal „Roundabout Sadness“, ein in der Tat traurig kreisender Kirmessong, der die A-Seite des Albums beschließt. Danach ändert sich die Stimmung des Albums und wird merklich variantenreicher. „Fawner“ kommt im psychedelischen Folkgewand der Siebziger daher, „Same Gun“ mit einem jazzigen Piano, „Vertigo“ mit Funkbass und Perkussion.

Das Finale, „Blackout Signal“, kommt schließlich im mittleren Tempo daher, auf die Drumparts ist Hall gelegt, das Ganze hat die Melancholie eines Sonnabendnachmittags in den Achtzigern, die „Ghost Town“ der Specials taucht vor dem inneren Auge auf. Nichts ist wirklich, singt Billy Nomates, und gerade das ist dein Innerstes nach außen gekehrt. Wenn sie dann darauf wartet, dass die Lichter ausgehen und von einem Shutdown träumt, dann ist das der Impuls, aus dem heraus die Pariser Kommunarden 1871 die Uhren zerschossen haben. Allerdings haben sie nicht darauf gewartet, dass ihnen jemand die Arbeit abnimmt.

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