Neues Album der Parquet Courts: Ohnmächtig am Leben hängen
„Sympathy for Life“ heißt das neue Album der New Yorker Band Parquet Courts. Sie liefern fetzige Popsongs und laden zum Mit-den-Füßen-Scharren ein.
„Sympathy for Life“, das neue Album der New Yorker Band Parquet Courts, überschreitet spielerisch die Grenzen von Punkrock und kritisiert verhüllt in experimentellen Tönen die laxe Coronapolitik. Schon gleich zum Auftakt des Albums schmiedet die Band in „Walking at a Downtown Pace“ Pläne für den Tag, an dem dereinst die Pandemie überstanden ist – und freut sich auf die Rückkehr ihrer lächelnden Freunde – ohne Maske.
Die Songtexte der Mittzwanziger verraten bei genauerer Betrachtung, dass die besonderen Umstände der vergangenen 20 Monate auch am künstlerischen Prozess der Parquet Courts nicht spurlos vorbeigeschlichen sind. Die dicht besiedelte Stadt New York wurde früh und besonders hart vom Coronavirus getroffen.
Aber nicht nur die heftigen Auswirkungen der Pandemie haben die USA beschäftigt, auch die Präsidentschaftswahl vor einem Jahr thematisiert die Band in ihren Songs. Die anfängliche Euphorie über den Sieg des demokratischen Kandidaten Joe Biden scheint verpufft und hinterlässt, zumindest in der Musik der Parquet Courts, ein Gefühl von Ohnmacht.
Der Sound bleibt, obwohl straight, zugleich offen für Experimente: Vor allem „Marathon of Anger“ und „Plant Life“ eröffnen mit kontrastierenden Ambient-Klängen und rhythmischen Beats neue Perspektiven. Diese beiden Songs müssen gesellschaftskritisch verstanden werden. Vor allem unsere kapitalismusgetragene Konsumgesellschaft wird hier aufgespießt. Eine Gesellschaft, die den Stillstand der Pandemie zwar überwunden hat, aber nun wieder ungebremst an die Zeit davor anknüpft, das widerstrebt den Künstlern.
Politischer Protest und Ohrwurmpotenzial
„Marathon of Anger“ bezieht sich wiederum auf die Black-Lives-Matter-Bewegung und die endemische Polizeigewalt im vergangenen Sommer. Eine Art Wählton, wie am Telefon, dominiert den Rhythmus des Lieds und lässt die Hörer:innen den rastlosen, protestierenden Wachzustand der Welt spüren.
„Plant Life“ hat Ohrwurmpotenzial und wirkt durch sein Dancefloor-Arrangement eingängig. Der Text lässt dagegen die mutlose Stimmung, die viele aus den Lockdowns kennen, wieder aufleben und hinterlässt eine seltsame Nostalgie – obwohl die Musik unter Ausblendung des Textes enorm groovy klingt.
Anders als beim Vorgängeralbum „Wide Awake!“ liegt der stilistische Fokus der Parquet Courts diesmal auf rhythmischer Variation. Das Tempo ist zwar konstant hoch, aber differenziert. Während das 2018 erschienene Album als Partymusik konzipiert war, sehnen sich die neuen Songs nun nach ihr, sagt Sänger und Gitarrist Austin Brown.
Einige der Songs erinnern deutlich an die Talking Heads, neben „Marathon of Anger“ und „Plant Life“ fällt besonders die Musik von „Zoom Out“ in dieses Raster: Mit seinem basslastigen Sound und dem prägnanten Hook klingt es etwas zu epigonal. Seine nervöse, funkige Anmutung lässt Hörer:innen dennoch mit den Füßen scharren.
Die lebhafte Coverillustration verbildlicht die Vergänglichkeit und den Wert des Lebens: Totenköpfe und das menschliche Herz. Das und der Albumtitel „Sympathy for Life“ lassen erahnen, dass die Parquet Courts am Leben hängen.
Auch einige Songtitel fließen in die Coverkunst, so spielt ein Spinnennetz auf das Lied „Black Widow Spider“ an, und Blumen wiederum auf „Plant Life“. Das soll wohl bedeuten, dass es der Band nicht nur darum geht, an sich zu wachsen, sondern auch Wurzeln außerhalb der eigenen Komfortzone zu bilden. Insgesamt macht sich der kreative Prozess der Parquet Courts und auch dessen Veränderung auf unterschwellige, teils durchaus schrille Weise bemerkbar.
Parquet Courts: „Sympathy for Life“ (Rough Trade/Beggars/Indigo)
Der Wunsch, die Coronapandemie zumindest beim Musikhören vergessen zu machen, wird nicht erfüllt, was „Sympathy for Life“ aber gerne verziehen wird. Denn dass die Band unter anderem die BLM-Proteste und die US-Präsidentschaftswahl in ihren Songs verarbeitet, stärkt Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühle. Das Echo der vergangenen Jahre können wir alle noch hören und mit „Sympathy for Life“ verliert es den Klang von Isolation. Zur Musik der Parquet Courts lässt sich der Unbill zumindest für eine Weile wegtanzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden