Neuer Roman von Ulrich Peltzer: Fragen an einen selbst

Nach politischen Romanen wird Ulrich Peltzer persönlicher. Im seinem neuen Werk beschreibt er den Weg in eine Künstlerexistenz ohne Geländer.

Menschen tanzen auf einem Rasen in Kreuzberg.

Warum bist du in Berlin gelandet? Darauf weiß der Erzähler keine Antwort. Hippies in Kreuzberg Foto: Henning Langenheim/akg/picture alliance

„Es gibt kein Zurück“, heißt es am Anfang, „das muss man sich immer wieder ins Gedächtnis rufen. Nichts dauert ewig, selbst der Schmerz vergeht.“ Es sind die 1970er Jahre in Westberlin, an die sich Ulrich Peltzers Ich-Erzäler in seinem neuen, autobiografisch geprägten Roman „Das bist du“ erinnert.

Weshalb er gerade in der geteilten Stadt an der Spree gelandet ist, weiß er nicht. Auch auf die Frage des Prüfers am Ende seines Psychologiestudiums, warum er Psychologe werden will, hat er keine Antwort. Wie auch sonst Fragen in „Das bist du“ dominieren. Während Antworten oft als Fragen formuliert oder bald wieder zurückgenommen werden.

Es gebe kein Maß fürs Glück, sagt der Erzähler, „keine Skala, Gedankenspiele überflüssig. Vor allem solche, die man sehr viel später anstellt.“ Zum Beispiel das, was aus ihm geworden wäre, wenn er sich nicht von Valérie getrennt und mit ihr nach Frankreich gegangen wäre. „Was wäre aus mir geworden? Ein glücklicherer Mensch, als ich es bin? Reifer, gefestigter? Nichts als fromme Wünsche.“

Bei Leonore dagegen, seiner großen Liebe, stellt er die Was-wäre-wenn-Frage dann doch. Sie kommt aus München, „München gefiel mir, hatte wirklich etwas Leuchtendes, mit ihr, mit Leo­nore. Hätten wir nicht einfach dableiben sollen?“

Ratlosigkeit ist keine schlechte Eigenschaft für einen Künstler als junger Mann. Ist sie nicht die Basis für einen unvoreingenommeneren Blick auf die Welt? Die ersten Notizen macht sich der Erzähler auf einer Reise mit seiner ersten Berliner Freundin nach Kopenhagen.

Wie ein Verlorener

In einem Vorortzug sitzt ihnen ein altes Paar gegenüber, „sehr gepflegt, sehr elegant. Wohlhabend seit Generationen, das sah man, beide sicher noch im 19. Jahrhundert geboren worden. So diskret es ging, scannte ich sie wieder und wieder, schrieb Stichworte in ein Vokabelheft, das ich wie nebenher aus Ankes kleinem Rucksack geholt hatte. … Ich hatte begonnen, mir Dinge zu notieren, die ich bemerkenswert fand.“

Ein konkretes Ziel aber verfolgte er dabei nicht. Oft wirkt Peltzers Alter Ego deshalb wie ein Verlorener. „Die Unfähigkeit, für sich selbst einen Platz zu schaffen, von dem man sagen könnte, er gehöre einem, so bin ich, hier, schaut her.“

Es verwundert nicht, dass Ulrich Peltzer auch dem autobiografischen Schreiben misstraut. Obwohl die Eckdaten von „Das bist du“ mit seiner eigenen Biografie übereinstimmen – Peltzer studierte in Westberlin Psychologie, schrieb sein Diplom zu einem sozialhistorischen Thema –, nennt er sein Buch einen Roman. Es ist die Konsequenz aus der Einsicht, dass die Erinnerung täuscht und man schon deshalb die eigene Vergangenheit nicht als „so war ich“ erzählen kann.

Amok gegen alles

Wobei der Erzähler sich schon immer fremd gewesen ist. „Es ist nicht die Zeit, die uns trennt. Mich von mir selber. Von jemanden, dem ich meinen Namen gebe, wenn ich ihn auf älteren Fotografien erblicke. Als sei man schon immer ein anderer.“ Auch der Titel, „Das bist du“, drückt das aus. Das „Du“, der Ich-Erzähler ist hier eine andere, eine fremde Person.

Ulrich Peltzer: „Das bist du“. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021. 288 Seiten, 22 Euro

„Ich ist ein anderer“ hatte Rimbaud geschrieben. Rimbaud, den Peltzers Erzähler im Gegensatz zu vielen anderen Autoren, die ihn einmal fasziniert haben, „nach wie vor umwirft, dieser Amok gegen alles. Nur habe ich nicht mehr das Verlangen, es ihm gleichzutun.“

Was bei all der Skepsis, der Infragestellung der eigenen Person, geblieben ist, ist der Glaube an die Kunst. Dass „das Wort eine neue Welt bedeuten kann, und nicht nur bedeuten, daran glaubten wir fest. Ich glaube daran. Glaube immer noch, jedes Mal, wenn ich ein Buch aufschlage oder ins Kino gehe oder eine neue Platte höre, dieses Unbedingte, das ich erhoffe. Worte, Bilder, Klänge, die das Denken, das Fühlen in eine andere Richtung lenken.“

Zonen der Unbestimmtheit

Wobei Bücher dabei eine besondere Rolle spielen. „Bücher als Konterband. Für die Eingeweihten. Diejenigen, die bereit waren für eine neue Art zu denken. Ein Denken, das keinen Unterschied mehr machte zwischen Kunst und Wissenschaft und Philosophie. Zonen der Unbestimmtheit, die Frage, wie eine Sache funktioniert, wichtiger als die nach ihrer Bedeutung.“

Zu schreiben, Schriftsteller zu werden, diesen Wunsch gesteht sich Peltzers Alter Ego nur zögerlich ein. Die Erfahrung, dass ein Gegenüber nötig ist, an den sich ein Text richtet, macht er mit seiner Diplomarbeit. Ohne sie, ohne Leo­nore, schreibt er, wäre seine Abschlussarbeit wohl nie fertig geworden. Sie liest sie, sie redigiert sie, und sie tippt sie am Ende ab. „Auf einmal war es so, als schriebe ich für sie, für Leonore. Was andere zu meiner Arbeit sagen würden, zählte nicht mehr, sie müsste damit einverstanden sein.“

Seinen Lebensunterhalt verdient sich Peltzers Erzähler lange Jahre im Kino. Erst als Kartenabreißer, dann als Filmvorführer. Mit wenigen Schichten in der Woche war damals ein Leben in der Mauerstadt möglich. Seine erste feste Wohnung in Wilmersdorf, mit Innentoilette und Ofenheizung, kostete 108 D-Mark. Die damit verbundene ökonomische Freiheit ermöglichte ganz andere künstlerische Existenzen (und andere Kunst) als heute, wo sich auch für Künstler viel zu viel ums Geld fürs Überleben dreht.

Verlust der großen Liebe

Ulrich Peltzer erzählt die eigene Geschichte, die Geschichte des Anderen, der er war, in kurzen Fragmenten, springt von Ort zu Ort, von Zeit zu Zeit. Und doch liest sich „Das bist du“ flüssig und spannend bis zur letzten Seite. Es ist ein persönliches Buch, ein melancholisches Buch, das über weite Strecken von dem Verlust der großen Liebe geprägt ist.

Es ist nicht so politisch wie Peltzers vorherigen Romane, aber ist nicht gerade das Private hier auch politisch? Ist nicht die Offenheit, die er beschreibt, die ständige Reflexion dessen, was man war und was man ist (oder nicht war und nicht ist), Basis jeder politischen Souveränität?

Und ist nicht gleichzeitig dieses Leben ohne Geländer – und „den Kopf zum Explodieren zu bringen“, wie er schreibt –, ist nicht dieser Weg ins Ungewisse, der alles andere als einfach ist, der Weg zu jeder guten Kunst?

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