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Neuer Roman von Elke SchmitterLöcher im Gewebe

Elke Schmitter erkundet in ihrem Roman „Inneres Wetter“ die Verfasstheit einer Bildungsbürgerfamilie. Darin tritt Unverdautes zwischen Geschwistern zutage.

Schreibt über Statusquatsch und verdeckte Konflikte in der Familie: Elke Schmitter Foto: Stephan Zwickirsch

Wenn Familien ein Gewebe bilden, das die Gesellschaft zusammenhält, dann sind die Kupfers ein solides, aber reichlich verschlissenes Tuch: Müde und dünn von den seit Jahren höchst unterschiedlich gelebten Leben scheinen die Fäden, die Huberta, Bettina und Sebastian in der Mitte ihres Lebens noch verbinden.

Hessen, Berlin, Münchner Umland: Man sieht und hört sich selten, hat sich verschiedentlich eingerichtet, und viel mehr als pflichtschuldige Telefonate zum Geburtstag oder zu Weihnachten sind nicht mehr übriggeblieben von der Familienbande. Als Bettina auf die Idee kommt, dem verwitweten Vater zu seinem 77. einen gemeinsamen Überraschungsbesuch abzustatten, sind sich alle unsicher: Was wird das jetzt, Härtetest oder Zerreißprobe?

Ein Höllenatem aus vergangenen Schrecken weht mitunter die Familie an

Die Autorin und Feuilletonistin Elke Schmitter lotet in ihrem neuen Roman „Inneres Wetter“ die Verfasstheit einer bundesdeutschen Familie aus. Ein bildungsbürgerliches Milieu ist das, in dem die drei Kinder sich gemäß ihren Veranlagungen zu handfesten Individuen entwickeln durften.

Der verträumte Sebastian, der sich „mit der pedantischen Freude des Tüftlers“ dem Verwaltungsrecht und „mit eingezogenem Herzen“ seiner Ehe zur herb-schönen Mora hingibt. Die unbekümmerte Bettina, die schon als Kind als Erste „losstürmte“ und nun mit ihrem Literaturprofessor verheiratet ist – gütig und diskret werden sie aus der Ferne vom Vater in seinem niedersächsischen Al­ters­exil beobachtet und eingeschätzt: Alle so weit zufrieden, selbstständig und nach gängigen Maßstäben erfolgreich.

Der Roman

Elke Schmitter: „Inneres Wetter“. C. H.Beck, München 2021, 202 Seiten, 22 Euro

Einzig Huberta ist sozial abgestiegen in wirtschaftliche Prekarität, Einsamkeit und Alkoholismus. Sie vermisst ganz unverhohlen den Zusammenhalt früherer Tage: „Nirgends Verbündete jedenfalls: auch ihre Geschwister mit ihrer unmittelbaren Zukunft beschäftigt, mit dem Bestehen der Rituale. […] In einer kleinbürgerlichen, aber mächtigen Drift, die sie auseinanderführte. Keine Spur der Freiheit mehr, die sie eigentlich hatten. Und keine Horde mehr, deren patziges, glühendes bewundertes Oberhaupt sie gestern noch gewesen war.“

Überkandidelter Statusquatsch

Schmitters Erzählen ist ein multiperspektivisches: Bewusst hält sie die Figuren in der Schwebe, lässt die Leserin mal am Innenleben dieser oder jener Figur teilhaben und hält sie damit gleichermaßen auf Distanz. Das ist auch gut so, denn jede und jeder für sich können sie mitunter etwas nerven, diese Mittelschichtsgeschöpfe mit ihren drögen Eheproblemen (Sebastian) oder ihrem überkandidelten Statusquatsch: (Bettina: „Habe den neuen Piketty besorgt. Wenn jemand mit Auto sich um Champagner kümmern könnte? Wir sind im,Victoria' am Markt, Fachwerk at its best.“)

Aber natürlich ist dieser Roman nicht nur ein Familiengemälde, sondern auch Zeitdiagnose: eine behutsame Erkundung des bundesrepublikanischen Untergewebes, auf dem die Figuren sich bewegen und entfalten. Und weil Schmitter eben nicht nur Schriftstellerin ist, sondern auch linksliberal ironiegeschulte Spiegel-Redakteurin – von 1992 bis 1994 war sie auch Chefredakteurin der taz –, gerät das alles ziemlich distanziert: Echte Wärme will für keinen der ProtagonistInnen aufkommen, echte Probleme hat eigentlich auch keiner.

Doch gerade dann, wenn man sich beim Lesen fragt, ob die in ihrer Midlife-Suppe dümpelnden Figuren jetzt vielleicht auch mal was Existenzielles, Spannenderes erleben, lässt Schmitter Löcher im Gewebe aufblitzen.

Vergangene Schrecken

Hier die Kindheitserinnerungen der kriegstraumatisierten Mora, deren Familie in den Balkankriegen auseinandergerissen wurde, dort die nur angedeuteten Gewaltverbrechen an den (verstorbenen) Frauen der älteren Generation in den letzten Kriegstagen: Mitunter weht ein Höllen­atem aus vergangenen Schrecken die Familie an – und wird dann schnell wieder zugedeckt und eingewebt in eine Gegenwart aus Wohlstand und oberflächlichen Selbstberuhigungsfloskeln.

„Als habe sich im Universum eine mollige Falte gezeigt, empfindet Sebastian das Verlangen, sich von seiner ältesten Schwester festhalten zu lassen und alles in einem Schwall von sich zu geben, all das Unverdaute, Bröckchenhafte, Magensaftresistente, das sein letztes Jahr belebt und vergiftet hat.,Sie hat schlecht geschlafen', sagt er.,Und sie macht sich ein bisschen Sorgen wegen Ben.' “

Zur Sache geht es dann doch noch bei den Kupfers. Ob das Familiengewebe am Ende hält, oder ob der 77. Geburtstag des Vaters zu einem Thomas-Vinterberg’schen Fest gerät, sei an dieser Stelle nicht verraten.

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