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Neuer Regierungschef in PalästinaPragmatiker fürs Krisenmanagement

Der Fatah-Politiker und Ökonom Mohammed Schtaje soll eine neues Kabinett zusammenstellen. Zentrales Problem ist die leere Haushaltskasse.

Abbas überreicht Mohammed Schtaje die Ernennungsurkunde zum Ministerpräsidenten Foto: reuters

Berlin taz | Eine nahezu unlösbare Aufgabe erwartet den künftigen palästinensischen Regierungschef Mohammed Schtaje. Am Sonntagabend ernannte Palästinenserpräsident Mahmud Abbas den Pragmatiker und strikten Befürworter der Zweistaatenlösung zum Nachfolger von Rami Hamdallah, der schon Ende Januar seinen Rücktritt eingereicht hatte. Schtajes Amtszeit fällt in eine tiefe finanzielle Krise, aus der er die Palästinenser herausführen soll.

Die öffentliche Kasse ist leer, weil US-Präsident Donald Trump die Zuwendungen an die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) strich, weil Israel die Auszahlung der Zoll- und Steuereinnahmen um 5 Prozent reduzierte, und weil Abbas aus Protest gegen die israelischen Kürzungen die restlichen 95 Prozent zurückweist.

„Ich bin mir der politischen und wirtschaftlichen Lage vollends bewusst“, erklärte der 61-Jährige, der als enger Vertrauter des Präsidenten gilt. Im Gegensatz zu seinen zwei Vorgängern, die beide parteiunabhängig waren, ist er Mitglied der Fatah. Mit der Ernennung Schtajes zum neuen Regierungschef „rückt die Hamas einmal mehr ins Abseits“, schrieb die Times of Israel.

Die Verhandlungen zwischen den beiden großen Fraktionen verlaufen bislang ergebnislos. Nichtsdestotrotz beauftragte Abbas den künftigen Regierungschef mit der Mission, die Versöhnung und allgemeine Wahlen voranzutreiben. Dies muss jedoch als Lippenbekenntnis interpretiert werden, denn Abbas selbst hintertreibt wie kaum ein anderer die Annäherung der seit elf Jahren miteinander zerstrittenen Fatah und Hamas, indem er dem Gazastreifen systematisch öffentliche Gelder vorenthält.

Schtaje könnte Abbas als Präsident beerben

Schtaje wurde in Nablus geboren, studierte an der Birzeit-Universität, an der er später auch als Dozent arbeitete, er promovierte in England und spricht Englisch beinah akzentfrei. Für die Verhandlungen mit den verschiedenen Fraktionen der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) zur Bildung eines neues Kabinetts bleiben ihm drei Wochen.

Der Wirtschaftswissenschaftler leitet seit Beginn der Autonomie in Ramallah den ­PECDAR, den von der PLO gegründeten Palästinensischen Wirtschaftsrat für Entwicklung und Wiederaufbau. Mit dem aktuellen Notstandshaushalt sind ihm die Hände für weitreichende Reformen gebunden. Die PA muss sparen: Um Geld einzunehmen, steht in Ramallah der Verkauf von Regierungsgebäuden und -fahrzeugen an.

Als Ministerpräsident bleibt Schtaje dem Präsidenten unterstellt, allerdings könnte die Regierungsumbildung Teil der Vorbereitung auf einen Wechsel im höchsten Regierungsamt sein. Der 83-jährige Abbas ist gesundheitlich angeschlagen. Schtaje, der Abbas jahrelang zur Seite stand und Friedensverhandlungen mit Israel beiwohnte, könnte im Ernstfall als Interimspräsident eingesetzt werden. Die Verfassung sieht zwar den Parlamentspräsidenten dafür vor, doch diesen Posten hält derzeit ein Hamas-Politiker.

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2 Kommentare

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  • Seit Abbas Salam Fayyad weggemobbt hat, haben die Palaraber eigentlich niemanden mit Sachkompetenz mehr in der Regierung.

    Die bräuchten sie aber unbedingt, wenn die sich nicht so komplett tollpatschig anstellen würden, hätten Sie schon lange Geld für Infrastrukturprojekte eingesammelt. Gaza braucht eine Bahnverbindung mit Ägypten, am besten über Rafah, von da gibt es schon Verbindungen mit Alexandria und Kairo. Gaza benötigt weiter einen richtigen Hafen für Handelsschiffe und vor allem 24 Stunden am Tag Strom, man kann keine Entwicklung voranbringen ohne dauerhaft Strom. Die Westbank benötigt eine Bahnlinie mit Jordanien, am Besten die alte Hedschasbahn von Nablus nach Jordanien und dann weiter nach Saudi-Arabien.

    Dafür würde man sicher Geldgeber finden und ein wirtschaftlicher Aufschwung würde die Lebensverhältnisse verbessern, mit zivilen Projekten würde man auch die Blockade durch Israel und Ägypten aushebeln.

    Denn was die Hamas, Fatah oder die PFLP nie schlüssig erklären konnten, selbst wenn man wie durch ein Wunder Israel besiegen sollte und einen eigenen Staat gründet. Man wäre eines der ärmsten Länder einer Region die ohne den Konflikt mit Israel und jetzt den IS nicht unbedingt regelmäßig im Fokus der Öffentlichkeit steht, sieht man am Libanon oder Jordanien. Man müsste selbst wenn man auf eine militärische Lösung setzt, zumindestens einen Plan haben, wie man wirtschaftlich mal vorwärts kommt.

    Fayyad hatte einen Plan, da hatten die Palaraber 8,5% Wirtschaftswachtum, erkenne ich aber aktuell weder bei den Kleptokraten der Fatah noch bei der Hamas.

    • @Sven Günther:

      Stimme ihnen weitgehend zu. Nur: "Die bräuchten sie aber unbedingt, wenn die sich nicht so komplett tollpatschig anstellen würden, hätten Sie schon lange Geld für Infrastrukturprojekte eingesammelt."

      Dies hat m.M.n. nichts mit Tollpatschigkeit sondern ausschließlich mit Terrorismus zu tun. Allein die ganzen Tunnelbauprojekte a.k.a. Millionengräber der Hamas, die, zum Glück, meistens wirkungslos bleiben, da im Normalfall von der IDF vorher entdeckt: wieviele Krankenhäuser, Schulen und Häuser hätte die chronisch finanzknappe Hamas bauen können, würde sie doch nur ihrer fanatischen "Death to Israel" Ideologie abschwören und endlich mal die Belange der Palästinenser ins Zentrum ihres Tuns rücken ?