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Neuer Kurs in Irland: Mit Waffe und Wahlurne

■ Irische Parteien reagieren nervös auf Entscheidung Sinn Feins, Abstentionismus aufzugeben / Auch in der Partei ist der Beschluß des Parteitags nicht unumstritten

Aus Dublin Ralf Sotschek

Die Entscheidung der IRA–nahestehenden irischen Oppositionspartei Sinn Feins (“Wir selbst“), den 44 Jahre alten Boykott des irischen Parlaments aufzugeben, hat bei den etablierten Parteien offensichtlich Panik ausgelöst. Vor einer Woche hatte der Sinn–Fein– Parteitag mit Zwei–Drittel–Mehrheit dafür gestimmt, bei zukünftigen irischen Parlamentswahlen die gewonnenen Sitze einzunehmen. Dieser Beschluß wird von der IRA (Irisch–Republikanische Armee) unterstützt. Premierminister Fitzgerald rief sogleich alle „demokratischen Parteien der Republik Irland“ dazu auf, gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, auf daß kein Vertreter „dieser IRA–Partei“ ins Parlament gewählt werde. Fitzgerald, wegen seiner bankrotten Wirtschaftspolitik in argen innenpolitischen Schwierigkeiten, ist auf der Suche nach gemeinsamen Feindbildern: „Alle Parteien haben die Pflicht, sicherzustellen, daß eine irische Regierung niemals auf die Unterstützung von Sinn–Fein–Abgeordneten angewiesen ist.“ Auch die anderen Parteien signalisierten bereits, daß sie nicht gewillt sind, den stetig schrumpfenden Kuchen mit Sinn Fein zu teilen. Der Beschluß von Sinn Fein, die als einzig irische Partei in beiden Teilen der Insel aktiv ist, das Prinzip des Abstentionismus (der bewußte, politisch motivierte Verzicht der Teilnahme am parlamentarisch–demokratischen System) aufzugeben, kam nicht überraschend. Der Grundstein dafür wurde bereits vor fünf Jahren gelegt. Als 1981 IRA–Gefangene im Konzentrationslager Long Kesh (Nordirland) in den Hungerstreik für die Anerkennung des politischen Status traten, startete Sinn Fein in der Republik Irland eine Solidaritätskampagne für die Hungerstreikenden. Zwei Gefangene wurden aufgrund dessen sogar ins irische Parlament gewählt. Allerdings war Sinn Fein damals auch klar, daß die meisten Wahlstimmen lediglich Sympathieer klärungen für die Hungerstreikenden waren, die sie bei einer „normalen“ Wahl nicht erhalten hätte. Die Wähler waren mit der einfachen Frage konfrontiert: „Was können sie für uns tun, wenn sie ihre Parlamentssitze nicht einnehmen?“ Drastisch vor Augen geführt wurde der Partei ihre relative Bedeutungslosigkeit für Südirland, als ihr Stimmenanteil bei der Wahl nach dem Hungerstreik nur noch die Hälfte betrug. Seitdem begann Sinn Fein, sich in der Republik zu reorganisieren. Ihr Präsident Gerry Adams sagte damals: „Uns muß klar sein, daß die große Mehrheit der irischen Bevölkerung das Dubliner Parlament anerkennt.“ Diese Meinung wurde bei den Kommunalwahlen im letzten Jahr bestätigt. Sinn Fein gewann eine bedeutende Zahl an Sitzen, da für diese Wahlen das Prinzip des Abstentionismus nicht gilt. So war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis Sinn Fein auch die Sitze im irischen Parlament einnehmen würde. Gerry Adams sagte auf dem Parteitag am Wochenende: „Wir müssen unsere Basis im Norden konsolidieren und im Süden eine eigenständige Politik entwickeln, die den Kampf im Norden ergänzt. Deshalb ist es notwendig, den Abstentionismus in bezug auf Südirland aufzugeben.“ Daß diese Kursänderung nicht auf ungeteilten Beifall der Parteitagsdelegierten stoßen würde, war zu erwarten. Schließlich war es ein Grundprinzip der Partei, die Institutionen der beiden künstlichen irischen Staaten zu boykottieren. Die Diskussion um dieses Thema und die daraus resultierenden Spaltungen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte Sinn Feins. Seit der Teilung Irlands im Jahre 1922 und dem darauf folgenden Bürgerkrieg gab es immer wieder Abspaltungen, denen die parlamentarischen Fleischtöpfe näher waren als Prinzipien, und die ihre ehemaligen Genossen heftig bekämpften, sobald sie an der Macht waren Sinn Feins Ex–Präsident OBradaigh, einer der schärfsten Verfechter des Abstentionismus, verließ nach dem Kurswechsel die Partei und gründete eine „Republican Sinn Fein“. Er erinnerte an den Parteitag 1970, als sich Sinn Fein und IRA wegen eben dieses Themas in einen offiziellen und einen provisorischen Flügel gespalten hatten. Die Gründer von „Republican Sinn Fein“ waren damals die Hauptinitiatoren der Spaltung. Die alte Garde um OBradaigh befürchtet auch diesmal, daß die faktische Anerkennung des Parlaments der Republik Irland zu einer Verwässerung des bewaffneten Kampfes in Nordirland führen wird. Sinn Fein– Kreise geben der Abspaltung wenig Chancen und erwarten, daß sie bald den ihr zustehenden Platz in den Geschichtsbüchern zugewiesen bekommen wird. Im übrigen seien die Zahlen in der Presse über die Abspaltung übertrieben gewesen, aus Nordirland seien kaum Delegierte zu „Republican Sinn Fein“ übergelaufen. Solange die IRA geschlossen hinter dem Parteitagsbeschluß steht, dürfte diese Einschätzung auch stimmen. Allerdings könnte Sinn Fein möglicherweise eine wichtige finanzielle Quelle einbüßen. Von „Noraid“, der US–amerikanischen Solidaritätsorganisation für Sinn Fein und IRA, war zu erfahren, daß über den Beschluß zum Abstentionismus Uneinigkeit herrsche. Der Beschluß Sinn Feins, die Sitze im Dubliner Parlament einzunehmen, könnte weitreichende Auswirkungen auf die politische Landschaft Irlands haben. Wenn Gerry Adams sagt, er erwarte bei den Wahlen im nächsten Jahr noch keine Parlamentssitze, ist das Tiefstapelei. Bereits die Kommunalwahlen im letzten Jahr haben gezeigt, daß Sinn Fein ein beträchtliches Wählerpotential mobilisieren kann, wenn die Partei ihren Wahlkampf nicht auf den Krieg in Nordirland beschränkt, sondern Themen wie Drogen, Arbeitslosigkeit, Armut und Emigration anspricht. 1984 gewann Sinn Fein bei einer Nachwahl in der Dubliner Innenstadt, wo die sozialen Probleme besonders krass sind, mehr Stimmen als die Labour Party, der Koalitionspartner von Fitzgeralds Fine Gael. Sinn Fein kann durchaus zum Sprachrohr für eine breitere Bewegung werden und dadurch auch Stimmen und Mitglieder von den etablierten Parteien abwerben. Sinn Feins Einzug ins Parlament würde dem Premierminister zusätzliche Kopfschmerzen bereiten: Schließlich ist es dem irischen Fernsehen (im Gegensatz zum britischen) gesetzlich verboten, Vertreter von Sinn Fein zu Wort kommen zu lassen. So war Gerry Adams in den Fernsehberichten über den Parteitag zwar zu sehen, aber er blieb stumm. Stattdessen las ein Kommentator Teile der Rede des Parteivorsitzenden fast wörtlich vor. Da jedoch Parlamentssitzungen live übertragen werden, darf man jetzt schon gespannt sein, wie diese Zensur aufrechterhalten werden kann.

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