Neuer Film von Pedro Almodóvar: Mann mit mindestens zwei Gesichtern
Endlich spielt Antonio Banderas wieder einmal die Hauptrolle in einem Film von Pedro Almodóvar. "Die Haut, in der ich wohne" ist ein virtuoses erzählerisches Verwirrspiel.
Vera (Elena Anaya) lebt isoliert in einem Zimmer. Sie steckt in einem fleischfarbenen Ganzkörpertrikot, einer künstlichen Haut. Mit einsamen Yogaübungen hält sie ihre Muskeln geschmeidig. Über einen Speisenaufzug wird sie mit Essen, Büchern und allem, was sie sonst noch so benötigt, versorgt. Es ist zunächst nicht klar, ob sie sich zu ihrem eigenen Schutz in dieser Isolation befindet oder ob man sie gefangen hält.
"Die Haut, in der ich wohne" ("La piel que habito") heißt der jüngste Film von Pedro Almodóvar. Menschliche Haut wird darin ganz buchstäblich bearbeitet und manipuliert. Zugleich wird man immer wieder auch auf die designten Oberflächen der Werkzeuge und Materialien sowie der Bilder selbst gestoßen. Vera lebt in der Obhut eines Arztes (Antonio Banderas), der in seiner weitläufigen Privatklinik geheime genetische Experimente durchführt.
In seinem Schlafzimmer im Obergeschoss hat er einen wandfüllenden Monitor installiert. Die Frau nebenan erscheint darauf als gerechnetes Bild, per Zoom wird sie überlebensgroß; einen Moment lang entsteht ein unheimlicher (und berückender) Effekt, wenn der Körper des Mannes, der Veras Bild per Fernbedienung manipuliert, vor diesem schwebenden Hintergrund selbst wirkt wie aus den räumlichen Koordinaten herausgelöst.
Das Haus ist überhaupt voller Bilder: Die Bearbeitungen des (weiblichen) Körpers, die der Arzt vornimmt, werden von Beginn an mehr in eine künstlerische Tradition gestellt als in eine kommerzielle, "Die Haut, in der ich wohne" ist kein einfaches Themendrama über Schönheits-OPs und Transgenetik, auch wenn der Film natürlich von diesen Dingen spricht und damit seine Zeitgenossenschaft belegt.
Berühmte Aktgemälde - wie Goyas nackte Maja - hängen an den Wänden, auch auf Arbeiten von Louise Bourgeois wird Bezug genommen. Die geheimnisvolle Isolierte hat einen Schrank voller zerschnittener Kleider, aus Sackleinen fertigt sie die Haut ihrer Püppchen; der Arzt arbeitet mit genetisch veränderter Schweinehaut. Irgendwann sucht ein Mann im Tigerdress das Anwesen heim, die eigene Haut des Unbändigen trägt sichtbare Zeichen früherer Wunden.
Beinahe ein Thriller
Allmählich gewinnt man einen Überblick über die räumliche Anlage des Hauses, genau wie über die Beziehungen der Figuren zueinander und eine mögliche Vorstellung davon, wie das alles erzählerisch zusammenhängt. In der Vergangenheit hat sich ein verheerender Unfall ereignet, der Arzt rückt seinem Trauma mit den Mitteln zu Leibe, die ihm von Berufs wegen zur Verfügung stehen.
Der Film könnte ein Thriller werden, die Referenzen auf Georges Franjus kühlen Horrorfilm "Les yeux sans visage" etwa sind kaum zu übersehen. Eine andere Spur führt weiter zurück in Richtung gothic novel und Melodrama. Ein klassisches Genre, dem Almodóvar seit jeher verbunden war und dem er mit seinen Diven, mit hochdramatischen Liebesverhältnissen und schrillem Witz (der Tigermann zeugt noch davon) neue, queere Facetten abzugewinnen vermochte.
Aber "Die Haut, in der ich wohne" - der auf einem Roman von Thierry Jonquet basiert - belässt es bei einem gemäßigteren Tonfall. Der Film entpuppt sich als virtuoses erzählerisches Verwirrspiel und als dramaturgische Glanzleistung, die einen beim Rezensieren vor knifflige Probleme der Geheimniswahrung stellt: Ein Schlüsselmoment stoppt die Erzählung mittendrin ab, eine irritierende Parallelhandlung tut sich auf. Jedoch nur, um auf das Geschehen des ersten Teils noch einmal eine andere Perspektive zu eröffnen.
Sprechen wir stattdessen also von anderen Dingen: "Die Haut, in der ich wohne" ist seit 21 Jahren die erste Zusammenarbeit des Regisseurs mit dem Schauspieler Antonio Banderas - immerhin startete dessen Karriere in den 1980er Jahren in Almodóvar-Filmen wie "Labyrinth der Leidenschaft", "Matador" oder "Das Gesetz der Begierde". Mit der Auslands-Oscar-Nominierung für den Film "Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs" öffneten sich für Banderas die Türen nach Hollywood. Seine letzte Kollaboration mit Almodóvar blieb "Fessle mich" (1990).
In den USA hatte er seither aber kaum mehr zu tun, als für gutes Geld gut auszusehen, den Latinlover, den Mariachi oder den Zorro zu geben. Umso erfreulicher, dass das frühere Erfolgsgespann sich wiedergefunden hat und Banderas in "Die Haut, in der ich wohne" einen ziemlich zwielichtigen Charakter spielen darf. Einen Mann mit mindestens zwei Gesichtern, der aus seiner Haut nicht kann.
"Die Haut, in der ich wohne". Regie: Pedro Almodóvar. Mit Antonio Banderas, Elena Anaya, Marisa Paredes u. a., Spanien 2011, 120 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?