Neuer Film von Jim Jarmusch: Poesie zwischen Bustüren
Im Film „Paterson“ spielt „Star Wars“-Star Adam Driver einen lyrisch veranlagten Busfahrer – und macht dabei eine verdammt gute Figur.
Alltag und Routine: Für viele Menschen ist derlei im eigenen Leben oft schwer genug zu ertragen. Die Aussicht auf zwei Stunden Film, in denen diese Dinge handlungsbestimmend sind und ansonsten nichts groß passiert, mag da zunächst abschreckend erscheinen. Oder wie eine Provokation.
In „Paterson“, seinem jüngsten Spielfilm, erzählt Jim Jarmusch vom ereignisarmen Alltag eines Busfahrers in New Jersey. Die damit verbundenen Wiederholungen nutzt er zur formalen Gestaltung. Sieben Tage einer Woche im Leben der Hauptfigur namens Paterson bilden in ihrem doch recht ähnlichen Verlauf die Struktur, deren steten, ruhigen Rhythmus der Film bereitwillig übernimmt.
An dieser Stelle sei kurz Entwarnung gegeben: „Paterson“ ist keinesfalls langweilig. Und das, obwohl die Action-Anteile selbst für Jarmusch-Verhältnisse bemerkenswert gering ausfallen. Überhaupt geht es sehr besonnen und harmonisch zu. Das alles gerät Jarmusch nicht zum Nachteil. In einem Interview nach der Premiere von „Paterson“ in Cannes bemerkte er, dass er ganz bewusst einen Film habe machen wollen, in dem es keine Gewalt und kein Drama geben sollte. Davon bekommt man im Kino in der Regel reichlich zu sehen. Wirklich stille Filme bilden die Ausnahme.
„Paterson“ ist in diesem Sinn tatsächlich eine Provokation. Denn Jarmusch übt in seiner Verweigerung von handelsüblichen Überraschungen und Zuspitzungen indirekt Kritik an den Routinen des Kinos – egal für welche Zielgruppe –, das sich oft allzu enge Grenzen setzt in der Frage, was ein Film wie zeigen sollte. Klar, man kriegt im Kino allerhand erzählt und zu sehen, vermehrt ist dabei gern Kunstblut im Spiel, Arthouse-Produktionen eingeschlossen. „Paterson“ hingegen interessiert sich für andere Dinge.
Empfohlener externer Inhalt
Dass kein Tag ist wie der andere, selbst wenn der Verlauf identisch sein mag, ist eine der Binsenwahrheiten des geregelten Lebens. Für diese Gleichförmigkeit eine Filmsprache zu finden und ihr damit selbst poetische Qualitäten zuzuschreiben, ist keine kleine Aufgabe. Jarmusch löst sie auf so naheliegende wie elegante Weise durch das Prinzip der Variation in der Wiederholung.
6.15 Uhr jeden Morgen
Es beginnt mit dem Erwachen der Eheleute Paterson (Adam Driver) und Laura (Golshifteh Farahani). Man sieht jeden Morgen, ungefähr um 6.15 Uhr, aus einer Draufsicht, wie beide nebeneinander im Bett liegen, wie Paterson seine Armbanduhr vom Nachtisch nimmt, sich erhebt, stumm seine Cheerios zum Frühstück mampft und sich auf den Fußweg zum Busdepot macht.
Abends, nach dem Essen mit seiner Frau, führt er den Hund, die Bulldogge Marvin, einmal um den Block. Jeden Abend macht er Halt in derselben Bar und trinkt exakt ein Bier. Jeden Tag sieht man dafür andere Abschnitte von Patersons Weg durch die Stadt, die übrigens gleichfalls den Namen Paterson trägt.
„Paterson“, Regie: Jim Jarmusch. Mit Adam Driver, Golshifteh Farahani u. a., USA 2016, 123 Min.
Nun lässt Jarmusch seine Figuren nie bloß in einem trockenen Realismus-Szenario durch die Welt laufen. Er bedient sich ihrer bevorzugt, um von Sachen zu erzählen, die ihn gerade oder schon seit Längerem interessieren. Paterson bietet sich für den ehemaligen Literaturwissenschaftsstudenten Jarmusch als Ort der Handlung an, lebte dort doch unter anderem der US-amerikanische Arzt und Dichter William Carlos Williams, der seiner Heimatstadt das Gedicht „Paterson“ widmete.
Paterson in Paterson ist lediglich eine von vielen Doppelungen. So ist Paterson selbst ein Dichter, der seine Verse während der Arbeitspausen in einem Notizbuch festhält. Alltägliches, scheinbar Belangloses, erhält in diesen Zeilen eine Aufwertung, manchmal einfach dadurch, dass es in eine sprachliche Form gebracht wird. Auf der Leinwand erscheinen die Gedichte, von Adam Driver gesprochen, zusätzlich als Schrift. Verfasst hat sie der von Jarmusch verehrte Poet Ron Padgett.
Als wäre das noch nicht genug der Doppelung, begegnet Paterson an jedem Tag mindestens einem Zwillingspaar, meistens in seinem Bus der Linie 23, den er mit stoischer Zuverlässigkeit durch die Straßen steuert. Das Gesicht Adam Drivers, wie er konzentriert auf den Verkehr achtet oder im Rückspiegel die Fahrgäste beobachtet, lohnt für sich genommen schon den Film. Dieses Setting ermöglicht Jarmusch nebenbei, seinen Paterson zu einem interessierten Mithörer zu machen, der die zufälligen Gespräche seiner Mitfahrer mit gleichbleibender Aufmerksamkeit verfolgt. Seien es gescheiterte Kontaktaufnahmen mittelalter Männer mit dem anderen Geschlecht oder Details aus der Geschichte der Stadt.
So erfährt man, dass der italienische Anarchist Gaetano Bresci als Emigrant nach Paterson kam und dort lebte, bis er seiner politischen Überzeugungen wegen zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Italien zurückkehrte und als Attentäter des Königs Umberto I. in die Geschichte einging. Im Verlauf des Films erfährt man so noch einige verstreute Anekdoten.
Jarmusch belässt es nicht ausnahmslos bei der Gleichförmigkeit der Ereignisse. Das Drama, das sich „Paterson“ gestattet und das der Pointe wegen nicht verraten werden darf, ist aber zu vernachlässigen. Sein „Held“ Paterson trägt es denn auch mit einer weltentrückten Unerschütterlichkeit, die keine Wutausbrüche oder Aggressionen kennt.
Wie auch die Beziehung zwischen Paterson und Laura von einem unbedingten Einverständnis getragen ist, bei dem beide einander uneingeschränkt akzeptieren. Lediglich ihr Hund Marvin, dargestellt von der inzwischen verstorbenen, wunderbar zerknautschten Bulldogge Nellie, gibt sich gegenüber Paterson herrlich eifersüchtig. Diese stabile emotionale Basis, wie der gesamte Umgang der Menschen im Film untereinander, verleiht „Paterson“ fast utopischen Charakter.
Das Zischen der Bustüren
Vieles von der Bildsprache kennt man aus Jarmuchs Schaffen, einige Einstellungen sind direkt aus anderen Filmen übernommen – das Paar im Bett am Morgen etwa zitiert eine Szene aus „Mystery Train“ von 1989. Und der Mann, den man in letzterem Film im Bett liegen sah, der japanische Schauspieler Masatoshi Nagase, hat wiederum in „Paterson“ eine kleine Rolle zu spielen.
Eine unerwartete Neuigkeit ist die Filmmusik. Erstmalig hat sich Jarmusch für elektronische Ambient-Klänge entschieden, von ihm selbst mit seinem Mitarbeiter und Produzenten Carter Logan am Synthesizer eingespielt. Der dezente Charakter dieser luftigen Flächen lässt den bei Jarmusch sonst gleichberechtigt in Erscheinung tretenden Soundtrack mehr in den Hintergrund rücken, sich mit den Alltagsgeräuschen vermischen, sei es das pneumatische Zischen der Bustüren oder das Rauschen des Straßenverkehrs. Diesmal dominieren eben die Sprache und die Schrift.
Der „alternde Punk“ (Jarmusch über Jarmusch) ist mit „Paterson“ gleichwohl weit von einem betulichen Alterswerk entfernt. Nicht zuletzt kommt nach wie vor sein trockener Humor zur Geltung, der Albernheiten nicht scheut, ohne sie in Klamauk und Lächerlichkeit entgleiten zu lassen. Der alternde Punk, der immer mit großer Ruhe und Perfektion seine Filme dreht, ist noch eine Spur ruhiger geworden. Das ist auch eine Form von Radikalität.
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