Neuer Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels: Das neue soziale Gewissen der CDU
Dennis Radtke ist neuer Bundesvorsitzenden der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft Deutschlands. Der EU-Abgeordnete gilt als „Anti-Merz“.
Dennis Radtke gibt sich kämpferisch: „Wenn die CDU Volkspartei bleiben will, wenn für uns Wahlergebnisse von 35 Prozent und mehr drin sein sollen, müssen wir den Arbeitnehmerflügel stärken.“ Am Samstag ist der 45 Jahre alte Europaabgeordnete aus Bochum in Weimar ohne Gegenkandidaten zum Bundesvorsitzenden der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft Deutschlands (CDA) gewählt worden. Den hatte seit 2005 Karl-Josef Laumann geführt. Radtke war seit 2019 dessen Stellvertreter. Um Wirtschaftsliberalen wie CDU-Bundeschef Friedrich Merz und seinem Generalsekretär Carsten Linnemann etwas entgegenzusetzen, kandidierte Laumann im Mai als CDU-Bundesvize – mit Erfolg.
Dass die CDA innerparteilich in der strukturellen Defensive ist, weiß Radtke. „Der Mainstream ist ein anderer“, räumt der Parteilinke ein. Einflusslos ist seine CDA aber nicht: Als Radtke Mitte August einer pauschalen Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre eine Absage erteilte, dauerte es nur vier Tage, bis CDU-Chef Merz auf diese Linie einschwenkte.
Trotzdem nervt Radtke – Vater einer sechsjährigen Tochter und eines drei Jahre alten Sohns – in der Union viele: Schließlich macht er sich nicht nur für Mindestlohnerhöhungen und armutsfeste Renten stark. Im Kampf um Armin Laschets Kanzlerkandidatur drohte er dessen CSU-Konkurrenten Markus Söder 2021 sogar mit einem Einmarsch der CDU nach Bayern.
Ablesbar ist diese Gereiztheit auch an den Überschriften der wirtschaftsliberalen Presse. Einen „Anti-Merz“, einen „Sozialstaats-Groupie“ nannte ihn die Welt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung beschrieb ihn als den „Sozialonkel aus Wattenscheid“ – nach dem Bochumer Stadtteil, in dem er 1979 geboren wurde. Hier, neben dem ehemaligen Schacht 4 der Zeche Holland, liegt auch sein Abgeordnetenbüro.
Wie sehr ihn das Ruhrgebiet geprägt hat, will der Industriekaufmann, der beim Bochumer Kokerei-Ausstatter „Dr. C. Otto Feuerfest“ in die Lehre ging, in jedem Gespräch sofort klarmachen: Wie vor Jahrzehnten nutzt Radtke, dessen beide Großväter Kohlekumpel waren, den Bergmannsgruß „Glückauf“.
Um den angeschlagenen Revier-Stahlgiganten Thyssenkrupp sorgt sich Radtke, der nie studiert und sich stattdessen bei der IGBCE zum Gewerkschaftssekretär fortgebildet hat, deshalb genauso wie um VW. Wie seine Gewerkschaft, für die er zuletzt als Bezirksleiter im lange vom Bergbau geprägten Moers gearbeitet hat, will Radtke die Industrie finanziell entlasten. Er fordert: Energiekosten runter, einen Industriestrompreis einführen. Und von seiner Parteikollegin, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, fordert der Abgeordnete, der seit 2017 im Europaparlament sitzt, „endlich effektiven Bürokratieabbau“ ebenso wie schnellere Förderzusagen.
Die Verunsicherung durch drohende massive Jobverluste zahle im „Endspiel um unsere liberale Demokratie“ auf das Konto populistischer Parteien wie der AfD und das BSW ein. Kürzlich sprach er sich mit 39 weiteren CDU-Mitgliedern für einen Unvereinbarkeitsbeschluss seiner Partei mit dem BSW aus.
Dass er teils klingt wie viele traditionelle Sozialdemokraten gerade in NRW, ist kein Zufall. Bis 2002 war er selbst SPD-Mitglied. Er trat aus wegen einer Enttäuschung, die noch heute spürbar ist: „Die SPD verleugnet ihre historischen Wurzeln und versteht sich nicht mehr als Vertretung der Industriearbeiter.“ In der CDU habe er nach dem Parteiwechsel „lange Zeit mit Vorbehalten zu kämpfen gehabt“. „Wer im Ruhrgebiet in die CDU eintritt“, sagt er dazu, „macht das nicht aus Karrieregründen.“
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