Neue türkische Diaspora in Deutschland: „Jede von uns bringt so viel mit“
Der Verein Puduhepa unterstützt Frauen, die aus der Türkei nach Deutschland ausgewandert sind. Zwei Mitgründerinnen erzählen, wie.
Puduhepa ist ein neuer feministischer Verein von Frauen in Berlin, die aus der Türkei nach Deutschland migriert sind. Als Aktivistinnen wollen sie ihre Erfahrungen austauschen und einander den Rücken stärken. Als kurzfristiges Ziel haben sie sich vorgenommen, die Möglichkeiten kennenzulernen und zu nutzen, die Deutschland im sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereich bietet.
Wir haben mit den Gründungsmitgliedern Belma Bağdat und Tuğba Kıratlı Spriewald über die Vereinsziele, ihre Bedarfsanalyse und das Profil der in den letzten Jahren aus der Türkei zugewanderten Menschen gesprochen.
taz.gazete: Frau Bağdat, in Istanbul waren Sie 15 Jahre lang für eine deutsche Stiftung tätig. Vor zweieinhalb Jahren kamen Sie mit Ihrem Mann und Ihren zwei Kindern nach Berlin. Was heißt es für eine Feministin, nach Deutschland auszuwandern?
Belma Bağdat: Wir sind mit unseren persönlichen und professionellen Erfahrungen nach Deutschland gekommen. Meine Berufslaufbahn, meinen Standard und meine wirtschaftliche Freiheit habe ich zurückgelassen, als ich mit meiner Familie nach Berlin gekommen bin. Mein Mann ging aus dem Haus, er musste etwas zu essen besorgen. Ich dagegen fand mich plötzlich als Frau wieder, die auf das Leben im Haushalt reduziert wird. Ich fühlte mich wie in lange zurückliegende Zeiten zurückversetzt. Nur Menschen mit Chancengleichheit können ihre Talente und Potenziale nutzen. Wir sind davon überzeugt, dass ein menschenwürdiges Leben nichts mit Grenzen oder Geographie zu tun hat.
Wie fühlten Sie sich, als Sie nach Berlin kamen?
Belma Bağdat: In Berlin habe ich starke Frauen kennengelernt, die hier Karriere gemacht haben, ehrgeizige Frauen, die neu in Berlin sind und lange nicht berufstätig waren, aber talentiert sind und hier arbeiten wollen. Als ich den ersten Schock des Umzugs überwunden hatte, wurde ich wütend. „Wieso sollen wir Frauen zu Hause sitzen? Jede von uns bringt so viel mit“, sagte ich mir.
Wie sind Sie mit der Wut umgegangen?
Belma Bağdat: Im Oktober 2017 habe ich mich 16 anderen Frauen zusammengesetzt. Von da an trafen wir uns jeden Mittwochabend. Was uns zusammengebracht hat, war unsere Identität als Frau und dass wir die gleichen Sorgen teilen. Es geht bei Puduhepa nicht um irgendeine politische Identität. Was uns bewegt, ist unser Dasein als Migrantinnen. Es hat uns allen einfach gut getan, uns jeden Mittwoch zu treffen und einfach nur miteinander zu reden. Nach den zweieinhalb Jahren, die ich jetzt hier bin, fühle ich mich viel stärker. Manches läuft jetzt, wir haben eine Wohnung, in der wir langfristig leben können, die Kinder gehen zur Schule und ich habe angefangen, in der Berliner Zentrale der Stiftung zu arbeiten, für die ich auch schon in der Türkei gearbeitet habe.
Was bedeutet Puduhepa, der Name Ihres Vereins?
Tuğba Kıratlı Spriewald: Puduhepa ist der Name einer hethitischen Herrscherin. Manche Historiker*innen meinen, sie sei die erste Feministin der Welt gewesen.
Welche Hilfe will der Verein bieten?
Tuğba Kıratlı Spriewald: Wir wollen Diskriminierung bekämpfen. Das heißt, ungeachtet von politischer Ideologie, Sprache, Ethnie, Geschlecht, sexueller Orientierung, Glauben oder Altersunterschied solidarische Netzwerke bilden und Bewusstsein schaffen. Darum haben wir Puduhepa auf zwei Füße gestellt, als Frauen- und Solidaritätsplattform. Wir haben uns dann auch von Frauen fortbilden lassen, die schon länger in Berlin leben.
Belma Bağdat: In Berlin und ganz Deutschland gibt es Einrichtungen, die in Sachen Integration sehr stark sind. Wir wussten aber gar nichts darüber und hatten keine Möglichkeit, deren Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Das System hat also ein Manko, manches funktioniert nicht richtig. Frauen kommen in verschiedenen psychischen Situationen und mit Traumata nach Berlin. Wir wollen, dass man uns hört.
Wie wollen Sie das machen?
Belma Bağdat: Kurzfristig liegt unsere Priorität auf der Solidaritätsplattform. Wir müssen wissen, welche Dienstleistungen der Sozialstaat bietet, müssen in die Lage kommen, medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen. Die Informationen, die wir sammeln, wollen wir an Neuangekommenen aus der Türkei weitergeben. Eines der Ziele der Frauenplattform, unseres zweiten Standbeins, ist es, Kommunikations- und Solidaritätsnetze zu schaffen, mit denen Frauen unterschiedlicher Kenntnisse und Fähigkeiten Erfahrungen austauschen und neue hinzugewinnen können. So können diese Frauen auch schneller die Arbeit finden, die sie machen möchten.
Sie haben eine Bedarfsanalyse bei Menschen durchgeführt, die in den vergangenen Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen sind. Was sind die Ergebnisse?
Tuğba Kıratlı Spriewald: Als wir feststellten, dass unsere Probleme sich nicht auf uns beschränken, sondern dass auch andere Neuangekommene dieselben Probleme haben, beschlossen wir, dazu eine wissenschaftliche Studie durchzuführen. Diese Studie ist der erste große Output unserer Solidaritätsplattform. Dafür haben wir Umfragen gemacht und Gespräche am runden Tisch geführt. Wir wollten herausfinden, warum die Neuangekommenen nach Berlin migriert sind, mit welchen Problemen sie hier konfrontiert sind und wie wir als Puduhepa Lösungen entwickeln können. Wir setzten uns mit Einrichtungen und Personen in Verbindung, von denen wir vertrauenswürdige Informationen bekommen könnten, und führten Informationsgespräche über Diskriminierung, das Versicherungssystem, den Bildungsbereich und die Gesundheitsversorgung. Mit den Ergebnissen der Bedarfsanalyse wollen wir auch in Zukunft weiterarbeiten.
Ist der Feminismus in Deutschland ein anderer als der in der Türkei?
Tuğba Kıratlı Spriewald: Als Puduhepa beteiligten wir uns an Demonstrationen zum 8. März, dem Frauenkampftag, und am 25. November, dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Die deutsche Protestkultur unterscheidet sich von der in der Türkei. Es gab hier eine eher stille Demonstration. Als wir unsere Trillerpfeifen herausholten und auf Türkisch Parolen skandierten, kamen andere Frauen zu uns, fragten, was die Parolen bedeuten. Manche schlossen sich uns an. Hier laufen bei der Frauen-Demo zum 8. März auch Männer mit, Männer mit Baby-Buggys. Bei der Demo am 25. November war die Beteiligung insgesamt sehr gering, hauptsächlich waren migrantische Gruppen da. Das hat uns überrascht, denn in Deutschland findet in jeder ethnischen Gruppe und jeder sozialen Klasse häusliche Gewalt statt, und es gibt auch hier Homophobie, Transphobie und Rassismus.
Wie steht Deutschland Ihrer Meinung nach in Sachen Gleichberechtigung der Geschlechter da?
Tuğba Kıratlı Spriewald: In Deutschland steht die Frau im Zentrum der Familie. Auch hier wird sie wegen der Kinderbetreuung vom öffentlichen Raum isoliert, auch hier wird sie auf den unsichtbaren privaten Raum des Haushalts eingeschränkt. Dass Mütter in Teilzeit arbeiten, führt dazu, dass sie beruflich nicht weiterkommen. Genau deshalb haben wir Puduhepa gegründet. Was wir in der Türkei erreicht haben, ist für eine Frau nicht kampflos zu haben. Deshalb wollen wir auch hier nicht auf unsere Errungenschaften verzichten. Egal, aus welchem Grund wir hergekommen sind.
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
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