Neue rechte Begegnungsstätte: NPD erobert Terrain
Im mecklenburgischen Grevesmühlen hat die NPD auf einem großen Anwesen ein Bürgerbüro eröffnet. Die Schweriner Landtagsabgeordneten der NPD wollen natürlich vorbeischauen.
Auf der Straße sind kaum Menschen, doch die neuen Nachbarn im Grünen Weg 5 stoßen bei den Anwohnern auf vorsichtiges Interesse. Man schaut in dem Industriegebiet einfach mal vorbei. "Wir sind für Sie da", steht auf einem Transparent, das auf dem großen Grundstück eines ehemaligen Betonwerkes aufgebaut ist. Hier am Stadtrand von Grevesmühlen, 45 Autominuten von Lübeck entfernt, hat die NPD ein neues Bürgerbüro eröffnet.
"Ein Novum", sagt Tim Bleis vom Verein "Landesweite Opferberatung, Beistand und Information" (Lobbi). Das neue Anwesen biete allein schon wegen der Größe und Ausstattung viele Nutzungsmöglichkeiten.
Einige neugierige Nachbarn sind mit dem Fahrrad gekommen. Nein, das wäre nicht ihre Partei, wird versichert. Einige, die in benachbarten Unternehmen arbeiten, wollen auch nur mal schauen. Reden möchten sie eher nicht: "Wir wollen keinen Ärger mit den Jungs." Im Rathaus ist Bürgermeister Jürgen Ditz über die Eröffnung wenig erfreut. Erst im Nachhinein habe man von dem Kauf durch Sven Krüger, den NPD-Abgeordneten im Kreistag von Nordwestmecklenburg, erfahren, heißt es. Die Pressesprecherin des Kreistages, Petra Rappen, spricht von einer "sehr unglücklichen Situation". Der Kauf sei "von Privat zu Privat" gelaufen.
Der NPD-Landkreisabgeordnete Sven Krüger lebt in Jamel. Das Logo seiner Abrissfirma ziert der Spruch: "Jungs fürs Grobe". Ein Mann mit einem Hammer zerschlägt etwas, das einem Davidstern gleich.
Mit rund 120 Neonazis feierte er 1992 Adolf Hitlers Geburtstag. Im Laufe der Feiern griffen sie Nachbarn an, die nicht rechts waren.
Nach einer Zeit in Haft griff er 1996 mit 30 Neonazis eine Kindergruppe auf einen Campingplatz an. Wieder wurde er inhaftiert.
Im Rahmen einer sozialpädagogischen Maßnahme flog er 2001 nach Namibia. Danach soll er gesagt haben: "Die Kaffer sind wirklich so scheiße, wie ich dachte."
Seit dem 9. April kann das neue Bürgerbüro besucht werden, das dem Schweriner NPD-Fraktionschef Udo Pastörs und seinem NPD-Fraktionsvize Stefan Köster als Anlaufstelle dient. "In angenehmer Atmosphäre haben sie hier die Gelegenheit, sich Hilfe und Rat von unseren Wahlkreismitarbeiten und Landtagsabgeordneten abzuholen", versichert Andreas Theissen, Pastörs Wahlkreismitarbeiter.
In einem Videoclip auf der NPD-Fraktionswebsite erklärt Torgai Klingebiel, Mitarbeiter von Köster, die Bürger mit dem Büro "direkt" erreichen zu wollen. So biete man etwa Hartz-IV-Sprechstunden an - ganz im Sinne der Strategie des NPD-Bundesvorsitzenden Udo Voigt, soziale Themen lokal aufzugreifen, um auf kommunaler Ebene als die Kraft zu erscheinen, die sich kümmert.
Sehr einladend wirkt das Büro allerdings nicht. Ein Palisadenzaun versperrt den Blick auf das mehrstöckige Haus, das eine große Lebensrune ziert. Über dem Eingang steht "Thing Haus" und in Plattdeutsch "Lever dood as Slaav!" - Lieber tot als Sklave. Links vom Tor befindet sich ein "Aussichtsturm" - zwei Kameraden halten von ihm aus Ausschau. Ein niedrigschwelliges Angebot sieht anders aus. Wer hier eintritt, den dürfte der auf einem Transparent zu lesende Satz: "Todesstrafe für Kinderschänder" ansprechen.
In dem Video spricht Klingebiel von einer weiteren Nutzung. Das "Thing Haus" solle ein "Anlaufpunkt für national denkende Menschen" werden. Die NPD spricht von einer "Begegnungsstätte". Käufer Krüger sagt: "Wir hoffen, dass viele Leute, jung und alt, unter diesem Dach zusammenkommen." Der Zaun sei bewusst als Sichtschutz geplant gewesen.
Zu der Eröffnung waren zahlreiche Kameraden gekommen. An die 100 Gäste, viele junge Frauen hatten ihre Kinder mitgebracht. Vor dem Gebäude wird getratscht. Im Saal des "Thing Haus" lobt Fraktionsvize Köster das Engagement von Kreistagsmann Krüger. Ohne ihn wäre das Gebäude kaum innerhalb von zwei Jahren saniert worden.
Tim Bleis von der Opferberatung Lobbi sagt, er sei nicht überrascht von den Bemühungen der NPD in der Kreisstadt. "Im Westen Mecklenburg-Vorpommerns versucht die NPD jetzt planmäßig ihre Verankerung auszubauen, die geringer als im Osten des Bundeslandes ist." Ganz strategisch wolle sich die NPD im kommunalen Alltag zwischen Vereinsleben und Lokalpolitik etablieren. Bisher ist die Partei westlich von Schwerin vor allem im Raum Lübtheen stark verankert, wo Pastörs und Kösters schon lange ein Bürgerbüro haben.
Das neue Büro, sagt auch NPD-Mitarbeiter Klingebiel, sei "ein weiterer wichtiger Schritt der Strukturarbeit". Bestehen doch zwischen Wismar und Waschow Kameradschaftsstrukturen, die man anbinden möchte. In Grevesmühlen konnte die NPD mit 4,9 Prozent bei der Kommunalwahl 2009 ihr bestes Ergebnis in ganz Nordwestmecklenburg erreichen.
Krüger, der zusammen mit David Böttcher für die Partei in den Kreistag zog, lebt im nahen Jamel, wo er ein Abrissunternehmen hat. In dem kleinen Ort am Ende einer Straße gehören dem 37-Jährigen die meisten Häuser. Nach deren Einzug in den Schweriner Landtag näherte er sich offen der NPD an, und die Landesführung schien nicht zu stören, dass der bullige Glatzkopf Haftstrafen und Gerichtsverfahren hinter sich hat. Im Kreistag, berichtet Opferberater Bleis, kokettierte Krüger gleich bei der ersten Sitzung mit seinen Verurteilungen: "Ich muss ja nicht viel zu mir sagen, sie wissen ja alles von mir", sagte er. "Die Herren sind recht unauffällig", sagt Kreistagssprecherin Rappen.
Einen Tag nach der Eröffnung kommen neue Gäste auf das Gelände in Grevesmühlen. Hinter den vergitterten Fenstern des Gebäudes unterrichtet NPD-Bundesordnerchef Manfred Börm eine Gruppe. Ziel des "Grundlehrgangs I" ist laut interne Einladung, als "Ordner bei allen nationalen Veranstaltungen" einsetzbar zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis
„Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!