Neue Veranstaltungsreihe in Berlin: Es gibt eine Musik nach den Stones

Zum Auftakt der Reihe „On Music“ widmet sich das neue Netzwerk „Norient Space“ den Anforderungen des Aussterbens gedruckter Musikmedien.

Pressebild Sarathy Korwar

Sarathy Korwar spielt zum Auftakt von „On Music“ Foto: Promo

Musik und Einsamkeit, wie geht das zusammen? Ein Song, eine Platte lassen sich alleine hören, aber das selbst ist dann schon wieder ein Dialog. „Einsamkeit und Beisammensein sind simultan“, heißt es in „Loneliness“, einem Track der ukrainischen Komponistin Zavoloka.

In dem schön gefügten Stück gehen Sounds wie aus schnurrenden alten Röhrenradios, elektronische Beats und Stimmsamples aus fünf diversen Quellen ein knapp neunminütiges Amalgam ein. Kateryna Zavoloka, ein Kind der Millionenstadt Kiew, tritt auch als Performerin auf und arbeitet als Grafikdesignerin in Professionen, in denen sie als einzelne Person aus den Anregungen anderer schöpft. Einsamkeit ist relativ, nicht absolut. Im Übrigen kann sie ein Luxus sein.

„More Arriving“ heißt eine mitreißende, 2019 erschienene Platte des amerikanischen Jazzmusikers Sarathy Korwar. Auf ihr lässt der Tablaspieler, Schlagzeuger und Komponist Korwar, in den USA geborenes Kind klassischer indischer Sänger, aufgewachsen jedoch in den Millionenstädten Ahmedabad und Chennai, psychedelischen Jazz mit HipHop ein elektronisches Stelldichein eingehen.

Es ist, als träfe sich das New York der Siebziger mit dem Mumbai der Gegenwart. Natürlich ist dieser Satz eine Projektion. Das Plattencover zeigt eine Menschenmenge, die sich protestierend die Straße einer Großstadt aneignet. Vier Personen sind hervorgehoben, eine davon trägt Turban, eine andere einen Pullover, der nur aus Berkeley stammen kann. Im Übrigen kann man sich auf einer Demonstration verdammt alleine vorkommen.

Mit „Spex“, „Groove“ und „Juice“ haben drei führende deutschsprachige Musikmedien ihre Print-Ausgaben eingestellt. Auch in digitalen Medien verschwindet die differenzierte Musikrezeption. Marketingorientierte Produkthinweise ersetzen Diskussionen, Analysen und Kritik. Dies möchte die neue HKW-Reihe „On Music“ wieder in den Vordergrund holen. Mit Vorträgen, Panels, Lesungen, Live-Interviews, Filmen, Installationen – und Musik. Am Donnerstag von Sarathy Korwar und dem neuen Netzwerk „Norient Space“.

On Music: Life after Music Magazines – the Norient Way: Haus der Kulturen der Welt, 5. 3., 19 Uhr, 8/5 €

Zavolokas Techno-Collage ist auf dem Online-Magazin Norient Space verlinkt, Sarathy Korwar wird physisch mit seiner Band The UPAJ Collective auftreten, wenn Norient am heutigen Donnerstag im Haus der Kulturen der Welt die neue Donnerstagsreihe „On Music“ eröffnet, feststellt und fragt: „Gedruckte Musikmedien sind tot, der deutschsprachige Popdiskurs hat sich auserzählt, im Netz dominierende Produkthinweise und der nach oben zeigende Daumen ersetzen die Reflexion. Was wird aus der Recherche, Analyse und Kritik von Musik? Wie und wo findet zukünftig die Auseinandersetzung über und mit Musik statt? Was sind neue Formate, um zeitgenössische Kultur zu diskutieren? Und was erzählen Musik und Klang über die globale Gegenwart?“

Die Fragen sind nicht von der Hand zu weisen. Im Oktober 2019 hat das Internetmagazin Tonspion eine Liste der „wichtigsten Musikmagazine Deutschlands“ veröffentlicht. Kriterien waren dabei die Auflage beziehungsweise die Online-Besucherzahlen.

Dahingestellt sei einmal, ob die Masse alleine schon Wichtigkeit signalisiert, aber wenn die Spitze der Pyramide vom Rolling Stone eingenommen wird, drängt sich noch eine andere Frage auf: Das Magazin hat unbestreitbare Verdienste, ist aber, wie die Tonspione und -agentinnen dezent formulieren, eine Publikation „älterer männlicher Musikfans“.

Ein Blick auf die Website bestätigt das salopp formulierte Vorurteil. Auch wenn auf der Liste Publikationen zu elektronischer Musik und HipHop zu verzeichnen sind: Es gibt ein Leben vor dem Tod, und es gibt eine Musik nach den Stones und Bob Dylan, der den Literaturnobelpreis im Übrigen zu Recht gekriegt hat.

Norient, gegründet von dem Musikethnologen Thomas Burkhalter, könnte schaffen beziehungsweise tut bereits, was das Magazin, welches auf der Tonspion-Liste den 19. Platz einnimmt, die Spex, einmal abgedeckt hat: Über Musik zu sprechen, ohne die Intelligenz der Hörer:Innen und Leser:Innen zu beleidigen. Das schließt ein, liebgewonnenen Standpunkten noch einmal auf den Zahn zu fühlen.

In einem Norient-Interview befragt der Mitherausgeber Philipp Rhensius, als Autor auch für die taz tätig, Thomas Gläßer, Initiator des Zentrums für Aktuelle Musik und Organisator des „Digging the Global South Festivals“ in Köln, wie ein Musikfestival konkrete politische Probleme angehen könne.

Gläßer antwortet und trifft damit einen durchaus wunden Punkt: „Wir neigen als Gesellschaft dazu, unser Ungenügen an der Zivilisation vor allem mit der kulturellen Sphäre zu kompensieren. Viele wichtige Fragen werden im Symbolischen und Ästhetischen kritisch und fantasievoll verhandelt, aber die Auswirkungen auf politische Strukturen sind gering.“

Online statt Print: Weil die Kulturbeilage taz plan in der gedruckten Ausgabe wegen des Corona-Shutdowns gerade pausiert, erscheint hier nun jeden Donnerstag ein Text vom „taz plan im exil“. Zuletzt: 2. 4. Stephanie Grimm/Musik: „Jeder Tag ist wie Sonntag“ & 9.4. Esther Slevogt/Theater: „Der Bildschirm als Bühne

Das ist eine Einsicht, aus der sowohl der menschlich-allzumenschlich verständliche Gang in die Vereinzelung resultieren kann, als auch ein erneutes Nachdenken als Voraussetzung für Handeln. Wenn das gut werden soll, wird das nicht ohne Genussfähigkeit möglich sein. Norient hat da einiges in petto: finnische Musiker:Innen, die mit leichter Hand zwischen Punk und Freejazz navigieren, kuratierte und kommentierte Top Fives mit Musikvideos aus Israel, Namibia oder Afghanistan oder einen Fotoessay über die Clubszene Georgiens.

Und dann ist da etwas, was wie ein Echo aus der Zeit vor dem Internet wirkt, als man als jemand, der sich auf sich allein gestellt wähnte, in die Bibliothek ging und sich dort durch die Schlagwortkataloge arbeitete. Bei Norient, einem Musikmagazin, das mehr ist als das, bietet der virtuelle Zettelkasten über 80 Begriffe, zu denen gestöbert werden darf. „Alienation“ und „Dystopia“ stehen da, aber auch „Hedonism“ und „Ritual“. Last but not least: „Utopia“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.