Neue Studie über romantisches Küssen: Knutschen ohne Hintergedanken
Bisher nahmen Forscher an, dass überall gleich geküsst wird. Laut einer neuen Studie küssen sich nur 46 Prozent der Menschen „romantisch-sexuell“.
Bisherige Untersuchungen hatten ergeben, dass das Kuss-Ritual durchaus bei Menschen in allen Weltregionen verbreitet ist. Sie nahmen allerdings keine Unterscheidungen zwischen Begrüßungsküsschen, einem Eltern-Kind-Kuss und den Küssen eines Liebespaares vor.
Die Forscher der University of Nevada, William R. Jankowiak und Shelly L. Volsche sowie Justin R. Garcia von der Indiana University konzentrierten sich jetzt ausschließlich auf das „romantisch-sexuelle“ Küssen.
Sie untersuchten in den verschiedensten Weltregionen insgesamt 168 Kulturen unterschiedlicher historischer Hintergründe und sozialer Strukturen. Von diesen Kulturen küssen nur 46 Prozent „romantisch-sexuell“. In den asiatischen Kulturen sind es 73, in den europäischen 70 Prozent, in den nordamerikanischen und ozeanischen nur etwa die Hälfte der Menschen. Die südamerikanischen und afrikanischen Kulturen liegen mit unter 20 Prozent im unteren Bereich der Skala. Absoluter „Gewinner“ – und größter Kontrast zu Zentralamerika – ist mit 100 Prozent: der Mittlere Osten.
Beeinflusst die Gesellschaftsstruktur das Küssen?
Bei der Auswahl der untersuchten Kulturen stützten sich die drei Forscher auf die ethnografische Datenbank der Yale University und auf die Materialien der Anthropologen George Peter Murdocks und Douglas R. Whites.
Als Grund für diese ungleiche Verbreitung des „romantisch-sexuellen“ Küssens gaben die Forscher die Vielfältigkeit und Vielschichtigkeit einer Gesellschaft an. Diese erhöhen die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich die Menschen auf „romantisch-sexuelle“ Art küssen.
In egalitären Gesellschaften wird laut der Studie um ganze 53 Prozent weniger geküsst. Mit den Bezeichnungen „egalitär“ und „geschichtet“ stützen sich die Forscher auf die Kategorisierungen, die auch Murdock und White verwendet hatten. Eine egalitäre Gesellschaft hat demnach weder hierarchische Strukturen noch eine in irgendeiner Form zentralisierte politische Autorität. Als Beispiel werden hier „foragers“ genannt, zu Deutsch „Jäger und Sammler“. In komplexeren Gesellschaften dagegen gibt es sowohl soziale Klassen als auch eine zentralisierte politische Führung. Beispiele hierfür seien industrialisierte Gesellschaften.
Erste Reaktion war Ekel
Eine schlüssige Erklärung dafür, warum Menschen sich in den sogenannten egalitären Gesellschaften weniger „romantisch-sexuell“ küssen, liefern die drei Wissenschaftler nicht. Sie vermuten jedoch, dass die bessere Mundhygiene, die mit der Industrialisierung von Gesellschaften einhergeht, zu der dortigen Verbreitung des „romantisch-sexuellen Kusses“ beiträgt.
In der gesamten Menschheitsgeschichte ist der romantisch-sexuelle Kuss, so die Forscher, aber erst sehr spät aufgetreten – und das obwohl Evolutionsforscher die Geste auch bei eng mit dem Menschen verwandten Spezies wie den Schimpansen beobachtet haben. Hier sei das Zungenküssen oder das Küssen mit offenen Mündern aber eher ein gutes Mittel, um herauszufinden, wie gesund und genetisch kompatibel der potentielle Partner ist.
Trotzdem bleibt in den Augen der Forscher die Frage offen, wie das romantisch-sexuelle Kuss-Ritual überhaupt so „normal“ werden konnte, wie wir es heute sehen. Einfaches Nachahmen schließen sie eher aus: Als afrikanische Völker Ende des 19. Jahrhunderts nämlich zum ersten Mal sich küssende Europäer sahen, reagierten sie angewidert.
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