Neue Serie „Daredevil“: Leider zu real
Ein Mann gewinnt die Wahlen in den USA, obwohl er ein Verbrecher ist. Darum geht's in der Superheld:innen Serie „Daredevil: Born Again“.
Eigentlich fängt die Story, ganz Actionfilm-typisch an: Es gibt eine Rivalität zwischen dem namensgebenden Protagonisten Daredevil und dem Antagonisten Wilson Fisk (Vincent D’Onofrio), auch Kingpin genannt. Daredevil hat zwar keine Superkräfte, aber geschärfte Sinne aufgrund eines Unfalls, der ihn in jungen Jahren erblinden ließ. Kingpin ist ein einflussreicher Mafia-Boss und wurde zum Bürgermeister New Yorks gewählt.
Ganz so fiktional bleibt es dann nicht, denn die Geschichte hat viele Parallelen mit der Wahl von Donald Trump als US-Präsident. Etwa die gespaltene Gesellschaft oder der Erfolg der autoritären Rechten auf Social Media. In der Serie stellt sich Matthew Murdock (Charlie Cox) diesen Bedrohungen entgegen. Tagsüber ein erfolgreicher Anwalt, nachts ein maskierter Verbrechensbekämpfer.
Wenn's beim Namen Daredevil klingelt, dann liegt das wahrscheinlich an der gleichnamigen Netflix-Serie. Die war da nämlich ab 2015 mit letztendlich drei Staffeln zu sehen und erfreute sich an großer Beliebtheit. Nach einem Hin und Her, sicherte sich schließlich Marvel die Rechte und veröffentlicht jetzt jeden Mittwoch die 9-teilige erste Staffel. Doch handelt es sich um kein Remake, beide Serien spielen im selben Universum. Daredevil: Born Again ist aber auch keine inoffizielle vierte Staffel, sondern steht für sich. Zuschauende müssen also keine weiteren Staffeln davor geschaut haben.
Die Marvel-Serie behandelt einige interessante Motive. Etwa nimmt der Glaube von Verbrecherjäger Murdock immer wieder eine entscheidende Rolle. Er ist Christ, zwar kein ordinärer Katholik, sondern viel eher ein Anhänger der Befreiungstheologie, bei der es um die Loslösung von Ausbeutung, Entrechtung und Unterdrückung geht. Wenn er wie Robin Hood in der Stadt zur Verbrechensbekämpfung unterwegs ist, sieht man präsent im Hintergrund zufällig eine Kirche. Untermalt wird diese Überzeugung von einem passenden Soundtrack, der immer wieder Orgelmusik integriert.
Brutale Darstellungen
Die Kinematografie ist in den beiden Premierenepisoden auf einem sehr hohen Niveau, ähnlich wie der ursprünglichen Serie. Zweifel an einer von Disney produzierten Daredevil-Serie gab es reichlich, nicht zuletzt wegen brutalen Darstellungen. Die Netflix-Serie, aber auch die Comics setzten viel auf Gewalt, etwa durch lange und blutige Kampfszenen, wenngleich Matt Murdock aufgrund seiner philosophischen und religiösen Überzeugungen nicht tötet. Dies in einer familienfreundlichen Serie herunterzubrechen hätte wohl kaum funktioniert, doch Disney konnte diese Befürchtung entkräften, die Serie hat eine Altersfreigabe von 16 Jahren.
Doch ohne die schauspielerischen Darbietungen von Charlie Cox und Vincent D’Onofrio würde die Serie nicht funktionieren. Beiden ist das Engagement für ihre Rolle anzumerken, die Motivation für ihre Figuren kommen auch nonverbal an. Für die Fans ist es auch emotional wichtig, dass die Schauspieler der alten Serie ihre Charaktere wieder einnehmen. Auch die Figuren Karen Page (Deborah Ann Woll), Foggy Nelson (Elden Henson), Vanessa Fisk (Ayelet Zurer) und Bullseye (Wilson Bethel) sind bei Daredevil: Born Again wieder am Start. Die Kontinuität ist in dem Fall gelungen.
Dagegen unglücklich waren die Auftritte von Daredevil in Spider-Man 3, She-Hulk und Echo. In letztgenannter Serie nahm Fisk sogar eine größere Rolle ein, auch in Hawkeye kam er vor. Der ganze Marvel Hokuspokus ist spätestens seit fünf Jahren – seit dem vierten Teil von The Avangers - komplett unübersichtlich geworden. Vor lauter Crossover, Cameos und Multiversen weiß man gar nicht mehr, wo oben und unten ist.
Etablierte und funktionierende Charaktere wie Daredevil und Fisk in diese mehr als dürftigen Projekte zu integrieren, hat wirklich niemandem geholfen. „Born Again“ geht mit den vergessenswerten Auftritten genau richtig um; kurz erwähnen und anschließend ignorieren. Dadurch kann Daredevil wortwörtlich wiedergeboren werden.
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