Neue Serie „Bosé“ bei Paramount+: Unwissenheit schützt vor Langeweile
„Bosé“ will das aufregende Biopic einer bisexuellen Künstlerikone aus Spanien sein. Mit der Realität hat das aber wenig zu tun.
Er gilt als einer der erfolgreichsten Sänger Spaniens, veröffentlichte im Laufe seiner beinahe 50-jährigen Karriere über 20 Alben, und arbeitete später unter anderem mit Shakira und Ricky Martin zusammen. In Lateinamerika aber auch in Italien verkauften sich seine Platten millionenfach, füllte er Stadien und Klatschblätter gleichermaßen. Miguel Bosé.
Auch als Schauspieler war Bosé aktiv und wirkte in Filmen international renommierter Regisseure wie Pedro Almodóvar („High Heels“) oder Dario Argento („Suspiria“) mit. Dennoch ist Bosé hierzulande nur wenigen bekannt.
Auch deswegen fühlt sich die nach ihm benannte Miniserie, die über Paramount+ nun auch in Deutschland zu sehen ist, wie eine vielversprechende Entdeckung an. Und wegen der Art, wie der Streaming-Dienst „Bosé“ ankündigt. In der zur Mitte der Siebziger einsetzenden Erzählung soll es um nicht weniger gehen als einen Künstler, „dessen einzigartige Persönlichkeit dazu bestimmt war, mit dem Althergebrachten zu brechen, während Spanien sich im Umbruch befand.“ Der Trailer wiederum verheißt einen knallbunten Parforceritt durch ein im artistischen wie politischen Sinne von Widerständigkeit geprägtes Leben. Flamboyante Bühnenauftritte treffen auf explizite Sexszenen mit Männern.
Es wirkt beinahe so, als hätte man das neueste Werk des extravaganten TV-Masterminds Ryan Murphy zu erwarten, der mit von vor selbstbewusster Queerness strotzenden Projekten wie „Pose“, „Hollywood“ oder „Halston“ mehr für genuine LGBT-Repräsentation in der Serienwelt getan hat als jede*r andere*r Regisseur*in unserer Zeit.
„Bosé“, 6 Folgen bei Paramount+
Dem ist bei „Bosé“ ganz eindeutig nicht so: Was von der Serie wirklich bleibt, ist eine Art trauriger Beweis dafür, wie himmelweit Framing im Marketing und tatsächlicher Inhalt voneinander entfernt sein können.
Dabei ist die erste spanische Originalproduktion von Paramount+ für sich genommen keine misslungene Serie. Allerdings erweist sich „Bosé“ als ein überaus seltenes Beispiel dafür, dass es einem Biopic, das eigentlich von der Prominenz der*des Porträtierten lebt, nicht zwangsweise zum Nachteil werden muss, wenn die*der Protagonist*in im Zentrum dem Publikum zumindest in einigen Märkten unbekannt ist. Im Gegenteil, der Unterhaltungswert der Serie steigt, wenn man mit Miguel Bosé nicht weiter vertraut ist.
Zunächst, weil sich Showrunner Nacho Faerna nahezu vollständig auf eine, wider der Ankündigung, zahme Nacherzählung der langjährigen Karriere und des Privatlebens des Protagonisten beschränkt. Bis auf Wechseln zwischen der linear voranschreitenden Vergangenheit und der Gegenwart der Serie, den späten 2000ern, kommt sie weitgehend ohne narrative Kniffe und dramatische Zuspitzungen aus. Ein gewisses Maß an Spannung verspricht „Bosé“ also nur, wenn man nicht ohnehin schon weiß, um wen es sich handelt.
Zwischen Extravaganz und Geheimhaltung
Der Plot beginnt mit dem 21-jährigen Miguel (José Pastor), der gerade erste Kinorollen annimmt und im ständigen Konflikt mit Mutter und Vater steht. Als Sohn des populären spanischen Matadors Luis Miguel Dominguín (Nacho Fresneda) und der italienischen Schauspielerin Lucia Bosé (Valeria Solarino) steht er im Schatten berühmter Eltern.
Der Wunsch, sich von ihrem Einfluss zu emanzipieren, wird zu einem wichtigen Motivator für seine Karriere. Der Versuch, weder wie sein machistischer Vater zu werden, der mit seinem notorischen Fremdgehen die Familie entzweite, noch wie seine Mutter in Bitterkeit zu verfallen, zum Leitziel für sein Privatleben.
So recht gelingen mag ihm jedoch nichts davon. Gleich während seines ersten Filmdrehs hat er eine Affäre mit einem weiblichen Co-Star, betrügt seine Partnerin außerdem mit einem italienischen Politiker. Im Laufe der sechs, jeweils nach einem seiner Pop-Songs benannten, Folgen lässt Miguel sich immer wieder auf zweifelhafte amouröse Abenteuer ein, aber insbesondere die Beziehungen zu Männern hält er geheim.
Dem zu folgen, ist kurzweilig, allerdings verpasst es „Bosé“, dieses Muster für eine tiefergehende Charakterzeichnung zu nutzen. Dass die Serie durch das sprunghafte Sexleben ihres Helden das leidige Klischee bedient, dass Bisexualität stets mit Untreue einhergeht, kann man der Serie nicht zum Vorwurf machen, da es sich um eine Biographie handelt. Wohl aber, dass das Marketing versucht Miguel Bosé kontrafaktisch zum queeren Aktivisten zu stilisieren. Und auch die Serie selbst deckt diese Darstellung nicht: Nie zeigt sie ihn, wie er sich für queere Belange einsetzt, außer indirekt in einem TV-Interview, in dem er (gespielt von Iván Sánchez) öffentlich, abstreitet, sich mit HIV infiziert zu haben – auch wenn die PResse vorher anderes berichtet hatte.
Selbstredend kann man Miguel Bosé anrechnen, dass er allein durch sein vergleichsweises feminines Auftreten mit Geschlechterstereotypen brach. Allerdings lässt die Serie auch hier eine bedeutende Chance ungenutzt: Sie erzählt von der Sexualität ihres Protagonisten nahezu ohne gesellschaftlichen Kontext, dem vorherrschenden Konservatismus im Spanien unmittelbar nach dem Franquismus.
Das ist es, woran die Serie im Allgemeinen krankt: Den viel zu starken Fokus auf Miguel Bosé selbst. Gerade weil sich seine Geschichte letztlich als nicht derart faszinierend herausstellt und bei allem tragischen Potenzial doch immer in unspektakulärer Balance bleibt.
„Bosé“ leidet allerdings in einem schwerwiegenderen Sinne unter dem Protagonisten. Und das Wissen darum ruiniert den Unterhaltungswert der Serie letztlich unwiederbringlich: Der Künstler war selbst aktiv in den Schreibprozess involviert. Das erklärt nicht nur den unkritischen Umgang mit einigen Handlungselementen. Auch dass Miguel Bosé die Existenz von Corona anzweifelte und Verschwörungserzählungen rund um vermeintlichen 5G-Chips im Covid-Impfstoff verbreitete, thematisiert die Serie in keiner Form. So wirkt „Bosé“ plötzlich wie ein Hochglanz-Pendant zur geplanten Wendler-Sendung. Nur, dass Paramount+ eben keinen Rückzieher machte.
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