piwik no script img

Neue Regierung in der TürkeiEin Team mit Überraschungen

Erdoğan hat sein Kabinett vorgestellt. Der ideologische Innenminister wird ersetzt. Ein neuer Finanzminister soll die Wirtschaft retten.

Neuer Finanzminister: Mehmet Şimşek. In der Mitte Erdogan, rechts Energieminister Bayraktar Foto: Umit Bektas/rtr

Istanbul taz | Als Recep Tayyip Erdoğan am Samstagabend nach seiner erneuten Vereidigung als Präsident der Türkei zu seiner Inaugurationsrede anhob, waren die Vertreter der Opposition weitgehend abwesend. Trotzdem richtete sich Erdoğan hauptsächlich an sie. Man solle den Ärger des Wahlkampfes hinter sich lassen, das Land solle wieder vereint werden, er werde nach den Wahlen im Mai nun ein Präsident für alle sein.

Bei der Opposition erntete er damit nur Kopfschütteln. Zu oft war ähnlichen Reden eine gegenteilige Politik gefolgt. Doch als Erdoğan anschließend sein neues Kabinett vorstellte, gab es einige Überraschungen. Wichtig für die Opposition: Der rechtsradikale, ideologisch völlig überdrehte Innenminister Süleyman Soylu wird durch den Bürokraten Ali Yerlikaya ersetzt.

Yerlikaya war zuletzt Gouverneur von Istanbul, davor war er Gouverneur in mehreren kleineren Provinzen. Er hat in Istanbul zwar keine demokratischen Akzente gesetzt, etwa bei der Zulassung von Demonstrationen. Dennoch ist davon auszugehen, dass er nicht den geradezu messianischen Verfolgungseifer gegenüber Regierungskritikern an den Tag legen wird, durch den sich Soylu ausgezeichnet hat.

Insgesamt hat Erdoğan nahezu sein gesamtes Kabinett ausgetauscht: Abgesehen vom Gesundheits- und vom Kulturminister sind alle Posten neue besetzt worden. Am bemerkenswertesten sind zwei Namen: Mehmet Şimşek als Finanzminister und Hakan Fidan als Außenminister.

Mit Erdoğans Schwiegersohn begann der Absturz

Mit Şimşek deutet sich eine Kehrtwende in Erdoğans Finanz- und Wirtschaftspolitik an. Erdoğans bisheriges Credo, mit niedrigen Zinsen die Inflation zu bekämpfen, hat die türkische Wirtschaft an den Rand des Zusammenbruchs geführt. Die Inflation ist eine der höchsten weltweit und die türkische Lira ist praktisch zu einer Schrottwährung verkommen.

Bis 2018 war Şimşek – fast zehn Jahre lang – Finanzminister, dann startete Erdoğan in seiner ersten Amtszeit als Präsident eine eigene Wirtschaftspolitik. Er warf Şimşek raus und ernannte seinen Schwiegersohn Berat Albayrak zum Wirtschaftsguru der Regierung. Damit begann der Absturz.

Als Albayrak nach zwei Jahren gehen musste, war die Währungskrise bereits in vollem Gange, aber immerhin konnte man noch mit acht Lira einen US-Dollar kaufen. Heute muss man für einen Dollar bereits 20 Lira hinlegen.

Dass Erdoğan nun Şimşek zurückholt, ist ein Eingeständnis seines eigenen Scheiterns. Şimşek will die Türkei wieder auf einen international abgestimmten, orthodoxen finanzpolitischen Weg holen. Er ist in Finanzkreisen anerkannt und war vor seinem ersten Eintritt in Erdoğans Kabinett 2009 Investmentbanker bei der Großbank Merrill Lynch.

Erdoğans Mann für die PKK

Neben Şimşek rückt mit Hakan Fidan ein weiteres Schwergewicht ins Kabinett. Fidan war seit 2010 Chef des türkischen Geheimdienstes und ist einer der engsten Vertrauten Erdoğans. Immer wenn Erdoğan in den letzten Jahren zu besonders heiklen außenpolitischen Missionen aufbrach, war Fidan dabei.

Er hat in den letzten Jahren praktisch den Kampf gegen die PKK koordiniert, war aber von 2011 bis 2015 auch derjenige, der die letztlich gescheiterten Verhandlungen mit der PKK über einen dauerhaften Waffenstillstand geführt hat. Fidan kommt aus dem Militär und hat als junger Offizier bei der Nato gearbeitet. Fidan gehört wie Şimşek eher zu den Transatlantikern als zu den Eurasiern in der türkischen politischen Klasse.

Unter den 18 Kabinettsmitgliedern ist nur eine Frau. Die Doppelstaatlerin Mahinur Göktas, zuständig für Familie und Soziales, kommt aus Belgien und saß dort für die belgischen Christdemokraten im Parlament.

Als Gast bei Erdoğans Vereidigung waren auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und der frühere schwedische Ministerpräsident Carl Bildt anwesend. Weiterer Überraschungsgast war der armenische Präsident Nikol Paschinjan.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare