Neue Partei gegründet: Die polnischen Politpiraten
Bislang war der Club der polnischen Versager Teil der Berliner Kulturszene. Nun hat er die Polnische Partei Deutschlands, gegründet, gefördert vom Bund.
Mehr 19. Jahrhundert geht nicht. Die Brille, die Stefan Hambura über dem Schnauzer trägt, sieht aus wie ein Zwicker, nur mit Gestell. Vielleicht ist dieses Brillenmodell für Hambura eine Reminiszenz an bessere Zeiten wie nach der deutschen Reichsgründung 1871, als sich die Abgeordneten aus Schlesien oder Posen zur polnischen Fraktion im Reichstag zusammenschlossen.
Denn für nichts kämpft Hambura entschlossener als für eine neuerliche Anerkennung der Polen in Deutschland als nationale Minderheit.
Und auch sonst sind die Auffassungen des Anwalts mit Sitz in der Berliner Friedrichstraße nicht unbedingt zeitgemäß. „Das Jugendamt kann zu jeder Tages- und Nachtzeit mit der Hilfe der Polizei in eine Wohnung eindringen, wenn das Wohl des Kindes bedroht ist“: Im Interview mit dem staatlichen polnischen Fernsehsender TVP spricht Hambura Polnisch, aber das Jugendamt nennt er beim deutschen Namen. Denn Deutschlands Jugendämter sind in Polen ein stehender Begriff.
Sie stehen in rechten Medien und Facebook-Gruppen im Verdacht, gezielt Kinder aus polnischen Familien zu reißen. Die ultrarechte Gazeta Polska Codziennie machte 2016 gar mit der Schlagzeile „Die Deutschen nehmen den Polen die Kinder weg“ auf. Das Titelbild zeigte ein Foto aus Auschwitz, Kinder hinter Stacheldraht.
Stefan Hambura vertritt polnische Eltern bei Prozessen gegen deutsche Jugendämter und gibt sich auch sonst gern als Anwalt der Polen in Deutschland. Für seinen Kampf um deren Anerkennung als Minderheit trat er sogar einmal in den Hungerstreik. Und vor einigen Jahren wollte Hambura eine polnische Partei in Deutschland gründen. Es blieb freilich bei der Ankündigung. Selbst die Deutschtürken geben ihre Stimmen deutschen Parteien, obwohl es türkische Parteien in Deutschland gibt. Warum sollten es die Deutschpolen anders halten? Trotz der Bemühungen des Herrn mit dem Zwicker und dem Schnauzer gelten die Polen in Deutschland bislang als erfolgreich integriert.
Adam Gusowski ist sich da nicht mehr so sicher.
Gusowski ist so ziemlich das Gegenteil von Stefan Hambura. Schmal, nicht massig, ohne Schnauzer, sein Markenzeichen ist keine Brille, sondern sein mit Understatement vorgetragener Humor. Gusowski, von Beruf Radiojournalist, ist eines der Urgesteine des Clubs der polnischen Versager. Mit Satireshows, Partys, Lesungen und Konzerten hat der seit 2001 existierende Club das lange vorherrschende Bild der Polen in Berlin unterlaufen. Nicht mehr als schnauzbärtige Bauarbeiter oder emsige Putzfrauen galten sie plötzlich, sondern als humorvolle, leicht vertrottelte Künstler, die sogar dem Scheitern noch Positives abgewinnen können. Gusowski und seine Kompagnons haben das Stereotyp des Versagers gekapert und charmant umgedeutet. Sie haben gezeigt, dass sie erfolgreiche Piraten sind.
Und nun kapern sie die deutsche Politik. Der Vorhang zum vorerst letzten Akt der Piraterie öffnete sich am 12. Januar. Im Club der polnischen Versager in der Ackerstraße drängen sich Menschen, vorwiegend junge, Polen und Deutsche gemischt. Gusowski besteigt eine aus einem Tisch und einer Bank provisorisch zusammengestellte Bühne, hinter ihm projiziert der Beamer – ungewohnt für den Club – eine Powerpointpräsentation an die Wand. „Der Club der polnischen Versager“, hebt Gusowski an und schaut schelmisch ins Publikum, „gründet eine Partei. Die Polnische Partei Deutschlands, PPD.“ Jubel bricht aus.
Aber wissen die Partygäste eigentlich, was sie da beklatschen?
Hat der Club der polnischen Versager etwa soeben eine Satirepartei gegründet, ähnlich der Partei des Ex-Titanic-Chefredakteurs Martin Sonneborn oder der Berliner Bergpartei?
Oder meint es Adam Gusowski ernst, wenn er sagt, die Zeit, unpolitisch auf der Kulturschiene weiterzumachen, sei vorbei, weil sich zu viel verändert habe. „Wir nehmen uns das Recht, uns politisch einzumischen“, sagt er auf der provisorischen Bühne. „Wir nehmen uns das Recht, weil unsere Freiheit und Demokratie auf dem Spiel stehen.“
Nicht nur die nationalkonservative PiS-Regierung in Polen meint er damit, sondern auch die rechtspopulistische AfD in Deutschland. Dass es dem Club der polnischen Versager diesmal ernst ist, zeigt die letzte Folie der Powerpoint-Präsentation. Die PPD-Gründung wird finanziell gefördert von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) – und zwar nicht als Spaßpartei, sondern als Bildungsprojekt.
Gefahr für die Demokratie
Einen Tag vor der vom Publikum bejubelten Gründungsfeier steht Gusowski im Anzug in einem Konferenzraum im vierten Stock der Voßstraße 22 nahe des Potsdamer Platzes. Dort befindet sich die Deutsche Gesellschaft, ein Verein, der gegründet wurde, um die Teilung Deutschlands zu überwinden und das Miteinander in Deutschland und Europa zu fördern. Jetzt ist die Deutsche Gesellschaft der Ort, an den der Club der polnischen Versager die Presse eingeladen hat, um die Pläne für das „Bildungsprojekt“ Polnische Partei Deutschlands vorzustellen.
Hinter dem Tisch, an dem Gusowski gleich Platz nehmen wird, stehen die Flaggen der Bundesrepublik Deutschland und Europas Spalier. In der Ecke thront eine Büste von Jean Monnet, dem Gründungsvater der Europäischen Union. Am Tisch sitzt bereits Brygida Helbig, Schriftstellerin, Literaturwissenschaftlerin und Professorin am Deutsch-Polnischen Forschungsinstitut, einer Einrichtung der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und der Adam Mickiewicz-Universität in Posen/Poznań. Helbig ist eines von acht Gründungsmitgliedern der PPD, in der Einladung zur Pressekonferenz wird sie „Beauftragte für Kultur“ genannt. „Viele der zwei Millionen Polen haben in Deutschland keine politische Heimat“, begründet sie ihr Engagement für die Partei. „Sie suchen einen Ort, wo sie sich für Europa und gegen die Spaltung in der Gesellschaft einsetzen können.“
Denn daran lassen Helbig und Gusowski keinen Zweifel: Proeuropäisch soll die PPD sein, auch postnational, freilich ohne dass man seine kulturelle Herkunft verleugnen muss, wie Helbig es formuliert. Vor allem aber soll sie „frischen Wind in die Politik bringen“. Auch Helbig treibt neben dem Spaß an der Sache ein gewisser Ernst an. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk Kultur erklärt sie am nächsten Tag, dass sie sich ängstige – wegen des wachsenden Erfolgs der Rechtspopulisten in Polen und Deutschland und des immer offeneren Auftretens von Rechtsradikalen und Nationalisten.
Gleichwohl kann Helbig auch die Sorge verstehen, von der gesellschaftlichen Entwicklung abgehängt zu werden, nicht mehr mitzukommen bei der Globalisierung, irgendwann vielleicht zu den Verlierern zu gehören. „Ich verstehe auch die Angst vor der Migration“, betont sie. „Es entsteht eine große Kluft und eine Spaltung in vielen Gesellschaften Europas.“ Sie klingt in diesem Moment tatsächlich wie eine Politikerin, wie ein Sigmar Gabriel, wenn er sagt, er bekämpfe die AfD, wolle aber die Protestwähler der Partei für die Demokratie zurückgewinnen.
Menschen aus der Schmollecke zu holen und wieder politisch einzubinden: Vielleicht ist es genau das, was die Bundeszentrale für politische Bildung bewogen hat, das Projekt PPD zu fördern. Weil in diesem Jahr Polen den hundertsten Jahrestags der Wiedergewinnung der Unabhängigkeit feiern wird, hatte die bpb einen Ideenwettbewerb ausgeschrieben. „Damit wollen wir sowohl die Wahrnehmung Polens in der deutschen Öffentlichkeit thematisieren als auch die Auseinandersetzung mit den facettenreichen kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Realitäten und Erfahrungen intensivieren, die Deutschland und Polen verbinden“, sagt Daniel Kraft, Sprecher der Bundeszentrale.
Mit seinem Parteienprojekt hat der Club der polnischen Versager die Jury überzeugt. Das Ziel der „fiktiven Gründung einer fiktiven polnischen Partei“, so Kraft, sei es, „polnische Migrantinnen und Migranten in Deutschland gesellschaftlich und politisch zu informieren und zu aktivieren“.
Dass das nötig ist, zieht auch Gusowski nicht in Zweifel. Zwar gilt die polnische Community in Berlin, anders als die türkische, überwiegend als liberal und links, aber auch in Berlin treiben polnische Rechte ihr Unwesen, etwa in rechten Blogs oder im Umfeld des Fußballvereins FC Polonia, sagt er. Und auch PiS-nahe Gruppen werden lauter. Erst vor Kurzem, so eine Ohrenzeugin auf Facebook, behauptete bei einer deutsch-polnischen Städtepartnerschaftskonferenz im Roten Rathaus ein Mitglied des nationalkonservativen Klubs Gazeta Polska, die Vorgängerregierung der PiS habe aus „so vielen Juden“ bestanden. Adressat der antisemitischen Attacke: Warschaus Oberrabbiner Michael Schudrich, der ebenfalls im Roten Rathaus dabei war.
Inzwischen verbünden sich sogar polnische Rechtsradikale mit der deutschen NPD. So sehr der Club der polnischen Versager auch zu einem positiven Bild der Polen in Berlin beigetragen hat: Die Regierung in Warschau hat den Korken aus der Flasche gezogen, und auch in Deutschland weiß man nicht, welche Geister bald ihr Unwesen treiben werden. Auch deshalb scheint es für die bpb wichtig, mit neuen Formaten neue Zielgruppen zu erreichen. Wie wichtig die offizielle Politik das Thema nimmt, zeigt sich auch daran, dass bei der Pressekonferenz ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes anwesend war.
Es begann mit „Smolensk“
Ganz plötzlich haben sie sich nicht verwandelt, die Spaßmacher des Clubs der polnischen Versager. Schon zu Beginn des vergangenen Jahres haben sie politisch ernst gemacht. Damals wollte Polens Botschafter in Deutschland, Andrzej Przyłębski, dem Propagandafilm „Smolensk“ in Berlin eine Bühne verschaffen. Nach Protesten zog aber das Delphi-Kino zurück. Auch das Cubix am Alex wollte den Film nach anfänglicher Zusage nicht zeigen. „Smolensk“ ist die filmische Umsetzung der rechtsnationalen Propagandalegende, dass der Flugzeugabsturz im April 2010, bei dem auch der damalige polnische Präsident Lech Kaczyński ums Leben kam, auf das Konto russischer Attentäter ging.
Im Kino Babylon, wo sonst das Festival „Film Polska“ über die Bühne geht, zeigte schließlich der Club der polnischen Versager den „schlechtesten Film des Jahres“ – ergänzt um eine Diskussion, die den Propagandazweck verdeutlichen sollte.
Ein weiterer Akt der Piraterie durch die Versager aus Polen. Damals sagte Adam Gusowski der taz: „Wir bemühen uns seit Jahren um den deutsch-polnischen Dialog. Wenn wir den Film nicht zeigen, wird seine Wirkung noch größer, die Stimmung noch aufgeheizter. So lassen wir aus diesem Propaganda-Ballon die heiße Luft raus.“
Heute weiß Gusowski: „Die Vorführung von „Smolensk“ war unbewusst der erste Schritt ins Politische. Da waren wir erstmals mit den Lügen der Nationalkonservativen konfrontiert.“
„Smolensk“ war auch der Anlass für Gusowski, den Deutschlandkorrespondenten des staatlichen Fernsehsenders TVP in Berlin, Cezary Gmyz, zu parodieren. Auf seinem YouTube-Kanal wendet er sich als Czarosław Gzyms an ein polnisches Publikum und veräppelt den Korrespondenten, der Berlin als Stadt zeigt, in der nicht nur polnischen Familien die Kinder weggenommen werden, sondern auch Flüchtlinge eine No-go-Area nach der anderen schaffen. Bildung statt Satire. Politik statt Show. Werden aus den Piraten nun ganz gewöhnliche Politiker? Das hat sich manch einer gefragt bei der Gründungsfeier für die PPD.
Auch Gusowski sieht die Gefahr, dass die Polnische Partei Deutschlands den Club der polnischen Versager verändern könnte. „Wir emigrieren gerade wieder einmal. Diesmal nicht von Polen nach Deutschland, sondern in einen Bereich, von dem wir bislang keine Ahnung hatten“, sagt Gusowski einige Stunden vor dem Gründungsfest der PPD. „Um ehrlich zu sein, sind wir da vielleicht auch etwas naiv. Aber wir haben ein gewisses Grundvertrauen in uns, dass wir uns treu bleiben. Angst haben wir jedenfalls nicht.“
Drei Stunden später steht Gusowski auf der Bühne und erklärt dem Publikum, wie die PPD funktionieren soll. Für die, die politisch interessiert sind, gebe es Expertenrunden. Zum Thema Flügelkämpfe etwa sollen Gregor Gysi und Jutta Ditfurth eingeladen werden. Für die, die erst mal reinschnuppern wollen, organisiere man Satireshows. Jeden Montag soll es zudem in den Räumen des Clubs einen Stammtisch geben. „Und natürlich“, ruft Gusowski, da ist er wieder ganz der alte, „werden wir auch lernen, wie man schwarze Kassen anlegt.“
Mit einer „fiktiven“ Polnischen Partei Deutschlands, wie sie die Bundeszentrale für politischen Bildung nennt, will sich der Club der polnischen Versager aber nicht zufrieden geben. „Die Förderung läuft ein Jahr“, betont Gusowski, bevor er von der Bühne steigt. „Aber wir haben ein Ziel. Wir wollen uns nach diesem Jahr als richtige Partei registrieren lassen.“
Die Versager meinen es also ernst. Ebenso ernst meint es Stefan Hambura, der PiS-nahe Anwalt aus Berlin, der wohl fürchtet, dass er es ist, der am Ende als Versager dastehen wird. Kaum war die Sache mit der PPD in der Welt, ließ Hambura über das polnische Onlineportal Uważam Rze mitteilen: „Wir haben zwar noch keinen Namen festgelegt. Doch im März wird in Berlin eine Entscheidung fallen.“ Überschrieben war der Beitrag mit der Schlagzeile: „In Deutschland entsteht eine polnische Partei.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren