Neue Pannen im AKW Neckarwestheim: Radioaktive Strahlung tritt aus
Die radioaktiven Emissionen des Atomkraftwerks sind zwischenzeitlich um das 23-Fache gestiegen. Die Pannenserie in Neckarwestheim hält an.
GÖTTINGEN taz | Das Atomkraftwerk Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg belastet durch eine heftige Pannenserie Menschen und Umwelt. Ende Oktober stieg die über den Kamin in die Luft geblasene Radioaktivität auf das 23-fache des Normalwerts. Am 23. September ging der Meiler für die Jahresrevision vom Netz.
Dabei stellte EnBW fest, dass eine Armatur im Notkühlsystem entgegen den Vorschriften in „Zu“-Stellung blockierte. Wäre das AKW in Betrieb gewesen, hätte die Fehlstellung etwa bei einem Flugzeugabsturz zum Ausfall einer Nachkühlkette geführt, erklärte das Umweltministerium in Stuttgart. Dann öffnete ein Vorsteuerventil fehlerhaft – es betätigt im Notfall ein weiteres Ventil, das den Druck im Sekundärkreislauf hoch halten soll.
Am 25. Oktober musste der Reaktor wegen eines defekten Brennelements heruntergefahren werden. Der Schaden war offenbar Ursache für den massiven Anstieg der Radioaktivitätswerte: Neckarwestheim 2 emittiert im Normalbetrieb jede Stunde Edelgase mit einer Aktivität von rund 310 Millionen Becquerel. Bei jährlichen Revisionen, wenn ein Drittel der Brennelemente ausgetauscht und der Reaktordruckbehälter geöffnet wird, steigt der Wert auf das Doppelte.
Am 26. Oktober kletterte er aber auf das Vierfache, meldete das Aktionsbündnis Energiewende Heilbronn unter Berufung auf offizielle Messungen, am 27. Oktober sogar auf das 23-Fache – nämlich auf bis zu 7,244 Milliarden Becquerel pro Stunde. Klingt sehr viel, ist es aber gar nicht, beschwichtigt Betreiber EnBW. Die gemessenen Emissionen hätten weit unter den gesetzlichen Grenzwerten gelegen und keine Gefährdung für die Umgebung dargestellt, teilte das Unternehmen am Montag auf taz-Anfrage mit.
Grenzwerte zu hoch
„Selbst die massive Erhöhung insbesondere am 27. Oktober ist noch von den laschen Tages- und Jahresgrenzwerten gedeckt“, bestätigt Franz Wagner vom Aktionsbündnis Energiewende Heilbronn. Allerdings bemängeln Atomkraftgegner schon lange, dass die Grenzwerte viel zu hoch angesetzt seien. Sie orientierten sich nicht an gesundheitlichen Risiken, sondern an den Interessen der Stromkonzerne.
Wagner geht davon aus, dass die im Normalbetrieb freigesetzten radioaktiven Gase und Partikel für die erhöhte Kinderkrebsrate in der Umgebung der AKW verantwortlich sind. Es sei „ein Skandal, dass der Gesetzgeber in Form der Grenzwerte quasi festlegt, wie viel Krebs ein AKW erzeugen darf“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung