piwik no script img

Neue Naturschutzgebiete in HamburgMehr Wildnis wagen

Hamburg stellt neue Gebiete unter Naturschutz. Damit ist die Fläche der Naturschutzgebiete bald größer als die des Hamburger Hafens.

„Hochgradig wertvoll“: Der Alsternebenfluss Diekbek in Hamburg Foto: BUE Hamburg

HAMBURG taz | Jens Kerstan kämpft um jeden Grashalm. „Naturschutzgebiete sind wichtig, weil sie wertvollen Lebensraum für Tiere und Pflanzen bieten“, sagte der grüne Umweltsenator am Dienstag. In der weiterhin wachsenden Stadt Hamburg steige auch der Druck auf die verbliebenen Grünflächen unvermindert an, deshalb müsse seine Behörde dafür sorgen, „die Lebensqualität für alle zu erhalten“. Und darum präsentierte Kerstan neue Naturschutzgebiete: Duvenwischen und Diekbek im Nordosten der Stadt sind neu, die bestehenden Naturschutzgebiete Höltigbaum und Stapelfelder Moor sollen zudem erweitert werden.

Eine aktuelle Biotopbewertung der neuen Gebiete stuft den größten Teil als „hochgradig wertvoll“ oder „besonders wertvoll“ ein. Eine Erfassung ausgewählter Tiergruppen – Libellen, Eintags-, Stein- und Köcherfliegen, Heuschrecken, Stechimmen, Schmetterlinge, Käfer, Amphibien, Reptilien, Vögel und Fledermäuse – war 2016 von der Universität Hamburg vorge­nommen worden. Nach dem inzwischen vorliegenden Gut­achten konnten 825 Tierarten nachgewiesen werden, 83 Arten davon stehen auf der deutschlandweiten Roten Liste gefährdeter Arten, 163 auf deren norddeutscher Variante.

Die vergleichsweise hohen Artenzahlen, die in vielen der untersuchten Tiergruppen ermittelt wurden, weisen auf großen Strukturreichtum und eine außergewöhnliche Biotopvielfalt auf kleinem Raum hin.

Duvenwischen in Volksdorf und Diekbek in Duvenstedt sollen das 35. und 36. Naturschutzgebiet in der Hansestadt werden. Das 43 Hektar große Duvenwischen wird noch in diesem Jahr in diesen höchsten Schutzstatus erhoben werden, bei Diekbek laufen derzeit noch die naturschutzfachlichen Untersuchungen. „Bis 2020 wollen wir das abgeschlossen haben“, sagt Kerstan, also noch in dieser Legislaturperiode vor der nächsten Bürgerschaftswahl im Fe­bruar 2020.

Naturschutzgebiete

Naturschutzgebiete sind neben dem Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer die am strengsten geschützten Naturflächen in Hamburg. Hier haben die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege weitestgehenden, nach Möglichkeit sogar absoluten Vorrang vor allen anderen Nutzungsansprüchen.

Unter Naturschutz werden in der Regel solche Gebiete gestellt, die sehr seltene oder gar vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten sowie stark gefährdete Lebensräume beherbergen.

Mit der Unterschutzstellung wird somit nicht nur die Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts (Pflanzen- und Tierarten, Boden, Wasser, Luft/Klima) und das regionaltypische Landschaftsbild erhalten, sondern auch ein wichtiger Beitrag für die Lebensqualität im Ballungsraum Hamburg geleistet.

Auch die Erweiterung der bestehenden Naturschutzgebiete Höltigbaum mit seiner steppenähnlichen halboffenen Weidelandschaft und Stapelfelder Moor mit seinen Wiesenbrachflächen und Weidendickichten soll bis dahin abgeschlossen sein. Dann stünden in Hamburg 7.181 Hektar unter Naturschutz, das wären 9,5 Prozent der Landesfläche. Damit wären die geschützten Grün- und Wasserflächen genauso groß wie der Hamburger Hafen mit seinen 7.200 Hektar.

„Damit ist Hamburg das Bundesland mit dem prozentual größten Anteil an Naturschutzgebieten“, rühmt der grüne Senator seine Grünflächenpolitik. In der Tat waren es vor zehn Jahren noch 29 Naturschutzgebiete auf 8,1 Prozent der Landesfläche. Allein 2017 kamen unter grüner Regierungsbeteiligung zwei große Gebiet im Südosten – die Allermöher Wiesen und die Neuländer Moorwiesen – hinzu.

Die Marke von zehn Prozent der Hamburger Fläche schwebt Kerstan als Nahziel vor, das er „schon bald“ zu erreichen hofft. Nicht eingerechnet ist der Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer in der Nordsee, der mit 13.750 Hektar allein fast doppelt so groß ist wie alle Naturschutzgebiet zusammen. Kerstan ist weiter voller Tatendrang: „Wir verfolgen mit großer Energie die Sicherung unserer Naturschätze.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Der Vergleich mit dem Hafen ist abwegig, die Naturschutzgebiete sind kein Ausgleich für die Zerstörung der Elbe durch Hafen und Wasserstraße. Die jetzt unter Schutz gestellten Flächen waren schon lange vorher wertvoll für die Natur, es ändert sich jetzt nur der rechtliche Status. Das ist keine großartige Leistung des Senators, sondern nur der verspätete Vollzug des Naturschutzgesetzes.



    Das Hafengebiet und die Elbe dagegen wurden und werden weiterhin aktiv als Naturlebensraum entwertet. Der grüne(?) Umweltsenator nimmt das nicht nur für seinen gut bezahlten Posten zähneknirschend in Kauf, sondern hat die Verklappung von Baggergut in der Nordsee aktiv betrieben. Für den zusätzlichen Transportweg des Modders mit den Baggerschiffen werden pro Jahr ca. 25 000 Tonnen CO2-Treibhausgas in die Atmosphäre geblasen, nebst 300 Tonnen Stickoxide und 10 Tonnen Ruß. Die Sauerstofflöcher werden ursächlich durch das seeschifftiefe Wasser ausgelöst und gefährden den Fischbestand der Elbe, aktuell den des Stints. Dazu fällt dem Umweltsenator nur ein, die Oberlieger seien Schuld, und er könne leider garnichts tun.