Neue Musik aus Berlin: Das Innere nach außen holen

Auf „elletsreuef“ reduziert die Pianistin Andrea Neumann ihr Klavier auf sein Innerstes und entlockt Rahmen und Saiten flirrende, schmirgelnde Klänge.

Schwarz-Weiß-Aufnahme der Echtzeitmusikerin Andrea Neumann. Sie steht an einem Mischpult und dreht an Knöpfen. Ihre Haaren fallen über ihre Stirn und sie trägt ein dunkles Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln.

Prägt bis heute die Echtzeitmusik: Andrea Neumann Foto: FHNW

Echtzeitmusik nennt sich eine der Richtungen, die in Berlin in den Neunzigern entstand und international neue Impulse setzte. Man konzentrierte sich auf improvisierte Musik mit einer entschieden reduktionsfreudigen Haltung. Melodien, Harmonien, Rhythmen, gar solche, zu denen man am Ende noch tanzen kann, waren weniger gefragt. Dafür wurde der Klang als zu erkundendes Terrain zur bestimmenden Größe.

Die Pianistin Andrea Neumann gehört zu den prägenden Künstlerinnen der Echtzeitmusik, und ihr Hauptinstrument ist geeignet, den bewussten Selbstbeschränkungsansatz der gesamten Bewegung zu versinnbildlichen. Neumann spielt „Innenklavier“. Nicht etwa im Inneren eines Klaviers, das Innere ist bei ihr vielmehr alles, was vom Klavier übriggeblieben ist: Rahmen, Saiten und Resonanzboden. Das war's.

Was nicht heißt, dass der Klang ebenfalls reduziert ist. Neumann modelliert die unterschiedlichsten Obertonkonstellationen aus ihrem begrenzten Material, erzeugt perkussiv Pochendes, flirrende Effekte oder fast schmirgelnd lärmige Massierungen. Dazu nimmt sie Schlagstöcke wie auch Violinbögen zu Hilfe. Es ist eine Art Weiterentwicklung des „Prepared piano“ unter Verzicht auf den Großteil dessen, was man mit einem Klavier assoziiert.

Andrea Neumann: „elletsreuef“ (thanatosis produktion), andreaneumann.bandcamp.com

Die Klangvielfalt verdankt sich andererseits einer Erweiterung, denn ohne Tonabnehmer und Mischpult käme sie wohl nicht zustande. Was keine Inkonsequenz ist, einfach ein anderer Umgang mit dem Klavier.

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Jahrgang 1971, arbeitet in der Kulturredaktion der taz. Boehme studierte Philosophie in Hamburg, New York, Frankfurt und Düsseldorf. Sein Buch „Ethik und Genießen. Kant und Lacan“ erschien 2005.

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