piwik no script img

Neue Museen in BrandenburgAusmisten!

Preußen raus, Alltag rein. Weil die alten Ausstellungen verstaubt waren, gehen das Museum Oder-Spree und das Oderbruchmuseum neue, offene Wege.

Die Burg Beeskow ist der Stolz der Stadt. Nun bekommt sie ein modernes Museum Foto: Peter Meissner

Warum etwas Neues lernen, wenn man auch das Alte versteht? Für die Leute in Beeskow heißt das Werk des portugiesischen Holzunternehmens Sonae Arauco immer noch „Die Spanplatte“. 500 Beschäftigte arbeiten hier, neben der Verwaltung des Landkreises Oder-Spree ist es der größte Arbeitgeber in der 8.000 Einwohner zählenden Stadt.

Doch nicht nur deshalb ist die Spanplatte eine feste Größe. Die Kantine des einst Volkseigenen Betriebs ist noch immer die Essküche der Stadt. Mahlzeit, so begrüßen sich Beschäftigte und Beeskower gleichermaßen. Und am liebsten verputzen sie nach der Mahlzeit Rote Grütze. „Wir haben versucht, zum Nachtisch schicke Cremes zu servieren“, erinnert sich Gerhard Kusay, der die Kantine über die Wende gebracht hat und immer noch leitet. „Aber die Gäste wollen das nicht. Ob Jung oder alt, alle wollen sie die Grütze so, wie sie zu DDR-Zeiten geschmeckt hat.“ So schmeckt sie also, die Heimat, nach Roter Grütze.

An einem regnerischen Abend im Dezember 2019 ist wieder einmal Hochbetrieb bei Gerhard Kusay. Nicht in der Kantine, wo noch immer ein Wandbild hängt, auf dem Landarbeiter bei der Feldarbeit, aber auch Malocher in der Spanplatte den neuen Menschen verkörpern. Kusay hat das ehemalige Kasino der Spanplatte geöffnet, ein mit Holz getäfelter Raum mit Kronleuchtern, der seit langem baupolizeilich geschlossen ist. Für diesen Abend hat er eine Sondergenehmigung. Gerhard Kusay, der die Tradition in Beeskow hochhält, ist der Gastgeber für etwas geradezu Umstürzlerisches. In der Spanplatte feiert das neue Museum Oder-Spree, das im Dezember 2020 auf der Beeskower Burg öffnen soll, seine erste Feuertaufe.

Altes muss raus, um Platz zu schaffen für Neues. So stellt Steffen Schuhmann die Idee für das Regionalmuseum vor, das das angestaubte Stadtmuseum ersetzen soll. Es klingt, als würde statt Roter Grütze bald doch Champagner-Jelly mit Passionsfruchtschaum serviert werden. Und das auf der Burg, dem weithin sichtbaren Stolz der Stadt.

Steffen Schuhmann weiß, dass er den Beeskowern einiges zumutet. Als Professor für Visuelle Kommunikation an der Kunsthochschule Berlin bringt er allerdings die nötige Portion Autorität mit, gepaart mit einem augenzwinkernden Gestus, der ankommt beim Publikum, denn er richtet sich gegen die Hohenzollern. Mit denen beginnt nämlich 1906 die Geschichte des Beeskower Museums.

In einer launigen Präsentation führt Schuhmann den Beeskowern die Museumsgeschichte vor Augen. Die Bestände gehen zurück auf einen Sammlungsaufruf von 1906, als mit dem Kronprinzen Wilhelm erstmals ein Vertreter der Hohenzollern die Stadt besucht hat. „An alle, die im Besitz von Altertums- und Kunstgegenständen sich befinden“, heißt es im Aufruf, „auch an Gemeinden, Innungen, Korporationen und Vereine ergeht daher die Bitte, solche dem unterzeichneten Festausschuss für die Altertumssammlung zur Verfügung zu stellen.“

Der Wille der Obrigkeit war den Beeskowern Befehl. Bald wurde im Seitenchor der mächtigen Marienkirche Platz gemacht für eine Heimatstube. Die blieb der Stadt auch nach dem Umzug auf die Beeskower Burg erhalten. Die nach der Wende neu präsentierte Sammlung blieb dann bis 2017 zwanzig Jahre unverändert.

„Töpfe und Münzen hat jeder“, bilanziert nun Schuhmann, „unsere Sammlung ist kein Grund, das Museum zu besuchen.“ Das Publikum nickt.

„Wir wollen den Blick deshalb auch auf die Gegenwart und die Zukunft lenken“, umreißt Schuhmann den neuen Wind, der auf der Burg einziehen soll. Später wird er das, was ihn umtreibt, salopp nennen: Preußen raus, Alltag rein.

Ausmisten also, oder wie es im Museumssprech heißt: Entsammeln. Im Kasino der Spanplatte können sich die Beeskowerinnen und Beeskower ein Bild vom neuen Museumskonzept machen. Statt des Kreiskalenders, der seit 1922 nahezu ununterbrochen für die Region herausgegeben wurde, gibt es nun das „Kursbuch Oder-Spree“.

Zwanzig Menschen an zwanzig Orten zwischen Erkner und Eisenhüttenstadt werden in der Kursbuch-Ausgabe 2019 porträtiert, die in der Beeskower Kantine ihre Premiere hat. Oder-Spree, das sind seine Menschen, lautet die Botschaft, die auch der neuen Dauerausstellung zugrunde liegen soll. Auch Gerhard Kusay ist natürlich mit einem Porträt dabei.

Die meisten setzen auf alte Konzepte

Heimatstuben und Museen wie in Beeskow gibt es viele in Brandenburg. Gegründet im Kaiserreich oder der Weimarer Republik haben sie selbst den Sozialismus überstanden. In Beeskow wurden die „Töpfe und Münzen“ einfach mit ein paar Funden aus der Slawenzeit ergänzt. Schmetterlingspräparate machten schließlich ein „biologisches Heimatmuseum“ daraus.

Nach der Wende rollte dann eine regelrechte Gründungswelle übers Land. Gab es 1990 in Brandenburg hundert Heimat- und Stadtmuseen, waren es 2009 bereits vier Mal so viele. „Der erhebliche Museumszuwachs“, heißt es in der Museumsentwicklungskonzeption des Landes, „beruht in erster Linie auf der großen Zahl neu gegründeter Dorfmuseen und Heimatstuben. Gegenwärtig stellen sie zahlenmäßig die Mehrheit aller Museen in Brandenburg dar.“

Seit gut zehn Jahren freilich stagniert die Entwicklung. „Die Fördertöpfe der ersten Stunde sind geleert“, heißt es in der Museumsentwicklungskonzeption. Dauerausstellungen, die wie in Beeskow zwanzig Jahre lang nicht verändert wurden, sind also an vielen Orten zu finden.

Um die Ausstellungen zu entstauben oder auszumisten, fehlt es vielerorts aber an Geld und Knowhow. „Lokale Museumspolitik ist oft nicht so konzeptionell ausgearbeitet, dass langfristige Entwicklungsrichtlinien verfolgt werden können“, konstatiert die Entwicklungskonzeption. Die Folge sei, dass die Museen sich kaum veränderten, obwohl die Seh- und Nutzungsgewohnheiten anders geworden seien. „Weniger innovative als traditionelle Museumskonzeptionen“ würden deshalb weiter verfolgt, heißt es in der Studie.

Rausgehen und die Region lernen

Museum Oder-Spree

Die Biertulpe mit dem Maß 0,25 Liter stammt aus dem Landgasthof Simke in Herzberg zwischen Beeskow und dem Scharmützelsee. 1958 wurde Simke Konsumgaststätte der drei Jahre später gegründeten Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft. Mit der LPG kam auch der geregelte Feierabend, bei Simkes ging es hoch her. Erst mit der Wende setzten sich die 0,3 und 0,5 Gläser durch. Weil die Gäste nun aber mit dem Auto kamen, brach der Bierumsatz ein. Foto: Julia Vogel/Burg Beeskow

Das Museum Oder-Spree öffnet am 4. Dezember mit einer Ausstellung zu „Haben und Brauchen“. Dabei werden 16 Menschen und Orte aus der Region vorgestellt sowie jeweils zwei Objekte ausgestellt. Das Museum befindet sich auf der Burg Beeskow in der Frankfurter Straße 23. Beeskow erreicht man mit der RB36, die zwischen Königs Wusterhausen und Frankfurt (Oder) verkehrt.

Dass die Burg Beeskow einen anderen Weg eingeschlagen hat, liegt auch an Arnold Bischinger. Neun Jahre lang war der Wahlbrandenburger, der in Utrecht Theater und Drama, aber auch Kulturmanagement studiert hat, künstlerischer Leiter des Kleistforums in Frankfurt (Oder). Seit Januar 2018 ist er Leiter des Kulturamts im Landkreis Oder-Spree und damit auch verantwortlich für die Burg Beeskow. „Ich bin mir sicher, dass die Kunst- und Kulturarbeit im ländlichen Raum eine wachsende Aufmerksamkeit bekommen wird“, versprach er bei seinem Amtsantritt.

Bischinger war es auch, der die Idee unterstützte, aus dem Stadtmuseum von Beeskow ein Museum für den Landkreis zu machen, eines, das sich der Zeit nach 1945 widmet und die Menschen in den Mittelpunkt der Erzählung stellt. Dazu gehört auch die Zusammenarbeit mit der Kunsthochschule Berlin, die schon seit der Wende eine Außenstelle in Sauen bei Beeskow hat. Die Studierenden haben die Sammlung des Museums gesichtet und ausgewertet. Anschließend wurde sie unter dem Titel „Wegen Inventur geöffnet“ mehrere Monate auf der Burg ausgestellt. Die Beeskower konnten nun mit eigenen Augen sehen, welcher Staub auf den „Töpfen und Münzen“ liegt. Nach Heimat schmeckte das, anders als die Rote Grütze von Gerhard Kusay, nicht mehr. Eher nach einem musealen Friedhof.

Gleichzeitig sind die Studierenden ausgeschwärmt in die verschiedenen Regionen des Landkreises, um Interviews zu führen und zu recherchieren. „Wir sammeln nun Lebensgeschichten aus dem ländlichen Raum“, sagt Bischinger im Februar 2020, als auf der Burg Beeskow feierlich der Förderbescheid der Ostdeutschen Sparkassenstiftung für die neue Dauerausstellung überreicht wird. Projektleiter Schuhmann ergänzt: „Wenn wir mit den Menschen vor Ort sprechen, lernen wir mehr über die Region, als wenn wir in ein Museum gehen, wie es jeder hat.“

Von der alten Sammlung wird in Beeskow nicht mehr viel zu sehen sein. Stattdessen werden im Kursbuch 2020 und in der neuen Ausstellung Porträts von sechzehn weiteren Menschen aus verschiedenen Orten des Landkreises vorgestellt werden. Neben seiner Geschichte stellt jeder der Porträtierten dem Museum ein Objekt zur Verfügung. Dieses wird dann von einem Objekt aus dem Bestand des Sammlung ergänzt. „Ort + Mensch + Reportage + zeitgeschichtlicher Gegenstand + historischer Gegenstand = Ausstellung“, nennt das Steffen Schuhmann in seiner Präsentation.

„Wir werden jedes Jahr ein neues Thema haben“, umschreibt Schuhmann das „offene Konzept“ für das Museum Oder-Spree. 2020 lautet das Jahresthema „Haben und Brauchen“, dabei geht es auch um die Frage, wer von der Wende 1989 und 1990 profitiert hat und wer nicht. In den Jahren darauf geht es dann um „Essen und Trinken“, „Gehen und Bleiben“ oder „Schindern und Scharwerken“.

„Mit den Jahresthemen können wir auch auf die aktuellen Debatten im Land reagieren“, sind Arnold Bischinger und Steffen Schuhmann überzeugt. Man kann es auch so sagen: Im Museum Oder-Spree wird künftig die ganze Zerrissenheit ausgestellt, die das Leben im ländlichen Raum ausmacht. Damit aber können sich Museum und Besucher auch auf Augenhöhe begegnen. Ich verstehe das Museum, das Museum versteht mich: Kein schlechter Beitrag zum Thema regionale Bindung und Identität.

Alltag als Thema ist nichts Neues

Der erste Ort, in dem in Brandenburg nach der Wende Alltag erzählt wurde, ist das „Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR“ in Eisenhüttenstadt. 1993 startete es mit einer „passiven Sammlung“, wie es der damalige Leiter Andreas Ludwig nannte. „Man hat die Bevölkerung aufgefordert, Objekte zu bringen, mit denen die Menschen etwas verbinden“, erklärt Florentine Nadolni, die das Dokumentationszentrum heute leitet, die damalige Sammlungsphilosophie. Inzwischen sind im „Dok“ 170.000 Objekte zusammengekommen. Sie reichen vom Metallbaukasten „Thale“ bis zum Pouch Reisezweier, dem legendären Faltboot der DDR.

Die aktuelle Dauerausstellung stammt aus dem Jahr 2012. Damals wurde heftig darüber gestritten, wie die DDR zwischen Diktatur und Alltag erzählt werden kann. Also gab es einen Kompromiss. „Die Ausstellung dokumentiert den Alltag in der Diktatur und die Diktatur im Alltag“, sagt Nadolni. Sie stört an der Ausstellung aber auch etwas anderes. „Die Objekte“, sagt sie. „treten hier in die zweite Reihe, im Grund dienen sie vor allem der Illustration der Erzählung.“ Nadolni würde den Objekten dagegen gerne mehr Aufmerksamkeit schenken.

Dokumentationszentrum Alltagskultur

Die Simson S50 steht im Mittelpunkt der Ausstellung „Alltag formen! Bauhaus-Moderne in der DDR“, die noch bis zum 8. März im Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR in Eisenhüttenstadt zu sehen ist. Der Entwurf aus denm Jahr 1967 stammt von Karl Clauss Dietel und Lutz Rudolph. Von 1975 bis 1980 wurde die S50 im VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk Suhl hergestellt. Foto: Armin Herrmann/Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR

Das Dokumentationszentrum hat seinen Sitz in einer ehemaligen Kinderkrippe in der Erich-Weinert-Allee 3 in Eisenhüttenstadt. Neben der Sonderausstellung gibt es auch eine Dauerausstellung über das Alltagsleben in der DDR. Zu erreichen über den RE1 nach Frankfurt (Oder) und von dort mit der RB11 nach Eisenhüttenstadt. Öffnungszeiten Dienstag bis Sonntag, 11 bis 17 Uhr. www.alltagskultur-ddr.de

Das hat Nadolni schon getan, als sie 2017 den Neustart in Beeskow angeschoben hat. Nicht nur die Zusammenarbeit mit der Kunsthochschule hat sie angeregt, sondern auch das „offene Konzept“ des Museums Oder-Spree entwickelt – mit der Idee, je ein Objekt aus dem Umfeld der porträtierten Menschen und dem Bestand der Sammlung auszustellen. Im Dokumentationszentrum in Eisenhüttenstadt, wo Nadolni schon während ihres Studiums an der Viadrina ein- und ausging, will sie die Dauerausstellung nun „beweglicher“ machen. Doch das geht nur, wenn man die nötigen Mittel und das Personal dafür hat, weiß sie. Dass das „Dok“ nach wie vor in kommunaler Trägerschaft sei, passe nicht zur bundesweiten Bedeutung der Einrichtung.

Bis die Zeit für eine neue Dauerausstellung gekommen ist, investiert Nadolni viel Energie in die Wechselausstellungen. Noch bis März läuft die Schau „Alltag formen! Bauhaus-Moderne in der DDR“. „Das war bisher unser größter Publikumserfolg“, freut sie sich. Im August startet dann zum 70. Jahrestag der Gründung von Stadt und Stahlwerk eine Ausstellung über die Nachwendeerfahrungen in Eisenhüttenstadt.

Und wieder andere Wege

Alle Wege führen nach Wusterhausen. Das gilt zumindest für diejenigen, die bis 1982 von West-Berlin nach Hamburg reisen wollten. Weil es die A24 damals noch nicht gab, führte der Transitverkehr durch das kleine Städtchen an der Dosse in der Ostprignitz. Auch deshalb hat sich die Stadt entschieden, anstelle der Heimatstube am Marktplatz ein so genanntes Wegemuseum einzurichten. Es thematisiert die Geschichte der Fortbewegung von den mittelalterlichen Bohlenwegen über die preußischen Chausseen bis zum Transitverkehr während der deutschen Teilung.

Wenn Katharina Zimmermann durch die Ausstellung im Obergeschoss eines ehemaligen Kaufmannshauses führt, ist ihr der Stolz anzumerken. Sie zeigt auf einen slawischen Einbaum, erklärt, bis wann die Dosse als Wasserstraße ein Handelsweg war, betont die Bedeutung der Eisenbahn für den Tourismus in der Prignitz.

Wegemuseum Wusterhausen

Leere Getränkebüchsen finden sich normalerweise nicht im Museum. In Wusterhausen/Dosse ist das anders, denn sie sind ein Hinweis auf die einstige Lage des Städtchens an der Transitstrecke von West-Berlin nach Hamburg. Auch ein Rennrad ist dort ausgestellt. Wer nicht in der DDR übernachtete, konnte auf dem Transit auch Fahrrad fahren. Foto: Uwe Rada

Das Wegemuseum Wusterhausen hat seinen Sitz im frisch sanierten Herbst'schen Haus, einem stattlichen Kaufmannshaus am hübschen Marktplatz. Neben der Dauerausstellung zur Geschichte der Wege gibt es auch Wechselausstellungen. Auch die Tourismusinformation ist dort untergebracht. Wusterhausen im Kreis Ostprignitz-Ruppin erreicht man mit dem RE2 von Berlin nach Wismar mit Umstieg in Neustadt/Dosse in die RB 74 Richtung Pritzwalk. www.wegemuseum.de

Das Wegemuseum wurde 2011 eröffnet – und versucht einen Spagat. Richtete sich die Heimatstube an die Menschen vor Ort, ist die Ausstellung über die Geschichte der Wege auch ein Angebot an Reisende. Die Tourismusinformation befindet sich im selben Haus. „Allerdings haben wir versucht, die Objekte modern auszustellen“, betont Zimmermann. In den Vitrinen bekommen die Besucherinnen und Besucher deshalb auch Cola- und Bierbüchsen zu sehen, die Transitreisende in Wusterhausen aus dem Auto warfen.

Dass Wusterhausen überhaupt ein thematisches Museum bekommen hat, war keine Selbstverständlichkeit. Nach der Wende hat zwar der Landkreis Ostprignitz die Trägerschaft übernommen, doch nach der Kreisreform 1993 war damit Schluss. „Jetzt leisten sich Stadt und Gemeinde das Museum“, sagt Zimmermann, sie selbst hat eine halbe Stelle im Museum und eine halbe Stelle in der Tourismusinformation. „Wenn es unseren Förderverein nicht gäbe, hätten wir weder die Dauerausstellung, noch die Mittel für drei oder vier Wechselausstellungen im Jahr.“ An ein offenes Konzept wie in Beeskow ist angesichts der knappen Ausstattung nicht zu denken. „Schon jetzt muss man etwas verrückt sein, um so was zu stemmen“, lacht Zimmermann.

Wissen und Erfahrung bergen

Das Oderbruchmuseum in Altranft stellt seine Sammlung noch aus, nur heißt sie nicht mehr so. „Der Raum, in dem wir unsere Objekte präsentieren, heißt Studiolo“, lacht Kenneth Anders. Anders ist einer der beiden Programmmacher des Museums, das vor fünf Jahren aus dem einstigen Freilichtmuseum hervorgegangen ist. In den selbstgefertigten Regalen, die das „Studiolo“ einem Studierzimmer gleichen lassen, wird nicht chronologisch, sondern thematisch präsentiert. „Da sind auch Modelle von Landmaschinen dabei, die von den Menschen im Oderbruch gebaut worden sind“, sagt Anders. Fertig geworden ist gerade ein ausgestopfter Biber, einer der „Feinde“ der im 18. Jahrhundert trockengelegten Oderniederung. Immer wieder staut der Nager das Wasser in den Gräben dieser einzigartigen Kulturlandschaft mit ihren Kolonistendörfern.

Das Studiolo im Schloss von Altranft, wo die Ausstellung des Oderbruchmuseums untergebracht ist, ist eher ein Kommentar zum Thema Sammeln und Umgang mit den vorgefundenen Sammlungen, als dass es das Herzstück des Museums wäre. „Mut zur Sammlungslücke“ nennt das Museumsmacher Anders.

Die Geschichte des Oderbruchmuseums ist die Geschichte einer Transformation von unten, die vom Bund allerdings großzügig unterstützt wurde. Schon in den siebziger Jahren war in Altranft ein Freilichtmuseum geplant worden. „Als dann die Wende kam“, erinnert sich Anders, „ging dem Museum seine Erzählung verloren. Es ging da um eine Fortschrittserzählung, die die Emanzipation der arbeitenden Bevölkerung auf dem Lande in den Mittelpunkt stellen sollte.“ Das Gemälde mit den Landarbeitern in der Kantine der Beeskower Spanplatte hätte gut nach Altranft gepasst.

Oderbruchmuseum Altranft

Der Katalysator ist ein so genanntes „Mitgebsel“, das im Oderbruchmuseum ausgestellt ist. Schülerinnen und Schüler haben den verschlissenen Kat von einem Automechatroniker aus Altranft bekommen. Er ist eines von etwa 80 Objekten, die jährlich im Projekt Heim(at)arbeit von Jugendlichen im Oderbruch zusammengetragen werden. Das Bildungsprojekt ist derzeit die einzige kontinuierliche Sammlungstätigkeit des Museums. Foto: Stefan Schick/Oderbruchmuseum

Das Oderbruchmuseum hat seinen Sitz im Schloss von Altranft, Am Anger 27, und wird am 4. April in die neue Saison starten. Altranft erreicht man mit der RB60, die zwischen Frankfurt (Oder) und Eberswalde verkehrt. Im Schloss gibt es auch ein Café. Öffnungszeiten donnerstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr. Durch den Ort führt auch ein Talk Walk, herunterzuladen ist der Führer auf oderbruchmuseum.de.

So aber dümpelte das Freilichtmuseum aus Schloss, Bauernhof und Landarbeiterhaus vor sich hin, bis 2015 der Museumsleiter in den Ruhestand ging. Mit 1,8 Millionen aus dem Trafo-Programm der Kulturstiftung des Bundes und Rückendeckung durch den Landkreis Märkisch Oderland haben Anders und sein Team fünf Jahre lang daran gearbeitet, das Museum vom Kopf auf die Beine zu stellen. „Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht der Kontakt mit den Menschen, die in der Region leben und arbeiten“, erklärt Anders sein Konzept. „Wir wollen dieses Erfahrungswissen bergen und damit arbeiten.“

Wie Beeskow arbeitet auch Altranft mit Jahresthemen. Allerdings werden in den jeweiligen Jahrbüchern keine Porträts verfasst, sondern Interviews geführt. „Die Zitate finden sich dann an den Wänden des Schlosses“, zeigt Anders bei einem Rundgang durch die Räume, in denen sich zu DDR-Zeiten ein Kulturhaus befand. Dass es dabei auch kontrovers zugehen kann, bewies das Jahresthema Landwirtschaft. „Da gab es viele böse Kommentare im Gästebuch“, sagt Anders. „Aber nicht aus der Ecke der AfD, sondern von denen, die meinten, wir würden zu wenig für die Agrarwende Partei ergreifen. Für uns ist aber jede Position, die in der landwirtschaftlichen Erfahrung steckt, gleichwertig.“

Zusammenbringen und nicht spalten: So will das Oderbruchmuseum regionalen Zusammenhalt schaffen. Dabei kommen viele Fäden zusammen: Die Erzählungen der Menschen, die Geschichte der Kulturlandschaft, die Vernetzung in einer von Abwanderung betroffenen Region und auch die Museumspädagogik. „Einer unserer Schwerpunkte ist die landschaftliche Bildung“, erklärt Anders. „Wir arbeiten mit Schulen zusammen, organisieren Graffitiprojekte, bringen Künstler an die Schulen, stellen unsere Werkstätten zur Verfügung.“

Beim Projekt „Heim(at)arbeit“ erforschen Schülerinnen und Schüler die heimatlichen Lebens- und Arbeitswelten. „Wie kann man auf dem Land leben? Was ist Arbeitsmarkt, was freiwillige Arbeit?“, zählt Anders die Fragen auf. „Da werden alle möglichen Leute aufgesucht, und die Schüler bringen ein Objekt mit.“ Dabei würden auch die Schüler Erfahrungswissen bergen. „Wenn jemand über seine Erfahrungen spricht“, hat Anders beobachtet, „ist es etwas sehr Schönes. Darin liegt eine große Klugheit.“

Jedes Jahr ein neues Angebot

So langsam hat sich herumgesprochen, dass in Beeskow etwas Neues entsteht. Dass junge Museumsleute andere, junge Museen machen. Dass nicht nur Rote Grütze Heimat sein kann, sondern auch die Wiederentdeckung des Lehmbaus oder ein Kreisverkehr mit nur einer Abfahrt bei der Ortsumgehung Müllrose. Auch die Ostdeutsche Sparkassenstiftung ist von der Idee des Museums Oder-Spree überzeugt. „Hier wird die Magnetwirkung der Burg neu genutzt“, sagt der Chef der Sparkasse Oder-Spree, Veit Kalinke, als er im Februar den Fördermittelbescheid überreicht.

Aber Steffen Schuhmann und Arnold Bischinger wissen, dass die wirkliche Feuertaufe nicht die Präsentation des Kursbuches in der Spanplatte war, sondern ernst noch kommt. Wenn im Dezember dieses Jahr das Museum Oder-Spree öffnet, werden die Beeskower und Beeskowerinnen keine fertige Ausstellung vorfinden wie in Wusterhausen oder Eisenhüttenstadt, aber auch keine Wunderkiste wie in Altranft, wo für jeden etwas dabei ist.

In Beeskow muss die Ausstellung erst wachsen. So wie die Region noch immer zusammenwachsen und Halt finden muss. Vielleicht ist es deshalb gut, dass das Museum Oder-Spree kein ganzes Schloss bespielen muss wie in Altranft, sondern vier Räume im Erdgeschoss des Alten Amtshauses und den darüber liegenden Dachboden.

Eines aber weiß Steffen Schuhmann schon jetzt. „Früher waren die Leute einmal im Museum und hatten keinen Grund ein zweites Mal zu kommen. Jetzt erleben sie jedes Jahr etwas Neues.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!