piwik no script img

Neue Marthaler-Inszenierung in ZürichSeilbahn in die Höllenklinik

Kommentar von Tobi Müller

Rückkehr in die Stadt, die ihn verstoßen hat: Christoph Marthaler inszeniert "Platz Mangel" in der Roten Fabrik in Zürich .

Die Rückkehr des verlorenen Sohnes: Doch Christoph Marthaler nutzt seine neue Inszenierung in Zürich auch als Gelegenheit zur Abrechnung. Bild: ap

A ls Christoph Marthaler 1999 seine Zürcher Theaterdirektion mit "Hotel Angst" eröffnete, hatten die deutschen Kritiker ein Problem. Auf der Bühne sprach man fast nur Schweizerdeutsch. In "Platz Mangel" erklingt nun kaum aufgerauter Singsang, sondern ein auch für Eingeborene unverständliches Kauderwelsch. Doch kariert dürften die deutschen Kollegen trotzdem geschaut haben. Das Projekt ist zumindest am Anfang bis oben hin mit Schweizer Referenzen aus der Welt der Süßwaren vollgestopft. Zuckerprodukte, Schlager, TV-Soaps. Dies gehört bereits zur Metaphernmaschine: Zucker gleich Beruhigungsmittel auf der Hochleistungsinsel, süß gleich harmlos.

"Platz Mangel" im Kulturzentrum der Roten Fabrik ist die versprochene Rückkehr Christoph Marthalers nach Zürich. In die Stadt, die den Direktor letztlich doch nicht im Schauspielhaus haben wollte. Aber auch in die Szene, die seinen Kampf und den der Dramaturgin Stefanie Carp laut und lange unterstützt hatte. Denn als 2002 die erste Kündigung des Verwaltungsrates eintraf, solidarisierte sich die Freie Szene mit dem großen Konkurrenten. Und es waren mehr als schöne Worte: Das Theaterhaus Gessnerallee gab zwei Tage danach 2.000 Protestierenden Gastrecht, gefolgt von vielen Aktionen - über Monate hinweg.

Zwei Jahre später, als die Kündigung zurückgenommen war und Marthaler trotzdem ein Jahr früher ging, sprach der Direktor davon, als Dank irgendwann eine freie Produktion in Zürich zu machen. Viele dachten, das sei nicht mehr als ein rührseliges Versprechen des am Ende freiwillig Gehenden. Dass er den von vielen erstrittenen Vertrag damals nicht bis zum Schluss einhielt, enttäuschte manche.

Und so ist diese nun erfolgte Dankesgeste äußerst aufgeladen - auch wenn der gnädige Gang in die Freie Szene unter anderem von den Wiener Festwochen koproduziert wird. "Platz Mangel" nutzt diese Affekte für eine meistens gesungene Polemik. Manchmal auch für eine Abrechnung. Ersteres ist sehr komisch. Zweiteres halt ein wenig simpel. Richtig gut wird der Abend da, wo er die Pathologie der Kränkung übersteigt. Und manchmal liegt das alles nah beieinander.

"Bye bye, friends, we have no regrets for the good times weve had", singt die Marthaler-Menschenparade gleich zu Beginn. Die Rückkehr ist ein zweiter Abschied, der Song ein Schweizer Schlager von Peter, Sue & Marc (1981). Man trägt Perücke und Seventies-Trash, Schnauz- und Backenbart, toupiertes Haar und falsche Wimpern. Jörg Kienberger und Clemens Sienknecht sind die Kapellmeister, der Tenor Jörg Homberger hat das hinter der Bühne mit eingerichtet. Die drei musikalischen Marthaler-Geheimwaffen sind gleich alle am Werk. Hier muss etwas auf dem Spiel stehen.

Sweeter Trash bleibt bei Marthaler selten harmlos. Sienknecht moderiert den Abschied als Endlosschlaufe zu den Plastikbeats aus dem Keyboard. "Ihr wart ein dufte Publikum. Vielleicht sehen wir uns wieder. Vielleicht aber auch nicht." Damit wird erstmals der Raum angesprochen: ein Sanatorium, in der Mitte auch eine Reling wie auf einem Schiff (Schiffbau heißt die teure neue Immobilie, Spiel- und Werkstätte des Schauspielhauses, die im Marthaler-Konflikt eine zentrale Rolle gespielt hat). Selbstverständlich kennt Frieda Schneiders Bühne Anna Viebrocks Räume, neben Carp die dritte Signatur der Marthaler-Marke. Schneider hat bereits des Öfteren mit Viebrock zusammengearbeitet.

In "Platz Mangel" gibt es nicht viel Platz für Metaphysik. Das "Hotel Angst", wird hier klar zum Hotel Tod. Doch dieser Tod ist - bewusst - am Schluss profan. In Dr Dr Bläsis Höhen- und Tiefenklinik werden den Insassen, die am Anfang noch die reichen Gönner waren, bloß die Organe entnommen. Am Ende erweisen sich die gut zwei Stunden als Opfergang. Als Seilbahnfahrt in die Höllenklinik, in der Schmerz und Folter und Fettabsaugen mit postmoderner Katharsis verwechselt werden.

Mit "You can win if you want" von Modern Talking versuchen die Patienten mehrmals ein Aufbautraining, "Cherry Cherry Lady" kippt in einen Choral. Die Hüllen und Verkleidungen fallen, die Schauspieler machen sich lustig darüber. Schubert und Bach helfen den Insassen, die eigentlich Künstler sind, nicht weiter. Man will nur ihr Innerstes. Und das hat hier, in Zürich, nichts mit Seele zu tun. Sondern mit etwas Verwertbarem.

Der hohen Verwertbarkeit entzieht sich "Platz Mangel" nicht. Es ist die der Marthaler-Marke entsprechende musikalische Witzparade. Es ist eine Form, die er selbst erfand und die ihm nun klassisch geworden ist. Und die er in der Ausführung nach wie vor sehr ernst nimmt. Nicht zuletzt deretwegen, die nicht als Marke und Menetekel, sondern als Schauspieler zurückkehren: Bettina Stucky, Ueli Jäggi, Raphael Clamer, Josel Ostendorf, Katja Kolm, Catriona Guggenbühl, Bernhard Landau und die Musiker.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!