Neue Kampagne gegen sexuelle Gewalt: Und wenn es kein Fremder ist?
Häufig findet sexueller Missbrauch an Kindern im engeren Umfeld statt. Eine Kampagne des Familienministeriums will dafür sensibilisieren.
Dringend nötige Präventionsarbeit werde jedoch oft durch gravierendes Unwissen und Ignoranz gegenüber den Umständen sexuellen Missbrauchs verhindert, erklärte die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, am Donnerstag in Berlin. Gemeinsam mit Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) stellte Claus eine neue Kampagne zur Aufklärung über sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen vor.
Die Aktion mit dem Titel „Schieb den Gedanken nicht weg!“ soll darauf aufmerksam machen, „dass Missbrauch in den meisten Fällen im vertrauten Umfeld der Kinder vorkommt“, so Paus. Kerstin Claus und ihre Arbeitsstelle gehen davon aus, dass drei Viertel aller Missbrauchsfälle bei Heranwachsenden in der eigenen Familie und im sogenannten sozialen Nahfeld – etwa Schulen, Sportvereinen oder Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe – stattfinden. Und doch halten es 85 Prozent der Befragten einer Forsa-Umfrage für „unwahrscheinlich oder ausgeschlossen, dass sexuelle Gewalt in ihrer eigenen Familie passiert oder passieren kann“.
Claus warnt: „Wir sind alle Meister:innen darin, den Gedanken, dass der Tatort das engste Umfeld ist, wegzuschieben und lassen schutzsuchende Kinder und Jugendliche somit in letzter Instanz im Stich.“ Ändern soll das die Aufklärungskampagne, die am Freitag anlässlich des Europäischen Tags zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexueller Gewalt startet.
Motiv des gemütlichen Kinderzimmers
Die Gestaltung der Plakate und Broschüren spielt mit dem Motiv des gemütlichen Kinderzimmers. Der typische Satz der Eltern, Kinder sollen Fremden nicht die Tür öffnen oder mit ihnen nach Hause gehen, wird mit der Frage gekontert: Und wenn es kein Fremder ist oder die Gefahr schon drinnen ist?
Der Betroffenenrat, ein Gremium der Unabhängigen Beauftragten, könne sich mit dem Slogan der Kampagne identifizieren, sagte Ratsmitglied Angela Marquardt: „Wenn du Missbrauch vermutest, suche dir Hilfe, kompetente Ansprechpartner und entwickle selbst Handlungskompetenzen, aber schau nicht weg“, appellierte Marquardt gegenüber der taz.
Die Kampagne soll nun diese Kompetenzen in der Zivilgesellschaft stärken. Das Hilfe-Telefon soll bekannter werden, eine bundesweite Koordinationsstelle soll Aufklärungsmaterial verwalten und Kommunen darin unterstützen, Beratungsstellen auf- und auszubauen.
Außerdem soll das Amt der Unabhängigen Beauftragten gesetzlich verankert werden, um eine kontinuierliche Debatte über und verbesserte Erforschung von Missbrauchsfällen in Deutschland zu fördern. Claus räumte jedoch ein, dass die Kampagne das strukturelle und immer wieder auftretende Problem des Behördenversagens – wie etwa im riesigen Missbrauchskomplex in Lügde in NRW – nicht lösen kann.
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