Neue Heimat für Gefangene: Schicksal Guantánamo-Häftling
Über zehn Jahre hat er in Deutschland gelebt. Jetzt könnte bald ein Aufnahmeland für den Guantánamo-Häftling Mohamedou Ould Slahi gesucht werden.
Der ehemalige Guantánamo-Häftling Murat Kurnaz hat Deutschland zur Aufnahme von Gefangenen aus dem Lager aufgefordert. Er selbst sei von seinem Land im Stich gelassen worden, sagte der gebürtige Bremer mit türkischem Pass. Jetzt könne Deutschland "tätige Reue" zeigen. Kurnaz war 2006 freigekommen und nach Deutschland zurückgekehrt.
Er lebte zwölf Jahre in Deutschland, doch jetzt sitzt er in Guantánamo. Mohamadou Ould Slahi ist einer der noch verbliebenen 245 Insassen. Er ist wohl kein Unschuldiger, doch ein Strafprozess in den USA scheint ausgeschlossen. Bald wird also auch für ihn ein Aufnahmeland gesucht. Könnte es Deutschland sein?
Ould Slahi ist 38 Jahre alt. Geboren wurde er in Mauretanien. 1988 kam er nach Deutschland und studierte in Duisburg Elektrotechnik. 1995 machte er seinen Abschluss. Im Mai 2000 verließ er Deutschland und kehrte mit seiner Frau nach Mauretanien zurück, wo er im IT-Business arbeitete. Dort wurde er 2002 festgenommen und an die USA übergeben. Als Gefangener Nr. 760 landete Ould Slahi schließlich in Guantánamo. Im September 2002 kommen deutsche Geheimdienstler nach Guantánamo, neben dem Deutschtürken Murat Kurnaz befragen sie auch den Ex-Duisburger Ould Slahi.
In einem Spiegel-Porträt wird der Mauretanier als "Trommler für den weltweiten Dschihad" charakterisiert. Wie stark er an Terroraktivitäten beteiligt war, ist aber umstritten.
Die US-Regierung hat eine lange Liste an Vorwürfen. So habe Ould Slahi schon 1990 Ussama Bin Laden die Treue geschworen. 1990 und 1992 habe er sich zur militärischen Ausbildung in Afghanistan aufgehalten, bis 1997 habe er in deutschen Moscheen gepredigt und Männer für den Dschihad rekrutiert. Auch mit den Anschlägen vom 11. 9. 2001 wird Ould Slahi in Verbindung gebracht. Er soll die Hamburger Attentäter überzeugt haben, nicht nach Tschetschenien, sondern nach Afghanistan zu gehen, wo sie dann von Al-Qaida-Führern für den mörderischen Plan rekrutiert wurden. Außerdem soll Ould Slahi in die sogenannte Millenniums-Verschwörung, den gescheiterten Anschlag auf den Flughafen Los Angeles 2000, verwickelt gewesen sein.
In Guantánamo scheint Ould Slahi vieles gestanden zu haben. Nach Darstellung des Spiegel bekam er jedenfalls eine Sonderbehandlung, hat Computer und Fernseher in der Zelle.
Doch in einem Brief an seine US-Anwältin Sylvia Royce widerruft Ould Slahi im November 2006 alle Geständnisse und macht dafür die Folter in Guantánamo verantwortlich. "Ich habe zu jeder Anschuldigung ja gesagt, die mir die Vernehmungsbeamten machten", heißt es in dem Brief.
Ould Slahi war gedroht worden, man werde ihn verschwinden lassen. Es wurde ihm gesagt, seine Familie sei ebenfalls verhaftet worden, seine Mutter werde auch nach Guantánamo verlegt, wenn er nicht kooperiere. Slahi gibt außerdem an, er sei geschlagen und extremen Temperaturen ausgesetzt worden. Wärterinnen hätten ihn am Geschlechtsteil angefasst.
Die Foltervorwürfe sind im Einzelnen umstritten, doch immerhin so schwerwiegend, dass der US-Jurist Stuart Couch, der die Anklage gegen Ould Slahi verfassen sollte, sein Amt niederlegte. Der Fall sei durch die missbräuchlichen Verhörpraktiken unrettbar vergiftet, so Couch. Außer den zweifelhaften Geständnissen und ebenfalls nicht verwertbaren Geheimdienstinformationen scheinen die USA nicht viel gegen den Mauretanier in der Hand zu haben. Bis heute ist keine Anklage erhoben worden. Unter Barack Obama dürften die Ansprüche an ein rechtstaatliches Verfahren kaum geringer werden.
Vermutlich wird also bald ein Aufnahmeland für Ould Slahi gesucht werden. Dessen jüngerer Bruder Jahdih lebt zwar in Düsseldorf, doch vermutlich wird der Mauretanier auf der deutschen Prioritätenliste nicht ganz oben stehen, wenn Innenminister Schäuble (CDU) und Außenminister Steinmeier (SPD) nächste Woche über die Aufnahme von Guantánamo-Häftlinge beraten. Trotz der engen Bezüge zu Deutschland dürften andere Gefangene wie die nachweislich unschuldigen Uiguren der deutschen Öffentlichkeit doch besser vermittelbar sein.
Entgegen früherer Aussagen ist Ould Slahi inzwischen auch bereit, nach Mauretanien zurückzukehren, erklärte Anwältin Sylvia Royce jetzt gegenüber der taz. Ob das nordafrikanische Land ihn auch aufnehmen würde, ist aber noch unbekannt.
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