Neue Flüchtlingspolitik: Wer krank ist, darf zum Arzt gehen
Die neue schleswig-holsteinische Regierung will die medizinische Versorgung für Menschen ohne Papiere verbessern. Ehrenamtliche Helfer begrüßen das.
HAMBURG taz | Die neue Regierungskoalition in Schleswig-Holstein will, dass Menschen ohne Papiere künftig zum Arzt gehen können. „Wir werden gemeinsam mit den Akteuren im Gesundheitswesen ein Konzept zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung in einer anonymen Sprechstunde oder durch einen anonymen Krankenschein erarbeiten“, heißt es in der Vereinbarung von SPD, Grünen und SSW.
„Es geht um eine Notfallversorgung“, betont die SPD-Abgeordnete Serpil Midyatli. Die Koalition wolle prüfen, wie so eine Gesundheitsfürsorge für illegalisierte Einwanderer rechtlich machbar und finanzierbar wäre.
„Wir begrüßen diese Absichtserklärung“, sagt Till Koch vom Medibüro in Kiel, wo Patienten ohne Papiere beraten, an Ärzte vermittelt und Spenden für Medikamente gesammelt werden. Zumal die Dänen-Ampel damit einen deutlich anderen Weg einzuschlagen scheint als die Vorgängerregierung. Im Februar hatte Justizminister Emil Schmalfuß (parteilos) bei einer Landtagsdebatte über den Antrag „Menschenrecht auf medizinische Versorgung auch für Menschen ohne Papiere“ von Linken und Grünen noch gesagt: „Wer sich rechtsstaatlichen Regeln entzieht, indem er illegal im Lande lebt, der darf nicht gleichzeitig von den Vorteilen dieses Staates profitieren.“
Das Konzept von anonymer Sprechstunde und Clearingstelle richtet sich in erster Linie an Menschen ohne Papiere, aber auch an Menschen ohne Krankenversicherung. Es beruht auf Beratung und Behandlung:
Im ersten Schritt geht es in der anonymen Sprechstunden um die Lebenssituation und die Fragen, ob man etwas an der Illegalität ändern kann - beispielsweise durch ein Asylverfahren.
Im zweiten Schritt wird, wenn sich am Aufenthaltsstatus nichts ändern lässt, ein anonymer Krankenschein ausgegeben, der für den Patienten Zugang zu medizinischer Grundversorgung und für den behandelnden Arzt Übernahme der Behandlungskosten bedeutet.
Koch freut sich, dass die neue Regierung das Thema anders angeht. „Aber es ist bisher vage formuliert, es gibt keinen Zeitplan oder konkrete Ziele, wir müssen also abwarten, was aus der Absichtserklärung wird“, sagt Koch.
Geht es nach dem Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, den ehrenamtlichen Helfern in den Medibüros und ähnlichen Einrichtungen, sollten Clearingstellen eingerichtet werden (siehe Kasten). Wie in Bremen, wo der Verein „Innere Mission“ in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt eine „humanitäre Sprechstunde“ anbietet, oder wie in Hamburg, wo im Flüchtlingszentrum für drei Jahre eine Clearingstelle eingerichtet wurde – finanziert mit einem Fonds der Sozialbehörde in Höhe von 500.000 Euro.
Allein in Schleswig-Holstein leben geschätzte 1.000 bis 10.000 Menschen ohne Aufenthaltsstatus. Auch wenn im Notfall niemand abgewiesen werden darf und das Sozialamt die Kosten für die Notfallversorgung übernehmen sollte, vergehen oft Monate, ehe ein Rechtsanspruch geklärt ist. Neben der finanziellen Belastung, die ein Arztbesuch bedeutet, fürchten sich viele Flüchtlinge davor, dass ihr illegaler Aufenthaltsstatus aufgedeckt und sie abgeschoben werden könnten.
Ein klein wenig besser wurde es im Herbst 2009 mit der sogenannten verlängerten Schweigepflicht, die nicht mehr nur Ärzte und Medizinpersonal, sondern auch Sozialamtsmitarbeiter und Ehrenamtliche umfasst, die Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus beraten. Die Notfallversorgung ist dadurch etwas leichter geworden, aber das grundsätzliche Problem wurde nicht gelöst. „Denn die Menschen brauchen ja nicht nur Notfallbehandlungen, sondern Augenarzt, Zahnarzt, Gynäkologen, Physiotherapeuten, Psychiater“, sagt Koch.
Uwe Denker betreibt gemeinsam mit Kollegen seit 2010 in Bad Segeberg die „Praxis ohne Grenzen“ und kümmert sich jeden Monat um 40 bis 50 Patienten, die nicht versichert sind. „Was wir brauchen, ist eine Clearingstelle und eine anonyme Sprechstunde, nur so können wir wirklich verlässlich helfen“, sagt der 73-jährige Allgemeinmediziner.
Denn bisher scheitert eine rechtzeitige Behandlung nicht selten an der Finanzierung. „Eine neue Hüfte, eine Betreuung in der Schwangerschaft bis zur Geburt oder eine Diabetiker-Behandlung sind sehr teuer und da fehlt uns oft das Geld“, sagt der Arzt Denker. Vom Land zertifizierte Clearingstellen, die in Arztpraxen oder auch den Medibüros angesiedelt werden könnten, seien ein guter Weg, raus aus diesem Dilemma.
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