Neue Erdbebenkatastrophe in der UdSSR

■ Bis zu 1.000 Tote bei Erdbeben in der zentralasiatischen Sowjetrepublik Tadschikistan / Mehrere Erdrutsche begruben Dörfer unter Erdmassen / Bergungsarbeiten begannen sofort / Katastrophengebiet abgeriegelt / Tadschikistan zählt jährlich rund 2.000 Beben

Moskau (dpa) - Bis zu 1.000 Todesopfer hat ein schweres Erdbeben in der zentralasiatischen Sowjetrepublik Tadschikistan gefordert. Wie die amtliche sowjetische Nachrichtenagentur 'Tass‘ am Montag aus der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe meldete, löste das Beben mehrere gewaltige Erdrutsche aus, die mindestens drei Dörfer unter sich begruben. Es ist das zweite schwere Beben in der UdSSR in zwei Monaten. Im vergangenen Dezember hatte ein Erdbeben in Armenien nach offiziellen Angaben 25.000 Tote gefordert.

Nach Angaben des Sprechers des tadschikischen Außenministeriums, Lakim Kajumow, ergoß sich ein acht Kilometer breiter und mindestens zwölf Meter dicker Schlamm und Geröllstrom über die Orte Scharora, Kulipojen und Okulibolo. Wie Kajumow am Montag telefonisch mitteilte, dauerte das Beben etwa 40 Sekunden. Der stellvertretende tadschikische Ministerpräsident Kaschlakow, der eine Regierungskommission leitet, schätze die Zahl der Toten auf „mehr als 600“.

Nach Angaben von 'Tass‘ ereignete sich das Beben um fünf Uhr morgens Ortszeit (Mitternacht MEZ) in dem dichtbesiedelten landwirtschaftlichen Bezirk Gissarski, rund 30 Kilometer südwestlich von Duschanbe. Die Erdstöße hätten eine Stärke von sieben Punkten auf der in der Sowjetunion üblichen Zwölf-Punkte-Skala erreicht.

Ein Drittel von Scharora sei unter einer 15 Meter hohen Erdschicht begraben, meldete 'Tass‘. Allein dort seien „Hunderte von Menschen“ ums Leben gekommen. In Okulibolo hätten die Erdmassen mehr als 70 Menschen unter sich begraben. Auch in anderen Ortschaften des Bezirks gebe es Opfer. Das Beben habe Dutzende von Straßenkilometern und Fernmeldelinien zerstört sowie Tausende Stück Vieh vernichtet.

Kajumow lobte die Arbeit der Ärzte und die „disziplinierte und verständnisvolle“ Haltung der Bevölkerung. Die Handelsangestellten hätten sofort damit begonnen, die Verteilung der Lebensmittel „reibungslos zu organisieren“, sagte er. Bagger und Planierraupen seien bereits auf dem Weg in das Katastrophengebiet, um Überlebende zu bergen.

In Duschanbe erreichte das Beben eine Stärke von fünf Punkten. Wie Juri Semmel von der sowjetischen Nachrichtenagentur 'Nowosti‘ in Duschanbe erklärte, wurden die Erdstöße als „nicht mehr als ein kräftiger Schreck, aber kein geringer“ empfunden. Das Katastrophengebiet sei abgeriegelt worden.

Mit über 2.000 deutlich fühlbaren Erdstößen im Jahr gehört Tadschikistan zu den erdbebengefährdetsten Gebieten der Sowjetunion. Das jetzt registrierte Beben mit einer Stärke von knapp über fünf auf der Richterskala muß nach Angaben des Seismologischen Zentralobservatoriums Erlangen als mittelschwer eingeordnet werden. Der dabei beobachtete Erdrutsch läßt als oberflächennahe Schadenswirkung den Schluß auf einen flachen Erdbebenherd zu. Allerdings seien in dieser region tiefe Beben häufiger, teilte ein Sprecher des Observatoriums mit.

Wegen der großen Erdbebenhäufigkeit befindet sich in Duschanbe ein Zentrum sowjetischer Erdbebenforschung. Das Institut für seismisches Bauen und Seismologie der Akademie der Wissenschaften der Tadschikischen SSR besteht schon seit 35 Jahren. Tadschikistan ist eingebunden in die Kollisionszone von Indien und Asien. Seit vielen Millionen Jahren schiebt sich der Subkontinent von Süden her unter den starren Kontinent und drückt ihn nach oben. In Tadschikistan kompliziert sich die Situation, weil sich hier auch noch die Bewegungen der Iranischen Platte auswirken.