Neue Enthüllungen im NSU-Prozess: Zu alt, um umgebracht zu werden
Das NSU-Trio plante offenbar weitere Anschläge. Handschriftliche Notizen zeigen, dass sie ältere Menschen von der Todesliste strichen.
MÜNCHEN taz | 267 Adressen und 14 Städtekarten. Das NSU-Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe führte nicht nur die in der Anklage benannten Morde, Bombenanschläge und Banküberfälle durch. Die Funde der Polizei in der Wohnung der drei in der Frühlingsstraße in Zwickau legen nahe: Das Trio plante weitere Anschläge und bereitete diese genau vor.
Am 46. Verhandlungstag im NSU-Verfahren stellte der BKA-Beamte Roman G. vor dem Oberlandesgericht München die Auswertung verschiedener im Brandschutt der Wohnung gefundener Computerdateien und Kartenmaterials vor. Adressen von allen Parteien, Asylbewerberheimen und Beratungsstellen für Flüchtlinge fanden die Ermittler. Das Gros der Adressen, so G., waren islamische Einrichtungen und Büros der Partei Die Linke, ehemals PDS.
Schon vor dem Verfahren war bekannt, dass die Ermittler im Brandschutt der Zwickauer Wohnung Karten aus dem Bundesgebiet gefunden hatten. Unbeschädigte Karten entdeckten sie jedoch nicht.
„Eine Überprüfung der Adressen mit den Kartenresten ergab eine hohe Übereinstimmung mit Markierungen und Eintragungen zu den Morden“, sagte der BKA-Beamte G. im Gerichtssaal. Vor allem für Nürnberg, München, Dortmund und Kassel fand die Polizei umfangreiches Kartematerial, Routenplaner und handschriftlichen Ergänzungen. Ein Stern markiert in München eine Adresse nahe dem Ort an dem der NSU 2005 Theodoros Boulgarides getötet haben soll.
„In Dortmund, Nürnberg und München müssen die Täter vor Ort gewesen sein“, sagte der BKA-Beamte. Das belegen handschriftliche Anmerkungen: „In Dortmund wie Mülheim Köln“ und „in Nürnberg Café wie in Köln“. In Dortmund soll der NSU 2006 Mehmet Kubasik und in Nürnberg 2000 Enver Simsek, 2001 Abdurrahim Özüdogro und 2005 Ismail Yasar erschossen. In Köln zündeten sie 2001 und 2004 vermutlich zwei Bomben.
Das Vermerke und das Kartenmaterial lassen auf eine präzise und kaltblütige Vorbereitung schließen. Zu Dortmund notierten die Nazis: „Bürgerbüro SPD, keine gute Lage, nur bei schlechtem Wetter einen Gedanken wert“. Ein anderer Vermerk lautet: „Türkischer Laden, Kiosk auf der anderen Straßenseite, gutes Objekt, geeigneter Inhaber.“ In Nürnberg merkten sie zu einer Flüchtlingsunterkunft an: „Asylbewerberheim in der Industriestraße, Asylheim, Tür offen ohne Schloss, Keller zugänglich“.
Ein Handschriftenvergleich hat ergeben, dass Uwe Mundlos die meisten der Notizen auf den Papierausdrucken vorgenommen hatte. Ein Kriterium für die Auswahl der Opfer scheint auch das Alter gewesen zu sein. So hatte Mundlos notiert: „Türkischer Imbiss sehr gutes Objekt, Personal gut, aber alt – über 60 Jahre."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg