Neue CO2-Uhr auf taz.de: Die neue Zeitrechnung

Ab 31. Oktober 2021 läuft sie: unsere CO2-Uhr auf taz.de. Sie zeigt an, wie wenig Zeit noch bleibt, um die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen.

Pappe tickt nicht, unsere CO2-Uhr schon Foto: Karsten Thielker

Von Barbara Junge

29.10.21 | Die Formel staatlicher Klimapolitik in den führenden Industrienationen geht derzeit in etwa so: Gib große Versprechen, hantiere mit noch größeren Zahlen und lass dich dabei nicht auf konkrete Berechnungen festlegen. Das vermindert den politischen Druck von innen wie von außen und lässt ausreichenden Spielraum bei Umfang und Geschwindigkeit klimapolitischer Maßnahmen. Wie das in der Praxis aussehen kann, haben die Parteien vor der Bundestagswahl im September 2021 gerade vortrefflich demonstriert.

Politik im Trödelmodus

Die Kunst des Druckausgleichs war bislang stets der Kern politischen Handelns, sie funktioniert beim Streit über die Föderalismusreform wie bei einem Kita-Ausbauplan. In der Klimapolitik indes versagt das Prinzip. Denn die alten Regeln folgen noch einer politischen Logik, bei der es auf wenige Jahre gar nicht zwingend ankam. Es stand nicht die Frage im Raum, ob mit einer Politik im Trödelmodus weite Teile der Erde unbewohnbar werden.

Der internationale Klimarat IPCC hat in seiner jüngsten Analyse gezeigt, dass die Welt bei gleich bleibender globaler Emission schon bis zum Jahr 2030 auf eine Erwärmung um 1,5 Grad zusteuert. Bis 2100 sind wir, optimistisch betrachtet, auf einem 2,7-Grad-Kurs. „Zeitkritikalität“, wie das die Klima-Experten nennen, hat Einzug in die Politik gehalten.

Die taz hat deshalb beschlossen, eine neue Zeitrechnung zu übernehmen. Vor der COP26, der Klimakonferenz in Glasgow Anfang November, stellen wir eine CO2-Uhr auf unsere digitale Startseite.

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Der Countdown läuft

Diese Uhr zählt im Sekundentakt herunter, wie viel Zeit der Weltgemeinschaft bleibt, um das Ziel des Pariser Kimaabkommens von 2015 nicht zu verfehlen. Wie viel Zeit also noch ist, die Erderhitzung auf 1,5 oder höchstens 2 Grad zu begrenzen.

Was zeigt die CO₂-Uhr an?

Das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) und auch die taz bilden mit der CO₂-Uhr ab, welche Menge an Treibhausgas die Welt insgesamt noch ausstoßen darf, um die Erderhitzung auf deutlich unter zwei Grad gegenüber vorindustriellem Niveau zu begrenzen und möglichst sogar auf 1,5 Grad. Neben der Uhrzeit kann man auf der CO₂-Uhr auch die verbleibenden Tonnen CO₂ ablesen. Ein Echtzeitinstrument, das real gemessene Emissionen automatisch visualisiert, ist die CO₂-Uhr nicht.

Wie wird die CO₂-Uhr gestellt?

Die Wissenschaftler:innen des MCC stellen sie neu, wenn sich an den maßgeblichen Faktoren etwas ändert, wenn zum Beispiel wie diesen Sommer der Weltklimarat bei der Budgetrechnung auf ein neues Ergebnis kommt. Zu hoffen wäre, dass die Uhr auch mal umgestellt werden muss, weil eine rapide Senkung der jährlichen Treibhausgasemissionen das Aufbrauchen des Budgets nach hinten schiebt.

Die Uhr ist technisch ein Stück Code, basierend auf den Daten des MCC, das bei der taz gehostet wird und das wir dann als Element auf taz.de flexibel einbinden können.

Die wissenschaftliche Grundlage für die Uhr liefert das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC). Das Prinzip ist auf den ersten Blick etwas kompliziert: Der Weltklimarat hat berechnet, wie viel CO2 die Atmosphäre theoretisch noch aufnehmen kann, ohne das 1,5- respektive das 2-Grad-Ziel zu überschreiten. Das ist der erste Schritt. Dieses Budget wird nachvollziehbar kleiner und kleiner.

Wie viel Zeit in diesem in Paris gesteckten Rahmen noch bleibt, zeigt die Uhr in einem zweiten Schritt. Beim aktuellen Emissionsvolumen von mehr als 42 Gigatonnen CO2 pro Jahr ist das Budget in wenigen Jahren aufgebraucht. Beim aktuellen Emissionstempo haben wir bis 1,5 Grad nicht einmal mehr acht Jahre, 25 Jahre sind es bis 2 Grad.

Wettlauf gegen die Zeit

Auch wenn es sich hier um ein theoretisches Modell mit vielen Unbekannten handelt, gibt die Uhr doch eine klare Vorstellung des Faktors Zeit für die globale Klimapolitik. Für den kompletten Umbau der Weltwirtschaft sind jedenfalls 25 Jahre nicht viel Zeit und 8 schon gar nicht. Und selbst bei Einhalten der Budgets gibt es laut der Analyse des Weltklimarats ein gar nicht so kleines Restrisiko von einem Drittel, dass die gefürchteten Marken doch gerissen werden.

Mit der Uhr wollen wir, die taz, wie auch das Mercator Institut so sichtbar wie möglich machen, dass die globale Politik gegen die Zeit läuft. Je langsamer die Politik läuft, desto schneller läuft die Uhr, je schneller aber auch die Politik handelt, desto langsamer tickt sie. Das ist kein Katastrophenszenario – Risiko wie Chance können an der CO2-Uhr abgelesen werden.

Zur COP in Glasgow stellen wir die Uhr auf unserer digitalen Startseite nach oben. Unsere Pläne aber gehen weiter, auch analog wollen wir ein entsprechendes Zeichen setzen, gut sichtbar, ganz oben. Um das zu machen, müssen voraussichtlich jedoch erst noch ein paar Hürden genommen werden.

Barbara Junge ist taz-Chefredakteurin und Initiatorin der taz-Klima-Offensive sowie des taz Klimahubs.