Neue Augenzeugin für Naziattacke in Berlin: "Es war wie im Horrorfilm"
Am fast tödlichen Übergriff auf einen Linken waren viel mehr Rechte beteiligt als bisher bekannt, sagt eine Zeugin der taz. Freunde des Opfers sind schockiert.
"Es war wie in einem Horrorfilm", erzählt die junge Verkäuferin über die brutale Auseinandersetzung zwischen Neonazis und jungen Linken am Sonntagmorgen. Bereits seit 5 Uhr morgens habe sie in einem Shop an der Passage zwischen U- und S-Bahn-Eingang Frankfurter Allee gearbeitet. Kurz vor sechs sei es vor dem Laden zum Streit zwischen zwei Gruppen mit je rund zehn Leuten gekommen. Auslöser sei der Pitbull eines Rechten gewesen, der einen der Linken angestupst habe. Als jener gerufen habe: "Nimm deinen rechten Köter weg!", sei es zu der Schlägereien in kleinen Gruppen gekommen, so die Frau zur taz.
Schließlich habe einer der Neonazis eine Bierflasche zerbrochen und damit einem der Linken ins Gesicht geschlagen. "Sein ganzes Gesicht war voller Blut, er wurde von drei Leuten geprügelt", erzählt die junge Frau, die nach eigenen Angaben die Polizei alarmiert hat. Diese sei innerhalb von zwei Minuten eingetroffen. Ob es sich bei dem vor ihrem Laden Verprügelten um Jonas K. handelte, der später auf einer Bordsteinkante liegend durch einen Tritt beinahe getötet wurde, kann die Verkäuferin allerdings nicht sagen. Ihre Aussage steht im Widerspruch zu bisherigen Darstellungen. Danach geht die Polizei nur von vier Neonazis aus, die in den Kampf verwickelt gewesen sein sollen.
Jochen Z. ist von dem Angriff auf Jonas K. auch vier Tage nach dem Vorfall noch sichtlich mitgenommen. "In der Situation dachte, ich der Typ wäre tot", sagte der Zeuge des Vorfalls der taz. Sein Blick ist starr, er wirkt benommen. Dass er aufgewühlt ist, lassen nur seine Tränen wissen. Z. habe zwar einige gewalttätige Vorfälle erlebt, aber so was kenne er nur aus Filmen. "Es übertrifft all meine Vorstellungen - da wurde echt auf ein Menschenleben geschissen", erzählt er. Erst als Passanten den Mund von Jonas K. öffneten und ein flaches Röcheln zu hören war, wusste Jochen, dass das Opfer noch lebt.
Wie er mit dem Geschehenen umgehen soll, weiß er eigentlich nicht. Er redet viel mit seinen Freunden und will sich am Samstag auch an der Demo beteiligen. Doch die Bilder wollen nicht aus seinem Kopf. Vor allem "diese Starre der Hilflosigkeit möchte ich weghaben und handeln können".
Auch viele Freunde und Bekannte von Jonas K. finden keine Ruhe. Am Dienstag wurde er kurzzeitig auf die Intensivstation verlegt. Bleibende Schäden sind bisher ausgeschlossen, vernehmungsfähig ist der Neuköllner aber nicht. "Die Folgen der Attacke sind heftig", sagt Michael F. Auch Mandy R. ist noch schockiert, sie malt sich oft die Szene in ihrem Kopf aus: "Das geht mir dann durch Mark und Bein. Jede Bewegung und jedes Stöhnen von Jonas lässt mich jetzt aber wissen, er ist noch da."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei