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Neue Arbeitsformen IHallen für alle

Der US-Philosoph Frithjof Bergmann will mit Fertigungshallen für den lokalen Bedarf die Arbeitswelt umkrempeln. Arbeitslose und Freiberufler der digitalen Boheme könnten den Anfang machen.

Nicht nur in Cafés, auch in Hallen lässt es sich wunderbar arbeiten. Bild: AP

Frithjof Bergmann ist mit einer Mission aus Ann Arbor, Michigan, nach Berlin gereist. Eine Woche ist der Philosophieprofessor hier, hält Vorträge und nutzt jede sich bietende Gelegenheit, für sein Vorhaben zu werben. Das heißt, kurz und bündig: Berlin braucht Hallen. Keine großen Kunst- oder Maschinenhallen, sondern kleine, aber multifunktionale Orte, an denen Menschen das tun, woran sie nach Bergmanns Ansicht bisher gehindert werden: selbstbestimmt, sinnvoll und mit Freude zu arbeiten.

Einen "Ort der Möglichkeiten" nennt Bergmann seine Idee einer dezentralen Fertigungshalle, die er seit Jahren ausarbeitet. Mithilfe einer "Fabrikator" genannten Fertigungstechnik könnten dort Güter für den täglichen Bedarf hergestellt werden, von Brillen über Herde bis zu Kleidern, Handys oder gar Autos. Der "Fabrikator" beruht auf dem generativen Produktionsverfahren, das nach dem Prinzip eines Copyshops funktioniert: Dreidimensional am Computer entworfene Geräte werden aus ultrafeinen Kunststoff- oder Metallpulvern gepresst.

Diese Ressourcen schonende Technologie soll laut Bergmann Kernstück der Halle sein. Auf dem Dach sollen "vertikale Gärten" wachsen - eine Idee, die Bergmann bereits in Südafrika und Südamerika erprobt hat. In die Höhe wachsende Felder und Beete sollen der Selbstversorgung der lokalen Hallengemeinschaft dienen. "Konzentrische Ökonomie" nennt Bergmann das. Nach seiner Vorstellung könnten mehrere solcher über das Stadtgebiet verteilter Hallen Berlins Rettung sein.

"Die Zeit für die Hallen wird bald kommen", prophezeit der Philosoph, der in der Autostadt Flint in Michigan ein Zentrum für "Neue Arbeit" betreibt. "Auch in Berlin wächst die Zahl derer, die trotz Arbeit arm sind oder keine Arbeit haben." Diese Bevölkerungsgruppen könnten durch die Hallen ihre Lebenssituation verbessern, so Bergmann. Ob Gärtnern, Kochen oder die Fertigung individueller Haushaltsgeräte - jeder findet in der Halle eine Beschäftigung, die sinnvoller ist als unwürdige Lohnarbeit oder Hartz IV, so die Idee.

Doch wer soll die Hallen anmieten, wer die teuren "Fabrikatoren" bezahlen, die unter anderem ein Aachener Forscher und das Massachusetts Institute for Technology entwickeln? Die Finanzierung sei noch ein Problem, räumt der Professor ein: "In Deutschland ist der Leidensdruck noch nicht so groß wie etwa in Detroit. Dort ist man so verzweifelt, dass man einen Philosophen wie mich mit der Entwicklung der Innenstadt beauftragt." Für die Umsetzung seiner Ideen von "Neuer Arbeit" zahlt in Amerika ein Autokonzern. In Berlin muss Bergmann bislang auf ein Netzwerk einzelner Idealisten mit begrenztem Budget zurückgreifen. Zu denen, die seine Ideen unterstützen, gehören Günter Faltin, Gründer der Teekampagne, und der emeritierte Politikprofessor Peter Grottian. Und die "digitale Boheme" rund um die "Zentrale Intelligenz Agentur" (ZIA).

Mit denen will Bergmann nun beginnen, seine Hallenidee in die Tat umzusetzen. "Es gibt eine wachsende Gruppe von Hochbegabten, die sich nicht länger in das starre Lohnarbeitssystem zwängen lassen will." Die jungen, flexiblen Laptoparbeiter legen Wert auf Selbstbestimmung und lustbetontes Arbeiten - Ideen, die der Vorstellung von "Neuer Arbeit" recht nahe kommen. Eine Halle wollen die Jungen zwar eher zum Netzwerken als zum Kühlschrank bauen. Doch wo es erst einmal eine Halle voller radikal denkender Freiberufler gibt, so Bergmanns Hoffnung, ist es bis zur Tomatenzucht nur ein kleiner Schritt.

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1 Kommentar

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  • RH
    Richard Hebstreit

    Frithjof Bergmanns Ideen sind eigentlich nach meiner Meinung gar nicht so undumm.

     

    Freilich sind seine Ideen in Bezug auf "Freie Hardware" im Sinne seiner "Fabrikatoren" noch ein wenig momentan visionär. Nur, die digitale Bohemé mischt nun mal weltweit schon eigentlich kräftig mit.

     

    Ob bei Wikipedia, Gimp, OpenOffice, Unix, ... Vor 17 Jahren hätte man jemand, der ohne fotografische Grundkenntnisse sich selber zu Hause seine Fotos ausbelichten/ausdrucken will, in Berlin zu Bonnys Ranch verwiesen, also in die Klapsmühle. Es war die Zeit des Nadeldruckers.

     

    In ein paar wenigen Jahren wird ein 3D-Drucker, ein Rapidprototyping Gerät, so viel wert sein wie heute ein Laserdrucker. Also 100 Euro. Gar nicht so sehr ökoschädliche Siliziumpartikel, nämlich lumpigen märkischen Sand, wird man in das Gerät füllen können, um einen Honiglöffel, den ein japanischer Designer kreiierthat, in wenigen Minuten herstellen zu können!

     

    Internet und Handynetz kann man unabhängig von dicken Telekommunikationsunternehmen heute schon selber organisieren und die sogar zwingen Gebühren für die Nutzung des lokalen Netzes zu zahlen. Es gibt Blechbüchsenfunknetzsender und -empfänger hier in Berlin vom Freifunknetz. Da kann man mal nachschauen, wo die ihr eigenes Netz aufziehen: http://map.berlin.freifunk.net/

     

    Fast die gleiche Technik der Nadeldrucker von damals kann heute vollautomatisch Klamotten zusammen nähen. Per Laserschitt, ist der Schnitt der Stoffe in wenigen Sekunden in allen Konfektonsgrößen möglich!

     

    Ein Jünger und auch Kritiker von Prof. Bergmann,

    der Wiener Franz Nahrada, hat mal vor ein paar Jahren folgendes postuliert:

     

    "Die Informationsgesellschaft und ihre auf Mikroelektronik basierende Technologie ist sowohl in der Richtung der extremen Arbeitsteilung als auch in der Richtung der

    Reintegration von Arbeitsvorgängen grundsätzlich offen. Sie kann eine von Roboterhänden gesteuerte Fabrik, menschenleere Produktionsstraßen mit gewaltigem stofflichem Input an Ressourcen und Energien und Output an

    Produkten und Abfall schaffen – sie kann aber genauso im Prinzip die bisher getrennten Arbeitsvorgänge wieder integrieren - und schafft so die Möglichkeit der dezentralisierten Hausarbeit, des "ganzen Hauses" der

    traditionalen Gesellschaften in neuer Form.

     

    Er meint, was da folgt, ist die "dezentralisierende Automatisierung"....

     

    "Die Maschinen schrumpfen, sie passen sich dem

    Benutzer und ihrer Umgebung an, sie sind aber miteinander und mit dem Benutzer ständig in einem Netzwerk des Informationsaustausches

    verbunden."

     

    Wissen, Technologie, KnowHow wird hier weltweit gnadenlos gratis geteilt,verteilt. CC gilt nicht nur für Fotos/Grafiken/Designs, sondern täglich, stündlich, minütlich weltweit optimiert auch für Patente/Geschmacksmuster. Die RGB Tintenfarben der Billigfarbdrucker, für die man heute noch teure Euros oder Dollars oder Yen löhnen muß, kann man auch in einem Chemielabor neben dem Bäcker um die Ecke literweise für ein Appel und ein Ei beziehen. Ökochemie/Physik macht das möglich.

     

    Die Terminologie "Halle" ist hier nicht auf eine große Halle definiert, die mühselig angemietet werden muß. Die Halle kann eine Garage sein, ein Kinderspielpatz, eine Seniorenresidenz, ein TanteEmmaLaden, der auf Grund raffinierter Distrubitionsstruckturen die gleiche Bedeutung wie ein Supermarkt haben kann. Jeder Immobilienbesitzer wird geil darauf sein, eine Halle zu haben, wo man das, was man an Bedürfnissen hat, befriedigen kann.

     

    (In fast jeder Berliner Straße mit massiver Blockbebauung sind die "TanteEmmaLäden" wieder heute präsent! Oft rund um die Uhr und ganze achtköpfige Familien leben davon. Das ist auch eine "Halle!" im lokalen Dorf. Wie das alles funktioniert, kann mann fünzigsprachig weltweit verfügbar sehen. Das ist nicht SF, das fünktioniert heute schon zwar noch völlig durcheinander....aber es ordnet sich!

     

    Eine Elektrolokomotive kann man damit aber zur Zeit und auch in naher Zukunft noch nicht bauen.

    Macht nix. Vergesellschaftung von Großindustrieproduktion-Produktionsmitteln ist heute auch kein wesentliches tolles revolutionäres Problem mehr.

     

    Es ist nicht schwer zu denken, "Um Gottes Willen ihr Leute, ihr Bürger übernehmt möglicst lokal den ganzen Laden!" In Eisenach kann es in wenigen Monaten passieren. Jeder Popel fährt eventuell in Deutschland dann wirklich bald Opel! Das Ding ist vollelektrisch und braucht nicht mal in einen Autozug verladen zu werden, um nach Viareggio zum Sonnenbraten zu kutschen.

     

    Dort stehen die Maserati-Fiat-Opel am Bahnhof herum. Die Lieblingsfarbe aus Berlin gemäß seiner politischen Gesinnung (Signalrot oder schwarz) von der Karre, kann man per Handy einstellen, wenn es denn nur sein muß.

     

    Jetzt sollte man sich das mal vorstellen noch mit der Farbe der Klamotten die man an einem Tag zu einer bestimmten emotionalen Befindlichkeit per Klick auch mit einem Handy einstellen kann.

     

    Vor vielen Jahren fiel mir mal ein Buch in die Hand. "Ursprung der Dinge" vo Julius Lips. Der beschrieb da die Kulturgeschichte des Menschen. Um Kultur geht es da nicht so vordergründig. Es ging um die Entwicklung der Handwerkszeuge der Menschen seit ...zig tausenden von Jahren. Nur, mit den Entwicklungsstand von vor ca. tausend Jahren hat er aufgehört.

     

    Bergmann spinnt jetzt mit überspringen der tausend Jahre Lücke einfach weiter.

    Bergmann extrapoliert im Sinne der Entwicklung der Produktionsmittel einfach weiter.

     

    Die eigenen ungeschickte Erfahrung, mit Axt und Säge den amerikanischen Wald sich gehörig zu machen haben ihn geprägt. Er schielte danach nach der Mühsal dieser schweren Arbeit nach der Kettensäge und studierte erst mal Philosophie.

     

    Am derzeitigen weltweit agierenden monopolkapitalistischen Kapitalismus kratzt er nicht herum, wenn auch die Linke ihm das schwer vor wirft.

     

    Bergmann ist ein Fan der "WTR" der "Wissenschaftlichen technischen Revolution" und meint die Geduld zu haben noch zu seinen Lebenszeiten zu zu schauen, wie die gegenwärtigen "demokratischen" kapitalistischen Gesellschaftsmodelle wegen der WTR, schlicht und einfach wahrscheinlich zwar nicht implodieren, aber teilweise schön vorschriftsmäßig nach marx und Engels zusammenklappen.

     

    Ja,Zusammenkrachen wie die DDR an irgend einem Tag, wenn ein Typ mal in New York in der Börse das Licht ausknipst, gewollt oder ungewollt wie einst im November 1999 der olle Schabowski.

     

    Kürzlich in Berlin war Bergmann zu Gast von Professor Valtin, dem Teekampagneguru der Humboldt Universität zum Tema: "Financial Crisis - New Work - Entrepreneurship.............

    Prof. Bergmann, famous for his concept of New Work, views the current financial crisis as an opportunity to substitute hired labour for a completely different organisation of work. In this interview with Prof. Faltin he points out alternatives to the mainstream politics of stimulating economic growth."

     

     

    http://labor.entrepreneurship.de/blog/2009/02/financial-crisis-new-work-entrepreneurship/

     

    Wer Zeit hat, und englisch versteht, kann sich gerne mal hier schlau machen:

    (Dauert um eine Stunde!)

     

     

    Fotos von Prof. Bergmann, zum Teil cc gibt es hier: http://www.flickr.com/photos/rhebs/sets/72157614486767580/

     

     

    © rhebs 10.03.2009