Neue Animal Collective-Platte: Frühe Platte des Jahres
Mit ihrem neuen Album "Merriweather Post Pavillion" lösen Animal Collective ein, was ihnen Musikkritiker immer schon unterstellten: dass sie die wichtigste Band der Welt sind.
Verrückte Welt des Internets. Lange ist es nicht her, da fieberten Musikfreunde noch heißen Herzens den Erscheinungstermin eines neuen Album herbei. Und nun? Wird noch genauso gefiebert. Nur wartet man nicht mehr auf das Erscheinen der Platte, sondern darauf, wann sie durchsickert. Wann es einen so genannten "Leak" gibt, wann die Stücke in den Tauschbörsen des Internets auftauchen, weil irgendjemand, meist ein Plattenfirmenangestellter, sie illegal online stellt. Im Fall des neuen Albums der amerikanischen Band Animal Collective war das der erste Weihnachtsfeiertag. Am 25. Dezember 2008 leakte "Merriweather Post Pavillion", interessanterweise am gleichen Tag, an dem auch das neue Album von Antony & The Johnsons leakte, nur der Weihnachtsmann weiß, was Musiknerds so treiben, wenn der Rest der westlichen Welt im Wohnzimmer zusammensitzt und Festtagsbraten isst.
Jede Platte lebt von dem Krach, der ihr Erscheinen begleitet - so laut wie im Fall von "Merriweather Post Pavillion" war es allerdings lange nicht mehr. Als sich Mitte Dezember jemand den Scherz erlaubte, einen Leak vorzutäuschen und Rick Astleys "Never Gonna Give You Up" als neues Animal-Collective-Album hochlud, bekamen sich buchstäblich tausende von wütenden Downloadern in die Haare, Freundschaften zerbrachen, Kriege wurden erklärt. Darf man so böses Spiel mit den Erwartungen treiben? Ja, das Hysterielevel unter musikverrückten Jungs Anfang zwanzig ist hoch. Aber was ist hier los? Warum bilden ausgerechnet diese vier jungen Männer Anfang dreißig, die unter den Pseudonymen Avey Tare, Panda Bear, Geologist und Deakin musizieren (Deakin war bei der Produktion des aktuellen Albums allerdings nicht dabei, er hat sich eine Auszeit genommen), die gerade wichtigste Band der Welt? Liegt es wirklich an der Musik?
Hymnische Feiern
"Merriweather Post Pavillion", benannt nach einem großen, von Frank Gehry entworfenen Konzertsaal in Maryland, wo sich die Bandmitglieder viele Shows anschauten, als sie aufs College gingen, wird als das Popalbum des Animal Collective in die Bandgeschichte eingehen, nie war die Musik dieser Band so zugänglich wie hier. Es sind Hymnen, die sie für diese Platte geschrieben haben - nicht im Sinne von Stadionrock, sondern im Sinne von naturreligiöser Verzückung. "I am large, I contain multitudes" heißt es im "Song Of Myself" von Walt Whitman, dem ewigen Programm amerikanischer Selbsterfindung durch Besingen der Vielfältigkeiten. Genau das machen Animal Collective. Haben sie im Grunde immer schon gemacht. Jetzt ist es nur für alle da.
Wie klingt diese Musik denn nun?, wird sich der eine oder die andere fragen. Gute Frage - tatsächlich dürfte es eine der großen Qualitäten dieser Band sein, dass sich ihr Sound so ohne Weiteres gar nicht beschreiben lässt. Hohe und bunte Klangwälle schütten Animal Collective für ihre Platte auf, um dazwischen immer wieder einen Chorgesang erklingen zu lassen, der sich zwar irgendwie an erkennbaren Mustern orientiert - Wiederholungen etwa, Call-and-response-Figuren, Harmoniefolgen -, am Ende aber vor allem referenzlos und ekstatisch ist. Diese Referenzlosigkeit macht es schwer, ihn zu beschreiben. Denn jedes Klingt-so-wie-X verbietet sich hier. Die Chorgesänge etwa, so heißt es oft, würden einen Einfluss der Beach Boys durchschimmern lassen. Tatsächlich benutzen Animal Collective wie die Beach Boys die Kulturtechnik des Chorgesangs.
Das wars aber auch schon mit Parallelen. Die Gesangslinien der Beach Boys folgen exakten Arrangements, sie sind für vier Stimmen und eindeutig in einer Doo-Wop-Brill-Building-Tradition verankert. Diese Gesänge sind all das nicht. Ob es "My Girls" ist oder "Brother Sport": Da gibt es keinen Leadsänger und keinen Chor, es gibt nur zwei Gesangslinien, die über- und nebeneinander liegen, sich manchmal treffen, mal im Vordergrund und mal im Hintergrund sind, die durcheinanderpurzeln wie junge Hunde.
Achtung: Transgression
Diese Musik hat ewas zutiefst Spirituelles, ohne dabei verblasen zu sein oder Widersprüche zu verkleistern, wie das ja oft bei Klängen der Fall ist, die vom Einssein mit dem Kosmos künden wollen. Das will die Musik hier nicht. Das Krachige der Alben davor haben sie deutlich zurückgefahren, stattdessen gibt es auf einmal mächtige Bassläufe und Schicht auf Schicht silbrigen Synthesizergeperles.
Kaum ein Begriff hat sich in der Popkritik der vergangenen Jahre eines solchen Beliebtheit erfreut wie der der Transgression - wo sich alle möglichen politischen Lesarten popkultureller Subversionen erledigt hatten, stand diese Art von körperpolitischer Aufladung noch einmal für das Versprechen, dass ein anderes Leben möglich sein könne. Ob es Antony Hegarty war, das Gendertrouble-Geschwisterduo Coco Rosie oder der Transsexuelle Baby Dee, Rufus Wainwright oder der schwule Avantgarde-Cellist Arthur Russell, von dem heute, mehr als 15 Jahre nach seinem Tod, mehr wiederveröffentlicht wird, als die meisten lebenden Künstler herausbringen: Gerade New Yorker Pop beschäftigte sich oft und gerne mit dem Auflösen, Durchlöchern und Überschreiten von Geschlechtergrenzen. Alle diese Künstler spielen mit einem existenziellen Einsatz: Sie halten ihren Körper hin und sind schwul, bi, transgender, was auch immer nicht der heterosexuellen Zwangsordnung entspricht.
Vielleicht kann niemand so überzeugend Transgression verkörpern wie Animal Collective, weil ihr existenzieller Einsatz so viel geringer ist. David Portner, Brian Weitz und Noah Lennox, so gaben sie sich zumindest in Interviews zu erkennen, sind Mittelschichtsheteros mit Freundinnen und Familien, die studiert haben und mal in einem Plattenladen angestellt waren - einer hat auch mal für das amerikanische Umweltministerium gearbeitet. Bei wenigen dürfte der Wunsch nach einer künstlerischen Durcharbeitung der Transgression, nach einem musikalisch sublimierten Angriff auf die Identität als heterosexueller, weißer und männlicher Musiker so drängend sein wie bei heterosexuellen, weißen und männlichen Musikern (und niemand dürfte das so lieben wie heterosexuelle, weiße und männliche Kritiker).
Große New-York-Band
Transgression also. Dass Animal Collective einem so überaus strahlend vorkommen wie die Posterboys einer poplinken Deleuze-Lektüre, hat aber auch mit dem "New Weird America" zu tun, einer popkulturellen Bewegung, von der die erste Kunde in den ersten Jahren der Bush-Regierung ihren Weg über den Atlantik fand. Die Grundannahmen dieses musikalische Neozotteltums leuchteten sofort ein. Ansätze kollektiven Musizierens zu suchen und damit nicht nur die Vereinzelungslogik des heißdrehenden Kapitalismus zu unterlaufen, sondern auch der ewigen Revivallogik des Pop der Nullerjahre zu entgehen. So unterschiedlich sie waren - in ihrem Wunsch, nichtidentifizierbare Musik zu machen, waren sich alle Bands des "New Weird America" ähnlich.
Animal Collective sind eine große New Yorker Band, auch wenn die Mitglieder längst aus Brooklyn weggezogen sind, wo sie die meisten ihrer Platten eingespielt haben und mittlerweile über die ganze westliche Welt verteilt leben (eigentlich kommen sie aus Baltimore). Nicht, dass sie mit anderen großen New-York-Bands wie Velvet Underground oder Sonic Youth große musikalische Charakteristika teilen würden, sie klingen vollkommen anders als jene. Aber das Modell ist das gleiche: äußerst einflussreich, ohne je in die höheren Regionen der Charts zu kommen. Anschlüsse an andere Kunstformen zu liefern. Projektionsflächen für politisch-kulturelle Erlösungsfantasien zu sein.
Niemand steht im Pop dieser Tage gleichzeitig so neben den Genres und Traditionen und ist doch sofort so erkennbar wie Animal Collective. Dafür haben sie einiges an schwer hörbaren Platten produziert, Drones aufeinander geschichtet und Gitarren geschunden. Nun beginnt etwas Neues. "Merriweather Post Pavillion" ist groß genug angelegt, um genug alte Fans zu verstoßen und genug neue hinzuzugewinnen, dass die Reibungsenergie einige Wärme abstrahlen dürfte.
Gerade weil es sich nicht so anhört: Dies ist noch einmal der weiße amerikanische Heteromann, der den Pop neu erfindet. Vielleicht ja zum letzten Mal. Dieser Popentwurf handelt ja genau davon, weg zu wollen, in andere Paradiese zu streben. Wie diese sich möglicherweise anfühlen könnten, davon gibt "Merriweather Post Pavillion" eine Ahnung.
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