Neuauflage von Edgar P. Jacobs' Comics: À la James Bond
Der Belgier Edgar P. Jacobs entwarf in den „Blake und Mortimer“-Comics apokalyptische und hochtechnologisierte Visionen. Nun kommen sie neu raus.
Kennen Sie den belgischen Erfinder Edgar P. Jacobs? Unter anderem hat er den „Tigerhai“ entwickelt, eine raffinierte Kombination aus U-Boot und Kampfflugzeug. Er dachte sich auch den „Energieakkumulator“ aus, der das Wetter manipulieren kann. Sein „Telezephaloskop“ wiederum konnte Menschen zu willenlosen Sklaven machen.
Nein, Edgar Pierre Jacobs (1904–87) war kein „echter“ Erfinder, sondern Comiczeichner. Solch technisch ausgeklügelte, fantastische Ideen sind typisch für seine Comicserie „Blake und Mortimer“. Der Belgier war einer der führenden Zeichner der Nachkriegszeit aus dem Umkreis von Hergé. Ästhetisch der Ligne Claire seines Mentors verpflichtet, waren seine Comics jedoch realistischer gehalten, verzichteten weitgehend auf Humor und fielen durch überladene, oft redundante Textanteile auf.
Im Genre ließen sie sich nicht festlegen: Im Grunde waren es Abenteuergeschichten, die mal mehr Krimi-, mal mehr fantastische Elemente enthielten. Gerade hat Jacobs wieder Hochkonjunktur: Eine Ausstellung in Paris würdigte sein Werk, während hierzulande eine Neuausgabe seiner Arbeiten begonnen wurde. Eine kongeniale Fortsetzung der „Blake und Mortimer“-Reihe ist erschienen, die heute wie ein finsterer Kommentar zur Klimadebatte und zur globalen Krisenstimmung wirkt.
Der zeichnerische Autodidakt Edgar P. Jacobs arbeitete bereits in jungen Jahren als Illustrator und Modezeichner, um damit ein weiteres Talent zu finanzieren und auszubilden: den Gesang. In der Oper im französischen Lille fand er 1929 ein festes Engagement als Bariton. In dieser Zeit entwarf er auch Kostüme und Kulissen. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges endete sein Engagement und er kehrte ins besetzte Belgien zurück, wo er sich wieder dem Zeichnen zuwandte. Im Magazin Bravo blieben nach dem Kriegseintritt der USA die beliebten „Flash Gordon“-Strips aus, und Jacobs, der zuvor nie einen Comic gezeichnet hatte, gelang es, die Serie ohne Stilbruch fortzuführen, bis sie von der deutschen Zensur verboten wurde.
Assistent bei „Tim und Struppi“
Jacobs’ erster eigener Comic „Die U-Strahlen“ folgte, in dem er die Flash-Gordon-Schemata übernahm. 1942 lernte er Hergé kennen, dessen sehr populäre „Tim und Struppi“-Comics ihm unbekannt waren. Hergé, begeistert von Jacobs’ Zeichentalent, machte ihn ein Jahr später zum Assistenten, der ihm bei der Umgestaltung älterer „Tim und Struppi“-Bände und dann auch bei neuen Geschichten kreativ unterstützte.
Doch Jacobs mochte nicht ewig ein Dasein als Hergés Assistent fristen, der ihn weder als Co-Autor anerkannte noch eine Namensnennung gestattete. Das 1946 neugegründete Magazin Tintin, das Hergé künstlerisch leitete, bot Jacobs aber die Chance, eine eigene Serie zu kreieren.
François Schuiten u. a.: „Die Abenteuer von Blake und Mortimer: Der letzte Pharao“. Carlsen Verlag, 92 Seiten, Hardcover, 19,99 Euro
Edgar P. Jacobs: „Blake und Mortimer-Bibliothek Band 2: Das Geheimnis der Pyramide“. Carlsen Verlag, 144 Seiten, 30 Euro
Thierry Bellefroid: „Scientifiction. Blake et Mortimer au musée des Arts et Métiers“. Éditions Blake et Mortimer en partenariat avec le musée des Arts et Métiers, 2019. Katalog zur Ausstellung in französischer Sprache, 30 Euro
Als Helden erkor er zwei mustergültige englische Gentlemen: den brillanten, temperamentvollen Atomphysiker Philip Mortimer und den mutigen MI-5-Offizier Francis Blake. Zum Auftakt schickte er das befreundete Duo in ein geradezu apokalyptisches Abenteuer, „Der Kampf um die Welt“, in dem sich die damalige Furcht vor einem Dritten Weltkrieg spiegelte. Die epische 144-seitige Fortsetzungsgeschichte überzeugte durch ihre spannend aufgebaute, actionreiche Handlung um einen tibetischen (!) Diktator – damals Personifizierung der „Gelben Gefahr“ aus Asien – und den Kampf der freien Staaten gegen dessen Weltherrschaftspläne.
Höchste Sorgfalt bei spekulativen Ideen
Nicht zuletzt schlugen die zahlreichen von Jacobs entworfenen futuristischen Flugzeuge („Roter Pfeil“, „Tigerhai“) die jungen Leser in ihren Bann. Das Pariser Technikmuseum Arts et Métiers hat kürzlich dem Belgier eine große Ausstellung („Scientifiction“) gewidmet, die seine Technikaffinität in den Mittelpunkt stellte. Im Dialog mit echten historischen Gerätschaften wurde sein Werk analysiert.
Die Nähe des Zeichners zur Theaterwelt verrät etwa seine Neigung zu spektakulären, opernhaften Szenarien wie auch zu opulent gestalteten Hintergründen und fantasievollen Kostümen seiner Figuren. Jacobs selbst prägte den Begriff „Oper aus Papier“ (Titel seiner Autobiografie von 1981).
Seine Erfindungen und technischen „Gimmicks“ à la James Bond nahmen einige geheime Konstruktionen etwa der US Army beim Flugzeugbau vorweg und antizipierten zahlreiche weitere spätere Möglichkeiten. Ob künstliche Intelligenz, Strahlenexperimente oder Smartphone-ähnliche Uhren – Jacobs verwendete höchste Sorgfalt darauf, seine technisch-wissenschaftlich spekulativen Ideen glaubwürdig umzusetzen, selbst beim „Diachronator“, einer Zeitmaschine.
In der Pariser Ausstellung wurde aber auch die Meisterschaft seiner Seitengestaltung hervorgehoben – bereits im ersten „Blake und Mortimer“-Comic adaptiert er etwa erfolgreich die Möglichkeiten der Filmmontage. Im atmosphärisch stärksten Album der Reihe, „Das gelbe M“, erinnern die Motive wie auch das raffinierte Licht- und Schattenspiel an Meisterwerke des frühen deutschen Films, wie etwa „Dr. Mabuse, der Spieler“, „Das Cabinet des Dr. Caligari“, oder „M“. Auch literarische Bezüge sind vielfältig, neben den Zukunftsromanen von H. G. Wells und Jules Verne standen englische Kriminalautoren wie Arthur Conan Doyle oder Edgar Wallace Pate für Jacobs’ Geschichten.
Fortsetzung folgt
Der Carlsen Verlag legt die acht klassischen Geschichten von Jacobs nun in der Blake-und-Mortimer-Bibliothek neu auf, in gutem Druck, mit überarbeiteter Übersetzung, ergänzt durch kundige Hintergrundartikel und seltene Illustrationen.
Das zweite Abenteuer um Blake und Mortimer, „Das Geheimnis der Großen Pyramide“, ist ein Höhepunkt der Reihe und ein Beleg für Jacobs’ Erzähltalent, da er geläufige Fakten über die Cheopspyramide mit der fiktiven Suche nach einer geheimen „Kammer des Horus“ intelligent verknüpft. Am Ende stoßen die beiden Helden schließlich im Herzen der Pyramide auf ihren Erzfeind „Olrik“ (für den Jacobs selbst Modell stand), bis allen dreien von einem Hüter der alten Kultur die Erinnerung an dieses Abenteuer gelöscht wird.
Nun greift ein neuer Band – „Der letzte Pharao“ – diesen Erzählfaden auf: Ein gealterter Philip Mortimer wird nach Brüssel gerufen, um im dortigen, zum Teil ägyptisch gestalteten Justizpalast einem mysteriösen Phänomen auf die Schliche zu kommen. Elektromagnetische Strahlen gigantischen Ausmaßes werden freigesetzt, die ganz Brüssel zur Geisterstadt machen und auch den Rest der Welt bedrohen.
Touch des Irrealen
Zeichner ist Jacobs’ 1956 geborener Landsmann François Schuiten, der durch seinen Steampunk-Comic-Zyklus „Die geheimnisvollen Städte“ bekannt wurde. Schuiten gelingt es – zusammen mit seinen Co-Autoren Jaco Van Dormael und Thomas Gunzig – Jacobs’ Geist auf zeitgemäße Weise fortzuführen: Im Kern geht es nicht allein um die bedrohliche Strahlung, sondern um die krankhafte Technikabhängigkeit des heutigen Menschen, der einen totalen Blackout fürchtet und diesen mit militärischen Mitteln verhindern will.
„Die Abenteuer von Blake und Mortimer“ werden bereits seit den 90er Jahren von wechselnden Zeichner-Autoren-Teams erfolgreich weitergeführt. Doch erst Schuiten hat es gewagt, auf den Ligne-Claire-Look zu verzichten und dem Album seine persönliche, kupferstichartig fein schraffierte Handschrift zu geben. Die halluzinierend-gleißende Kolorierung von Laurent Durieux setzt das i-Tüpfelchen und verleiht dem Album einen irrealen Touch, der gut zu dieser Endzeitgeschichte passt. An dieser „Papier-Oper“ hätte Jacobs seine Freude gehabt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!